Unter der Oberfläche brodelt es braun: John Miller in der Kunsthalle Zürich

In den 60er-Jahren hätte man John Miller wohl das Etikett „gesellschafts- kritisch“ verpasst. Heute würden ihn die meisten einen „Spielverderber“ nennen. John Miller will niemandem gefallen, und das macht seine Kunst so wahnsinnig erfrischend. Bekannt wurde der 55-jährige New Yorker mit Materialassemblagen, für die er banale Alltagsgegenstände wie Spielzeug- figuren, Plastikfrüchte oder Kondome mit seinem „John-Miller-Braun“ überzog, einer im wahrsten Sinne des Wortes Scheißfarbe. Das hatte Stil, das hatte Chuzpe, und viel deutlicher konnte man kaum sagen, was man von der Welt an sich und der Kunstwelt im Besonderen hält.


Klar, dass Millers Arbeit am Auraverlust des Kunstwerks oft mit der von Kollegen wie Mike Kelley, Paul McCarthy oder Jim Shaw verglichen wird. Nicht nur teilt er ihren intellektuellen Stinkefinger-Impetus – Miller ist auch der Autor einiger hervorragender, marxistisch angehauchter Theorieessays –, sondern ist auch mit ihnen befreundet. Aber so richtig wohl fühlte er sich in der heilen Gegenkunstwelt der West Coast nie. Die Liste seiner New Yorker Galerie- schauen ist lang, und meistens wurden sie von der amerikanischen Kunstkritik eher lauwarm aufgenommen, egal ob er fiese Pornobilder auf große Leinwände übertrug, hässliche Modelleisenbahnlandschaften bastelte oder gänzlich unnostalgisch Szenen aus der TV-Geschichte nachmalte.


Seit 1991 teilt Miller seine Zeit zwischen New York und Berlin auf, und die lange überfällige Werkschau in der Kunsthalle Zürich spiegelt auch das Wohlwollen wider, das man klugen Misanthropen in Europa eher noch als anderswo entgegenbringt. Zu den neueren Arbeiten, die in Zürich zu sehen sein werden, gehört „Middle of the Day“, eine Serie von circa 2000 Fotos, die Miller zwischen zwölf Uhr mittags und zwei Uhr nachmittags aufnahm. Was herauskam, ist kein August-Sander-mäßiges Panorama, das die Institution der Mittagspause feiert. Vielmehr werfen die Fotos einen Blick auf die gehetzten und nicht so glücklich aussehenden Protagonisten der Kreativ- und Dienstleistungsgesellschaft.


Der Werkzyklus, mit dem Miller in den vergangenen Jahren die größte Aufmerksamkeit erregte, schließt den Bogen zu seinen Anfängen als Künstler. Wieder sieht man eine Reihe eleganter Collagen aus allem möglichen Zivilisationsmüll, von Föngeräten bis zu Schuhen, nur sind sie inzwischen mit einem überaus verführerischen Blattgold überzogen. Auf der Oberfläche glänzt es, scheint er zu sagen, unten drunter brodelt sie immer noch, die Scheiße.

 

 

Kunsthalle Zürich, 29. August bis 15. November