Schlingensief-Buch "Ich weiß, ich war's"

Ein bisschen Wohlwollen

Sie habe, sagt Aino Laberenz, die Ehefrau des Verstorbenen, das Buch auf keinen Fall wie einen Nachruf klingen lassen wollen. Doch mit seiner Autobiografie, die mehr als zwei Jahre nach seinem Tod als „Vermächtnis“ erscheint und von ihr herausgegeben wird, ist es wie mit der Ausstellung im deutschen Pavillon in Venedig 2011: Sie erinnern an die Außergewöhnlichkeit des Künstlers und an das Ausmaß des Verlusts.

„Ich weiß, ich war’s“ setzt sich vor allem aus mündlichen Aufzeichnungen zusammen. Irgendwann, erzählt KiWi-Verlagsleiter Helge Malchow, habe er bei ihm in der Berliner Wohnung gesessen und gesagt: „Schreib doch mal ’ne Autobiografie!“ Aus Scheu vor einer endgültigen Niederschrift entwickelte Schlingensief das Liveformat einer Lesereise, bei der er tat, was er am besten konnte: auf der Bühne über Persönliches und Generelles, Biografisches und Gesellschaftliches sprechen. Die transkribierte wörtliche Rede ist nicht nur Stilmittel, sondern auch die Substanz selbst.

Die Beiträge sind in einem behutsamen Cut-up-Verfahren versetzt mit Blog-Einträgen, Interviews und einem Schulaufsatz. Nicht chronologisch oder nach Wichtigkeit der Ereignisse, sondern so mäandernd und stets um jene Fragen kreisend wie die Filme, Aktionen, Theaterstücke: Was kann der Einzelne? Wie kann man gegen den Konsens antreten?

Schlingensiefs Antrieb war immer künstlerisch. 1975 ging er mit seinem Vater zu einem Vortrag im Lions Club. Joseph Beuys sprach, die Herren dösten vor sich hin, bis Beuys sagte: „Dieses System ist in sieben Jahren komplett zerstört.“ Die Leute bei ihren Überzeugungen, bei ihrer Angst zu packen, das merkte sich Schlingensief.

Gnadenlos spielte er die Dinge durch, statt sie nur vorzuspielen. Den Asylbewerbercontainer zu den Wiener Festwochen, die Arbeitslosen, die am Wolfgangsee Helmut Kohl fluten sollten. Maximal engagiert, auch peinlich und pathetisch. Das kommt dem Begriff Vermächtnis vielleicht am nächsten: die Einsatzbereitschaft zu schärfen gegen den Chor der Verhinderer. „Es ist so wichtig, dass wir dahin kommen, einfach zu sagen: Ja, mach doch, ich freu mich, das ist super, leg doch los. Das muss drin sein. Ein bisschen Wohlwollen.“

Aino Laberenz (Hrsg.), Christoph Schlingensief: „Ich weiß, ich war’s“. KiWi, 300 Seiten, 19,99 Euro