Messebericht von der Abu Dhabi Art

Zwischen den Stühlen

Auf Saadiyat Island scheint während der Art Abu Dhabi nicht nur die Sonne, auch aus den Messekojen blitzt und blinkt es verführerisch. Während häufig noch auf große Namen und monumentale Werke gesetzt wird, sind es gerade junge Galerien aus dem mittleren Osten, die spannende Arbeiten präsentieren – und damit nicht nur bei Sammlern aus der Region auf reges Interesse stoßen.

Riesengroß, bunt gemischt, aus traditionellen Einzelteilen aber mit hoch moderner Konstruktion: So präsentiert sich in der Eingangshalle der Abu Dhabi Art 2012 die Installation „Chairs for Abu Dhabi“ des japanischen Künstlers Tadashi Kawamata. In diesem Gebilde lässt man sich nicht auf Beduinenbodenkissen, sondern auf Bielefelder Barock nieder, um Spoken-Word-Performances zuzuschauen oder kurze Chats mit Galeristen zu halten – mitten zwischen hunderten von Stühlen aus aller Welt, die Kawatama für das Projekt zusammengetragen hat. Ein Werk mit Symbolcharakter.

Etwas mehr als 50 Galerien nehmen in diesem Jahr an der Messe teil, die zum zweiten Mal auf der künftigen Museumsinsel Saadiyat Island stattfindet – die meisten aus den Dubai, aber auch viele aus asiatischen Ländern wie Korea. Unterteilt in vier Sektionen erstreckt sich die Abu Dhabi Art auf zwei Hallen und eine große Outdoor-Area. Die Unterscheidung erfolgt dabei thematisch und nicht räumlich – lediglich entsprechende Vermerke im Programm lassen deutlich werden, ob eine Galerie oder ein Werk zu den „Modern & Contemporary Galleries“, zu „Signature“, „Beyond“ oder zur „Bidaya“-Sektion gehören. Während die Signature-Galerien sich auf Werke eines Künstlers spezialisiert haben und in der Beyond-Sektion und vor allem große skulpturale Arbeiten gezeigt werden, wird mit Bidaya eine weniger etablierte Galerie ausgezeichnet – Bidaya, das heißt auf Arabisch „Anfang“. In diesem Jahr fiel die Wahl des Messekomitees auf die CDA Projects Gallery aus Istanbul. „Uns gibt es erst seit vier Jahren. Da ist so eine Messe natürlich eine tolle Chance, sowohl für uns als Galerie als auch für unsere Künstler“, freut sich Moiz Zilbermann, der auch schon vor der offiziellen Eröffnung Erfolge verbuchte: Beim VIP-Opening verkaufte er neben Janet Belottos „The Constellation“, einer Fotoarbeit für 5000 US-Dollar, auch eine der drei kleinen Keramik-Skulpturen der 1976 geborenen Künstlerin Burçak Bingöl, in denen sich organische und anorganische Formen vereinen und die vollständig mit goldener Farbe überzogen sind. Klischee hin oder her, was golden ist und glitzert scheint noch immer gut zu gehen.

Bizarrstes Beispiel ist wohl eine Arbeit des iranischen Künstlers Mehdi Nabavi: Eine 120 x 125 x 250 Zentimeter große, über und über mit funkelndem Spiegelmosaik überzogene Kanone mit dem Titel „Canon“, entstanden in diesem Jahr. „Dem Künstler geht es in dieser Arbeit um den Kontrast zwischen grausamen Inhalt und schöner Verpackung“, erklärt Minna Joseph von der Ayyan Gallery aus Dubai, auf deren Stand dieses Werk zu erwerben ist. Das dekadente Schussgerät ist stets wenn nicht von Kaufwilligen, dann doch zumindest von Schaulustigen umringt.

