12. Architekturbiennale Venedig

Im Nebel gestochert

Gibt es überhaupt noch die verwunderten Besucher, die sich fragen, wo denn nun eigentlich die Häuser sind? Die murrend Lösungen der Baukonstruktion vermissen? Die enttäuscht sind über zu wenig vertraute Beton-und-Glas-Ideen und über zu viel wolkig Versponnenes? Wenn es sie gibt, möchte man sie trösten und ihnen versichern, dass alles gut wird, wenn es so weiter geht, wie Kazuyo Sejima es vorschlägt. Wenn man sich nämlich nur aufmerksam und ausdauernd an den Grenzen des Machbaren, an den Grenzen des Raums und an den Grenzen von Architektur selbst aufhält, dann kommen die Konstrukteure und Ingenieure, die Materialspezialisten und auch die Öffentlichkeit irgendwann hinterher.

Eine fast unsichtbare Skulptur aus zart gesponnenen Fäden (oder sind es ultradünne Stäbe?) von Junya Ishigami heißt lakonisch „1:1-Entwurf eines Gebäudes irgendwo in Europa, ungefähr 14 mal 4 mal 4 Meter“. Die mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnete Installation, die kurz vor der Eröffnung noch von einer Arsenale-Katze demoliert beziehungsweise vermutlich übersehen worden sein soll, weckt Erinnerungen an die Gespinste von Tomas Saraceno auf der Kunstbiennale aus dem letzten Jahr. Der hatte den großen Raum des zentralen Pavillons ausschließlich mit elastischen Seilen ausgefüllt. Aber das ephemere Gebäude lässt auch an die Rauminterventionen der Minimal Artists denken, an jene Künstler, die in den 60er-Jahren erstmals die Linie von der Wand lösten und in den Raum übertreten ließen.

Eine Art Anti-Raum
Mit den Formfindungsprozessen der Künstler, das hat Sejima verinnerlicht, lassen sich die Fragen der Architektur wesentlich besser veranschaulichen als durch zwergenhafte Häuschen ohne Dach. Zumindest jene Fragen, die sich nicht in der Gestaltung von Wohnküchen und Carports erschöpfen, sondern die neue Denk- und Betrachtungsweisen fordern.

Die begehbare Wolke von Tetsuo Kondo ist aus Kunstperspektive nichts Neues, zuletzt füllte wieder Olafur Eliasson die Ausstellungsräume des Berliner Martin-Gropius-Baus mit künstlichem Nebel und zog die in der Kunst üblichen Register aus Wahrnehmungsverschiebung, Raumintervention, Netzhautverwirrung, Orientierungsstrapaze. In der Architektur aber bekommt die domestizierte Wolke noch mal ihr kühnes Wesen zurück, denn obwohl sie eine Art Anti-Raum ist, definiert sie klar Innen und Außen, sie zieht die Menschen an, sie ist von selbst abbaubar – vereint also die meisten wichtigen Kennzeichen der aktuellen Architektur.

Prinzip Modellbau
Das Bedürfnis, neue Wege der Darstellung zu finden, ist zu spüren, aber noch gibt es wenige Architekten, die das Niveau der Anschauung anheben zu etwas jenseits von Gebasteltem und Gerendertem. Der Chilene Pezo von Ellrichshausen ist einer von ihnen: Mit einer wandfüllenden Panorama-Aufnahme zeigt er das Umfeld seiner Bauten – in dem Fall ein kastiger Solitär auf einem karstigen Pazifik-Kliff – und davor steht, auf Augenhöhe aufgeständert, das dreidimensionale kubische Modell zum Drumherumlaufen. Es ist vielleicht nicht die letztgültige Antwort auf die schwierige Frage der Ausstellungsästhetik von Architektur, aber ein guter Versuch, sowohl das Detail als auch das Ganze zu zeigen: mit den Mitteln von Skulptur und installativer Fotografie.

Das Prinzip Modellbau war in der Arbeitsweise des Künstlers Thomas Demand schon immer angelegt – seine dreidimensionalen Papier-Nachbauten von Fotografien des Zeitgeschehens wurden, nachdem er sie wiederum abfotografiert hatte, allerdings vernichtet. Um so spannender zu sehen, dass Demand sich mit seiner streitbaren und zeitkritischen Haltung jetzt konkret in den gebauten Stadtraum einmischt: Unter einer Autobahnbrücke im Westen Zürichs will er gemeinsam mit den Architekten Caruso St. John ein zweigeschossiges Haus mit asiatischem 24-Stunden-Restaurant errichten – wie eine nachträglich eingebaute Trutzburg des zivilen Widerstands. Demands künstlerisches Prinzip der Rückwärtserzählung lässt sich also auch bestens auf Architektur anwenden.

Das Paradigma der Machbarkeit
Wohin es führt, wenn man allein das Paradigma der „Machbarkeit“ gelten lässt, sehen wir jetzt und in den kommenden Jahren: Weil die Instrumente es erlauben, gibt es nun überall gebaute Formen, die aussehen, als würden sie zerfließen. Einfach, weil man jetzt so bauen kann. Doch das Staunen darüber wird genauso absehbar nachlassen wie die Lust, diese Simulationen von biomorpher Masse grundsätzlich interessant zu finden.

Die Attraktion lässt sich auch anders herstellen, oft genug sind es spielerische Momente, die Menschen anziehen, und allein durch diese Versammlung wird ein Ort gestiftet. Das zeigt auch die akustische Rauminstallation der Künstlerin Janet Cardiff, die für jede der vierzig Stimmen eines Renaissance-Gesangsstücks einen Lautsprecher aufstellen ließ. So kann man von Stimme zu Stimme wandern und sich fragen, ob man sich auch dauerhaft daran gewöhnen könnte, dass Raum nicht nur durch sichtbare voneinander abgegrenzte Felder markiert wird, sondern auch durch akustische. Oder emotionale. Und natürlich, was das dann für die Baukonstruktion hieße.

Architektur-Biennale, Venedig, bis 21. November