20 Jahre "Texte zur Kunst"

Und sonst so, Kollege?

Herr Beckstette, seit Oktober sind Sie Chefredakteur von „Texte zur Kunst“. Wie wollen Sie das Heft neu positionieren?
Grundsätzliche Änderungen an der inhaltlichen Ausrichtung plane ich erst einmal nicht. Allerdings fände ich es wichtig, die Struktur ein wenig aufzulockern beziehungsweise auszuweiten. Mit der März-Ausgabe werden wir beispielsweise eine neue Rubrik einrichten, die „Klang Körper“ heißen wird. Diese Sektion gibt uns die Möglichkeit, nicht nur über die Politik von Sound nachzudenken, sondern gleichfalls Musik, Theater und Performance intensiver zu behandeln, sowie Probleme zu diskutieren, die in den jüngsten anglo-amerikanischen Geisteswissenschaften im Zuge einer sensual revolution virulent geworden sind. Dahinter verbirgt sich die Hinwendung zur Kultur der Sinneswahrnehmung, ein Feld, das von der Kunstwissenschaft hierzulande noch nicht genügend beachtet wird.

Inwiefern sehen Sie denn das Magazin immer noch vom cultural-studies-Import vom amerikanischen Journal „October“ bestimmt?
Gerade in der Anfangszeit von „Texte zur Kunst“ sind einige Beiträge aus „October“ erstmals in deutscher Übersetzung in unserem Magazin erschienen. Dieser Schritt war damals wichtig, um die in den USA geführten Diskurse über Kunst und Theoriebildung nach Deutschland zu tragen. Komplette Essays würden wir aus „October“ schon lange nicht mehr veröffentlichen, aber Autoren und Autorinnen wie Benjamin H. D. Buchloh, die auch dort publizieren, schreiben auch für uns.

An welche Leser wendet sich Ihr Heft?
„Texte zur Kunst“ ist erst einmal ein Fachmagazin, das sich generell an alle Kunst- und Kulturinteressierte wendet. Das können Künstler genauso gut sein wie Kunstwissenschaftler, aber auch Laien. Seit einigen Jahren besitzt „Texte zur Kunst“ zudem eine englische Sektion, die uns zu eine der wenigen Zeitschriften im deutschsprachigen Raum macht, die international ausgerichtet ist. Dadurch verfügen wir über eine große Leserschaft etwa in den USA.

… wie Monopol mit seiner neuen englischen iPad-App. Inwiefern will „Texte zur Kunst“ sich vom Feuilleton abgrenzen?
Beiträge aus „Texte zur Kunst“ unterscheiden sich meiner Meinung nach von Kunstkritiken im Feuilleton grundsätzlich. Es handelt sich um vollständig andere Formate, weshalb ich da gar keine Konkurrenz sehe. Die in Tageszeitungen abgedruckten Artikel müssen meist schnell geschrieben werden und geben in der Regel einen ersten Eindruck einer Ausstellung wieder. Die Kunstkritiken bei uns sind erstens meist länger, so dass sie mehr Raum zur Entwicklung komplexerer Argumentationen bieten. Wichtiger scheint mir jedoch, dass wir uns zweitens als Redaktion sehr eindringlich mit den eingehenden Beiträgen auseinandersetzen. Oftmals gehen dem fertigen Artikel mehrere redaktionelle Durchläufe voraus, ein Arbeitsaufwand, der sich in der Zeitungsproduktion mit täglichem Termindruck kaum bewerkstelligen lässt. Dass zu unseren Autoren und Autorinnen auch Journalisten zählen, die in den großen deutschsprachigen Tageszeitungen schreiben, zeigt, dass sie „Texte zur Kunst“ als Plattform schätzen, um bei uns tiefer gehende Analysen zu entwickeln und Themen anzusprechen, die in der Tageszeitung keinen Platz finden.

Glauben Sie, dass es so etwas wie Diskurshoheit in der deutschen Kunstkritik gibt?
Tatsächlich würde ich soweit gehen, dass es kein vergleichbares Organ in Deutschland gibt, in dem sich akademische Kunstgeschichte mit philosophischer Kunsttheorie und Kritik an Prozessen innerhalb der Gesellschaft verbindet. Im Laufe der letzten 20 Jahre hat „Texte zur Kunst“ sich damit eine Stellung erarbeitet, die polarisiert: Die einen lieben das Magazin für seine Eigenständigkeit, die anderen hassen es und halten es für selbstbezüglich. Gleichgültig steht ihm kaum jemand im Kunstbetrieb gegenüber.

Wohin die Gegenwartskunst steuert, ist umstritten. Was ist Ihre Meinung und wie lässt die zeitgenössische Kunst sich publizistisch begleiten?
Die Gegenwartskunst wird sich in immer kleinere Szenen aufspalten, die sich unter Umständen kaum noch gegenseitig wahrnehmen. Mit einer Erscheinungsfrequenz von vier Heften im Jahr mit circa 100 Besprechungen insgesamt (Bücher, Filme, Ausstellungen etc.) lässt sich natürlich nicht das ganze Spektrum der Gegenwartskunst abdecken. Das war allerdings noch nie das Anliegen von „Texte zur Kunst“. Von Anfang an ging es den Gründern des Magazins darum, bestimmte Phänomene zeitgenössischer Kunst und Kultur vor ihrem gesellschaftspolitischen Hintergrund zu sehen und kritisch zu beleuchten. Diese Perspektive hat nichts von ihrer Aktualität verloren, im Gegenteil.

Gegenwartskunst ist viel populärer geworden als noch zur Gründungszeit des Heftes. Wie kann das Heft auf die Dominanz des Marktes reagieren?
Die Rolle des Marktes wurde bereits bei der Gründung von „Texte zur Kunst“ berücksichtigt, schließlich entstand die Zeitschrift nach dem Kunstmarktboom Ende der 80er-Jahre. Schon in den ersten Heften finden sich deshalb Besprechungen von Ausstellungen in Galerien gleichberechtigt neben Rezensionen von Museumspräsentationen. Zwar scheint die Gegenwartskunst heute akzeptierter zu sein als vor vierzig Jahren. Dafür muss jedoch ein anderer Bereich entschieden gestärkt werden, nämlich der einer Kunstkritik, die in der derzeitigen Medienlandschaft kaum noch Foren für sich besitzt. Doch ist gerade eine unabhängige Kunstkritik notwendig, um eine präzise Positionierung auch gegenüber den Mechanismen des Marktes zu entwickeln.

Wie finanziert sich das Magazin?
„Texte zur Kunst“ ist ein privatwirtschaftliches Unternehmen mit drei Standbeinen. Wie die meisten publizistischen Produkte leben wir vom Verkauf unserer Hefte sowie von Anzeigen. Außerdem erscheinen zu jeder Ausgabe mindestens zwei Editionen von Künstlerinnen und Künstlern, die wir ebenfalls unseren Sammlerinnen und Sammlern anbieten.

Ausstellung „Mit Deiner Kunst. Editionen 1990-2010“: 11.-22. Dezember 2010 in der Sammlung Haubrok, Berlin. Am 11. Dezember findet im Berliner Hebbel-Theater am Ufer das Symposium „Wo stehst Du, Kollege? Kunstkritik als Gesellschaftskritik“ statt