Wohin im Juli?

Absinth, Aphrodisiaka und Autoreifen

Matthew Barney: „Prayer Sheet with the Wound and the Nail“
Er ist der bizarrste Privatmythologe unserer Zeit. Matthew Barney generiert seine Arbeiten nach dem Prinzip der Überwindung von Widerstand: „Zeichnen mit Hindernissen“ lässt sich der Titel der „Drawing Restraint“-Reihe übersetzen. Die 17-teilige Serie von entsprechenden Performances (genauer: die Videos und das dazugehörige Archiv des Künstlers) wird nun im Schaulager Basel ausgestellt. Es beginnt mit frühen Aktionen Ende der 80er-Jahre, die Barney in Settings zwischen Kraftraum und Sadomaso-Fetischclub ansiedelte, und differenziert sich zu komplexen Spielfilmen wie „Drawing Restraint 9“ aus, in dem Barney sich mit Lebensgefährtin Björk Auferstehungsritualen auf einem japanischen Walfänger hingibt. Als überraschender thematischer Kontrapunkt werden religiöse Bilder von Albrecht Dürer oder Hans Baldung Grien gezeigt. Auch dort: Schmerz, Leid, lauter Grenzerfahrungen.
Schaulager Basel, bis 3. Oktober

Troy Brauntuch
Er zählt zur „Pictures“-Generation. „Zurück zum Bild, weg von der Konzeptkunst mit den nackten Wänden“, nennt Troy Brauntuch als gemeinsamen Nenner dieser Künstler, darunter Cindy Sherman, David Salle und Jack Goldstein, die alle im California Institute of the Arts bei John Baldessari studierten. Wie eben auch der Maler Troy Brauntuch (Jahrgang 1954, Porträt in Monopol 05/2010), der jetzt wiederentdeckt wird. In der Berliner Galerie Capitain Petzel sind fotografische Quellen früher Brauntuch-Arbeiten zu sehen, dunkle Bilder, die meist ein neugieriges Frösteln erzeugen. Low-key sind auch die neueren Arbeiten gehalten, ein Blick in eine chemische Reinigung und fotorealistisch gemalte Dior-Kostüme aus den 40er- und 50er-Jahren.
Capitain Petzel, Berlin, bis 28. August


„Der Westen leuchtet“
Bei Gereon Krebber hat es offenbar lichterloh gebrannt. Sein Beitrag zur Rheinlandschau „Der Westen leuchtet“: eine halb zerfallene und verkohlte Skulpturruine- Entsprechend dem Sammlungskonzept des Kunstmuseums Bonn werden die Teilnehmer nicht mit einzelnen Arbeiten, sondern mit komplexen Räumen vorgestellt. Zwei Künstlergenerationen treten an, wobei die vom Museum ausgewählten Altvorderen ihrerseits Nachwuchskünstler bestimmten. Tony Cragg wurde zum Paten für Gereon Krebber, Isa Genzken entschied sich für Simon Denny, einen Konstrukteur fragiler Erzählgeflechte, Jürgen Klauke schickt Christian Keinstar ins Rennen, der mit einem mit roter Löschflüssigkeit gefüllten Swimmingpool in der Wüste von Kalifornien von sich reden machte – ein künstlerischer Reflex auf den Großbrand in Hollywood vor zwei Jahren.
Kunstmuseum Bonn, 10. Juli bis 24. Oktober


Jeff Wall: „Transit“
Häufig macht Jeff Wall Vancouver zum Schauplatz seiner Fotos. Seine Dresdner Soloschau „Transit“ konzentriert sich auf die Themen des Übergangs und der Veränderung – wofür nicht nur Walls kanadische Heimatstadt, sondern auch der Ausstellungsort prototypisch ist. Die Werkauswahl in der Dresdner Kunsthalle umfasst 26 Arbeiten – Großbilddias in Leuchtkästen, Schwarz-Weiß- und Farbfotografien – und gibt einen Überblick über Walls Schaffen von den 80er-Jahren bis heute. Mit dem Schwarz-Weiß-Medium arbeitet der Künstler erst seit Mitte der 90er-Jahre. Für Walls spezifische Ästhetik – die Bilder sind präzise und nach vielen kunsthistorischen Vorbildern arrangiert, wirken jedoch wie „aus der Hüfte geschossen“ – bietet „Two eat from bag“ ein typisches Beispiel. Da wurde kein Stück altes Zeitungspapier wirklich achtlos hingeworfen – so zufällig die Szenerie auch aussehen mag.
Kunsthalle im Lipsiusbau, Dresden, bis 19. September


Hans-Peter Feldmann: „Kunstausstellung“
Parkscheiben, Mikroskope, Frauenknie, Sonnenuntergänge, Colaflaschen, Schuhe: Hans-Peter Feldmanns Fotoserien und Arrangements gefundener Objekte kommen neuzeitlichen Wunderkammern gleich. Der 1941 geborene Künstler bringt Ordnung ins Chaos unserer Existenz, indem er Bilder und Dinge findet und zusammenstellt – im Sinne eines kollektiven Gedächtnisses. Bilder gehören allen, davon ist der Künstler überzeugt. Zur großen Werkschau in der Kunsthalle seiner Heimatstadt Düsseldorf, die einen Bogen über vier Jahrzehnte spannt, gehören die Installation „Schattenspiel“, die Porträtserie „100 Jahre“ – für die Feldmann 101 Menschen aus seinem Familien- und Bekanntenkreis fotografierte – und ein riesiger Papierflieger, eine neue Arbeit auf dem Boden des Kinosaals.
Kunsthalle Düsseldorf, bis 22. August

„Zelluloid – Film ohne Kamera“
Jenseits moderner Computeranimation gibt es noch eine andere, archaische Methode, Filme ohne Kamera herzustellen: das Malen direkt auf den Filmstreifen, das Zerkratzen oder chemische Behandeln der Filmemulsion. Als Pioniere des direct film gelten der Neuseeländer Len Lye und der Schotte Norman McLaren, deren seit Mitte der 30er-Jahre geschaffene Arbeiten für nachfolgende Filmkünstler wegweisend wurden. Die Überblicksausstellung in der Schirn Kunsthalle schlägt mit 21 Künstlern einen Bogen von der Frühzeit dieses Genres bis heute. Neben den Vätern des cameraless -film sind Künstler wie der baskische Maler José Antonio Sistiaga oder Dieter Roth vertreten. Die Kalifornierin Jennifer West, bei der die Materialexperimente zu Performances werden, steht für die Renaissance des direkt bearbeiteten Films). Absinth, Aphrodisiaka, Autoreifen: West hat Filmstreifen schon mit allem Mцglichen traktiert.
Schirn Kunsthalle Frankfurt, bis 29. August