Kunst- und Konsumforschung

Schöne Dinge motivieren die Menschen

Die Historikerin Sheilagh Ogilvie forscht an der Universität Cambridge über die Lust am Luxus im 17. Jahrhundert. Und fand heraus: Ohne Kunst und andere unnütze Dinge kein gesellschaftlicher Fortschritt

Frau Ogilvie, Sie durchforsten Inventar­listen aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert. Darin haben die Stadtschreiber akribisch festgehalten, was jeder einzelne Bewohner besaß. Wozu machen Sie das?
Wir glauben, vereinfacht gesagt, dass die starke gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung, die mit der industriellen Revolution einhergegangen ist, im Vorfeld durch etwas vorbereitet wurde, was wir die Konsumrevolution nennen.

Was hat Entwicklung mit Kunstwerken oder roten Strümpfen zu tun?
Entscheidend war, dass auf den Märkten des 17. Jahrhunderts auf einmal besonders attraktive und bezahlbare Waren auftauchten, exotische Produkte wie Kaffeegeschirr oder neuartige Stoffe. Aus heutiger Sicht waren das Luxusprodukte. Sie haben vor allem die Frauen fasziniert. Sie verbrachten weniger Zeit mit Arbeiten im eigenen Haus, sondern versuchten, eigenes Geld zu verdienen, um sich davon auf dem Markt eine Porzellantasse oder ein schönes Bild kaufen zu können.

Der Wunsch, schöne Dinge zu besitzen, führt zu gesellschaftlicher Entwicklung und Wirtschaftswachstum?
Genau. Schöne Dinge motivieren die Menschen; daraus kann sich ein stabiler Kreislauf entwickeln, der sich sozusagen selbst am Leben erhält. Dass das in England und den Niederlanden um 1650 so war, gilt als relativ gut erforscht. Deutschland entwickelte sich wirtschaftlich viel später.

Was halten Sie von der These, die Konsumgesellschaft habe die Menschen verführt und verdorben?
Wenn wir Dokumente hätten zu den Besitztümern der Menschen im alten Ägypten, fänden wir selbst darin Dinge, die unserem heutigen Verständnis von Kunst und Luxus entsprächen. Auch unsere Forschung belegt sehr schön, dass der Sinn für das vermeintlich „Unnütze“ so etwas ist wie eine anthropologische Grundkonstante. Sobald Menschen auch nur ganz geringfügig mehr Geld haben, als sie für ihr tägliches Überleben benötigen, fangen sie an, es für schöne Dinge auszugeben. Dementsprechend wichtig wurde dann in der Konsumrevolution der ausgedehnte Handel mit gedruckten Bildern.

Allerdings befand die Oberschicht, dass sich das normale Volk zu sehr für ästhetische und luxuriöse Gegenstände interessiere.
Die Eliten fürchteten negative Konsequenzen, wenn es tatsächlich für alle Milieus und Geschlechter mehr soziale Mobilität, wachsende Lebensstandards und Gleichberechtigung gäbe. Konsum an sich für schlecht zu halten scheint eher ein Hobby der gebildeten Eliten zu sein und richtet sich meist gegen die Masse. Jemanden für sein Kunstinteresse zu kritisieren zeigt eher eine anti-elitäre Haltung – möglicherweise als Gegenreaktion auf die elitäre Kritik am Massenkonsum.

Das Interesse für Kunst und Design wird ja häufig als hübsche Beschäftigung, aber gesellschaftlich wertlos angesehen.
Anstatt diesen Sinn für Design und Kunst zu verurteilen, sollten sich Bildungseinrichtungen eher Gedanken machen, wie man diesen Sinn noch besser ausbilden kann, wie man das menschliche Talent, Dinge zu entwickeln, die anderen gefallen oder sie unterhalten, noch befördern kann.

Das vollständige Interview finden Sie in Monopol 9/2011