Ebenfalls mit hohem Zuschauerandrang hat die Paul Stolper Gallery aus London zu kämpfen – neben Damien-Hirst-Prints (Poster zu einem Schnäppchenpreis ab 5000 Dollar, natürlich signiert und nummeriert, einige bereits verkauft) gibt es dort auch zwei ikonische Gold-Schädel zu erwerben: „Heavenliy Glorius Magnificent Gold Head“ und „Magnificent Cold Gold Sunset Head“, beide aus dem Jahr 2011, jeweils in einer Edition von 30. Neben großen Galerien wie Gagosian oder Hauser & Wirth, die meist auf ebenso große Namen setzen, sind es vor allem jüngere Galerien aus dem arabischen Raum, die spannende Künstler im Programm haben – unter ihnen die Athr-Gallery aus Jeddah in Saudi-Arabien: Die Rückwand ihrer Koje wird fast vollständig von einem Werk des Multimediakünstlers Ayman Yossri Dayban in Beschlag genommen. Dayban arbeiten mit Filmstills aus „The Message“, ein Kultfilm des syrischen Regisseurs Mustafa Aqqad, der das erste (und friedliche) Zusammentreffen von christlichem und muslimischem Glauben zum Thema hat. „Wir zeigen Kunst, die charakteristisch für Saudi-Arabien ist. Die Neugier ist groß, da es sich ja um eine sehr geschlossene Gesellschaft handelt“, erklärt Galeristin Maya El Khalil. „Interessanteweise sind es hier häufig die europäischen Galerien, die Kunst aus dem Mittleren Osten präsentieren.“ Einige der Werke sind bereits reserviert. „Der Hauptteil der Interessenten kommt aus dem mittleren Osten, aber es gibt auch einige europäische Sammler.“ In diesem Jahr nahm die Athr Gallery auch zum ersten Mal an der Art Berlin Contemporary teil und verkaufte dort ein Werk von eben jenem Dayban.

Die libanesische Galerie Janine Rubeiz liefert mit „Don’t feed the artist“ den ungewöhnlichsten Messebeitrag: In einem Glaskäfig mit einer Grundfläche von neun Quadratmetern fertigt der 1975 geborene Künstler Mazen Kerbaj vor den Augen der Besucher Zeichnungen an, die in ihrer rohen, archaischen Art an Picasso oder Basquiat erinnern. „Ich bin auch Musiker und performe gerne vor einem Publikum. Wenn man Kunst macht, geschieht das ja meist in Einsamkeit“, erklärt Kerbaj. Während des Messezeitraums entstehen immer mehr Werke, die an den Wänden des Käfigs befestigt werden und nach und nach den freien Blick auf den Künstler einschränken. „Es ist ein bisschen wie im Zoo, aber ich achte kaum auf die Menschen. Die Tatsache, dass ich beobachtet werde, spornt mich dazu an, noch mehr zu arbeiten“ – und das muss er auch, wenn er am letzten Messetag vollständig hinter seinen Arbeiten verschwinden will: Zwei sind schon verkauft und wurden auf Wunsch der Käufer abgehangen.

Dass mittlerweile neben Malerei und Skulptur auch Performances und Videoarbeiten zu sehen sind, ist eine für Abu Dhabi Art neue Entwicklung. Moiz Zilbermann zeigt mit der CDA Projects Gallery zwei Videos, darunter auch das auf Star Wars referierende „Consumption of War“ des irakischen Künstlers Adel Abidino, der bereits im finnischen Pavillion auf der Venedig Biennale 2007 vertreten war. Zilbermann: „Für Fotografie und gerade auch Videokunst ist es noch etwas zu früh, es gibt noch keinen Markt. Aber in Istanbul war es vor fünf Jahren ähnlich und jetzt verkaufe ich dort gut. Es wird in Abu Dhabi genauso verlaufen.“

Veränderungen gibt es nicht nur im Kunst-, sondern auch im Selbstverständnis des nicht nur, aber überwiegend arabischen Publikums. Das erlebt auch die Kölner Galeristin Brigitte Schenk, die bereits seit über zehn Jahren in der Region tätig ist und die am ersten Abend unter anderem ein Werk von Halim Al-Karim mit dem Titel „New Orientalism 7“ für 35.000 US-Dollar verkaufte: „Anfangs war die Eröffnung für Frauen noch getrennt von der Eröffnung für Männer. Man konnte mit den Scheichinnen sprechen, sie kamen oft spät nachts. Ich kann mich noch an die dritte Messe im Emirates Palace erinnern: Wir wurden gebeten, nachts an unseren Stand zu kommen, damit sie sich die Arbeiten anschauen konnten. Heute hinterlassen sie ihre Email-Adressen, sie sind nicht mehr so zurückhaltend“. Der Eindruck bestätigt sich beim Durchqueren der Messehallen: Frauen in aufwändig verzierten, traditionellen Abayas laufen neben solchen in schicken, kurzen Partydresses, die Männer wählen zwischen der weiße Dischdascha und schmalen Hipster-Hosen. Das Publikum ist auffällig jung und interessiert. Zum ersten Art-Talk mit Anish Kapoor ist das Auditorium  bis fast auf den letzten Platz besetzt, bei der Gesprächsrunde mit Frank Gehry, Jean Nouvel and Norman Foster bilden sich Menschentrauben um die Monitore in der Eingangshalle – hier war schon vor Beginn kein Einlass mehr.

Abu Dhabi Art, Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate