Fotofestival Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg

Den westlichen Blick vermeiden

Frau Ovesen, Ihr Festival trägt den Titel „The eye is a lonely hunter. Images of humankind”. Erklären Sie ihn bitte!
Er bezieht sich auf Carson McCullers‘ Roman „The heart is a lonely hunter“ von 1940. In diesem Buch verleiht die junge Autorin denen eine Stimme, die im Amerika der 30er-Jahre nicht gehört wurden: einem Kind, einem ambitionierten afroamerikanischen Arzt, einem Wanderarbeiter. Mit Blick auf die Fotografie haben wir „Herz“ durch „Auge“ ersetzt. Unser Festival hat wie McCullers‘ Buch den Anspruch eines demokratischen Blicks. Wir möchten Bilder zeigen, die nicht jeden Tag durch die Medien gehen. Das Auge als „einsamer Jäger“ ist ein Auge, das nach der Besonderheit sucht, nach der Andersartigkeit und nach Aspekten der Realität, die keine schlichten Erweiterungen des Selbst des Fotografen sind. Unser zweiter Bezugspunkt ist die berühmte Fotoausstellung „The Family of Man“, die Edward Steichen in den 50ern fürs MoMA zusammenstellte. Wir fragen uns nun: Wie könnte ein Bild der Menschheit im Jahr 2011 aussehen?

Haben Sie Antworten gefunden?
Ein Porträt der Menschheit in seiner Gänze darzustellen, ist natürlich unmöglich. Wir haben uns deswegen auf Dokumentartendenzen in der Gegenwartskunst fokussiert und auf fünf Themenbereiche geeinigt, die wichtige Fragen verhandeln wie „Ökologische Kreisläufe“, „Affekt und Wirkung von Politik“ oder „Das alltägliche Leben“. Jedem Thema wird einer der insgesamt sieben Standorte in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg zugeordnet. Hinzukommen zwei monografische Ausstellungen.

Was tragen die einzelnen Städte zum Festival bei?
Als Universitätsstadt mit einem ethnografischen Recherchezentrum bietet Heidelberg direkte Anknüpfungspunkte an unser Thema. Das Wilhelm-Hack-Museum und der Kunstverein in Ludwigshafen haben uns sehr unterstützt. In Mannheim haben sich sowohl private Sponsoren als auch die Stadt intensiv für Deutschlands größtes kuratiertes Fotofestival engagiert. So wurde es zum Beispiel möglich, dass der Schweizer Beat Streuli im Juli Passanten in der Mannheimer Innenstadt fotografieren konnte. Aus diesen Bildern entsteht nun eine Fotowand, die in der Nähe des Alten Messplatzes zu sehen sein wird – eine unmittelbare Verbindung zwischen „Images of Humankind“ und Mannheim.

Nach welchen Kriterien haben Sie die teilnehmenden Künstler ausgewählt?
Es war uns wichtig, Arbeiten zu präsentieren, die sehr gut recherchiert sind, etwa hinsichtlich des historischen oder sozialen Kontexts. Deswegen interessiert uns die Dokumentarfotografie – der Künstler als Forscher. Wir zeigen auf dem Festival aber auch inszenierte Fotografien. Außerdem war von Anfang an klar, dass wir Künstler aus vielen verschiedenen Ländern auswählen.

Welchen Blick bietet das Festival auf Gebiete, die früher europäische Kolonien waren, etwa Afrika?
Im Gegensatz zu Steichens „The Family of Man“ vermeiden wir den vorrangig westlichen Blick auf die ehemals kolonisierten Länder. Stattdessen möchten wir Innenansichten bieten. In Afrika beispielsweise ließen wir uns von Arbeiten Pieter Hugos inspirieren, der in seinen Porträts mit Stereotypen des Schwarzseins spielt. Seine Serie „Nollywood“ schwankt zwischen Rolle und echter Person. Wir zeigen aber auch „Post-election violence“ von Boniface Mwangi, eine Dokumentation der Unruhen nach den gefälschten Wahlen 2008 in einem Slum von Nairobi. Solche Bilder hätte kein anderer Fotograf schießen können. Sie sind ein Akt demokratischer Zivilcourage, der in Kenia zwar eine öffentliche Plattform findet, aber eine internationale braucht. Dass wir und viele anderen Kunstinstitutionen Mwangis Fotos zeigen, trägt vielleicht etwas dazu bei, dass die nächsten Wahlen in Kenia menschlicher ablaufen.

Was sind Ihre persönlichen Highlights?
Da ist es schwierig, sich zu beschränken. Einer meiner Favoriten ist Yang Yongliang mit seinem neun Meter langen „Artificial Wonderland NO. 1“. Von weitem erinnert es an eine traditionelle chinesische Tuschemalerei mit Bergen, Wasser und Himmel, perfekt durchkomponiert. Von nahem aber entdeckt man Hochhäuser und Fabriken in der vermeintlichen Idylle. Außerdem faszinieren mich die Fotos von Philippe Chancel, die das nordkoreanische Massenspektakel „Arirang“ zeigen: Ein Individuum ist darin nicht mehr als ein Pixel in einem digitalen Bild.

„The eye is a lonely hunter. Images of Humankind”, 4. Fotofestival Mannheim_Ludwigshafen_Heidelberg, kuratiert von Solvej Ovesen und Katerina Gregos, 10. September bis 6. November