Ausstellung im Berliner HKW

Wie brüderlich war die DDR wirklich?

Zwischen 1949 und 1990 migrierten Hunderttausende Menschen in die DDR. In einer neuen Ausstellung lässt sie das Berliner Haus der Kulturen der Welt ihre Geschichten erzählen

Wer kennt ihn nicht, den berühmten Bruderkuss zwischen Leonid Breschnew und Erich Honecker: Ein ikonisches Bild, das Postkarten, Kaffeetassen und die Berliner East Side Gallery ziert. Es steht für die Innigkeit, mit der sich die sozialistisch gesinnten Staaten, die sogenannten "Bruderländer", während des Kalten Kriegs begegneten. Der Bruderkuss, eine Geste, um einmal mehr den vereinten Klassenkampf und die proletarische Gemeinschaft zu zelebrieren. Dass im Schatten der von den Staatsoberhäuptern propagierten Solidarität offenbar systemische Ausbeutung von sogenannten "Vertragsarbeitern" und Migranten auf allen Ebenen stattfand, scheint bisher keinen großen Platz im kollektiven Gedächtnis einzunehmen. 

Das soll sich jedoch ändern, wenn es nach großen Kunstinstitutionen geht: Nach den Ausstellungen "Re-Connect. Kunst und Kampf im Bruderland" im Leipziger MdbK und den "Revolutionary Romances" in der Albertina Dresden nimmt sich nun das Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) die "Bruderländer" vor. Genauer gesagt: die Geschichten der Arbeitskräfte aus diesen Staaten. Erzählt, reflektiert und erinnert wird dabei meist aus der Perspektive derer, die aus anderen sozialistischen Ländern in die DDR migrierten und dort versuchten, sich ein Leben aufzubauen.

Auch die Eltern von Minh Duc Pham gehörten dazu. Anfang der 1980er-Jahre gingen sie wie viele junge Vietnamesen in die DDR. Untergebracht waren sie in Wohnheimen, Arbeitsverträge gab es nur befristet. Für die Ausstellung hat Pham die Installation "Fountains of a high mountain and a sweet dream" angefertigt: ein plätschernder Tischbrunnen aus Keramik und Porzellan, an dessen Spitze eine kleine Kinderfigur steht, dazu Lilienduft. 

Widerstand wurde mit Abschiebung quittiert

Das Werk widmet er all den Frauen der "Bruderländer", die vertraglich dazu verpflichtet waren, im Falle einer Schwangerschaft einen Abbruch vorzunehmen. Widerstand wurde mit Abschiebung quittiert. Es ist ein sehr persönliches Anliegen des Künstlers, dieses Thema zu beleuchten, schließlich war seine Mutter eine der Frauen, die zur Abtreibung gezwungen wurden. Trotz der bedrückenden Hintergrundgeschichte hat die Installation etwas Unaufgeregtes, Meditatives. Gerade in dieser Ruhe liegt eine ungeheure Ausdruckskraft und Verletzlichkeit.

Die Menschen, die in der Ausstellung zu Wort kommen, stammen nicht nur aus Vietnam, sondern auch aus Ländern wie Algerien, Angola, Chile, Kuba, Mosambik oder Syrien. Getrieben von attraktiven Versprechen zogen sie allesamt mit der Hoffnung auf bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen in die DDR. Was sie oftmals erwartete: Überwachung, einbehaltene Löhne und Fremdenfeindlichkeit. Das war die Realität vieler Migranten, es gibt aber auch Beispiele gelebter Solidarität, Zuwendung und Freundschaft. 

Zentral für das Verständnis des multidisziplinären Ausstellungs- und Forschungsprojekts ist, dass nicht ein Narrativ gefüttert wird. Lebensrealitäten sollen so differenziert wie möglich abgebildet werden. Dazu gehören unterschiedliche Erfahrungen, gute wie schlechte. Wobei schnell klar wird: Die schlechten überwiegen.

Synästhetisches Rundumerlebnis

Das illustriert auch die Mehrheit der ausgestellten Kunstwerke, bei denen Themen wie Einsamkeit, Schmerz und Trauma im Vordergrund stehen. Der Berliner Künstler Christoph Wetzel hat zu der Ausstellung ein Ölgemälde beigesteuert. "Das jüngste Gericht" zeigt acht Kinder unterschiedlicher Herkunft, die mit entschlossenem, prüfendem Blick an einem Richterpult stehen. 

Das Publikum wird automatisch in die Position der Angeklagten versetzt. Es ist kein gutes Gefühl, vor dem Werk zu stehen, schließlich wird der Betrachter genauestens inspiziert, bewertet – vielleicht ein Spiegel dessen, was viele ausländische Kinder während ihrer Zeit in der DDR erfuhren: Ausgrenzung und Misstrauen.

Kiluanji Kia Hendas Foto-Triptychon hängt nur eine Wand weiter. Darauf zu sehen: der rostende und kaputte Rumpf der "Karl Marx, Luanda". Die Frontalansicht des Rumpfes wird von zwei Nahaufnahmen gerahmt. Das Schiff war ursprünglich Teil einer fortschrittlichen sowjetisch-angolanischen Fischfang-Initiative. Heute liegt es verlassen an einem Strand in der Nähe der Hauptstadt Angolas. 

Eine Arche Noah, die gekentert ist

Zu dem Kunstwerk gehört auch eine Installation vor den Fotografien: ein Kreis aus gesammelten Stücken des zerfallenden Schiffs. Das Ganze wirkt wie ein Mahnmal, ein wuchtiges Symbol für die Brüchigkeit der ambitionierten kommunistischen Zukunftsperspektiven und Versprechen. Eine Arche Noah der "Bruderländer", die gekentert ist, Träume und Hoffnungen versenkt hat.

Nicht nur für die Augen ist in "Echos der Bruderländer" etwas dabei, die Ausstellung ist ein synästhetisches Erlebnis. So gibt es neben den verschiedenen Kunstwerken auch Videos, Audiospuren und historische Dokumente ehemaliger DDR-Migranten. Dazu gehören Briefe, Arbeitsverträge und Fotos. Das Projekt ist eben nicht nur eine Kunstausstellung, in erster Linie geht es um politische und kulturgeschichtliche Aufarbeitung und Bildung. 

Umso wichtiger ist die Vermittlung. Hier schwächelt die Schau, denn Informationen zu den einzelnen Werken bekommt das Publikum ausschließlich über das dicke Handbuch, das beim Ticketkauf ausgegeben wird. Wer nicht bereit oder in der Lage ist, sich ausdauernd einzulesen, dem werden sich viele Exponate, Zusammenhänge und Kontexte nicht erschließen. Nicht einmal den Namen der Kunstwerke erfährt man ohne einen Blick ins Handbuch. Das erschwert den Zugang zu diesem relevanten wie überfälligen Thema. Gerade dazu wäre eine bessere Informationsvermittlung für Menschen jeden Alters wünschenswert.