Ausstellung in Brandenburg

Ein Riss in allen Dingen

Seit 24 Jahren bringt die Ausstellungsreihe Rohkunstbau Gegenwartskunst ins Berliner Umland. Im brandenburgischen Schloss Lieberose setzen sich Künstler diesmal mit gesellschaftlicher Spaltung auseinander

Es ist schon beeindruckend, das Schloss Lieberose im ungefähr zwei Stunden von Berlin-Mitte entfernten Dahme-Spreewald-Kreis in Brandenburg. Das barocke Baudenkmal mit seinen durch die Jahre gezeichneten Mauern, das wie verwunschen in dem 1.400-Seelen-Dorf Lieberose nahe der polnischen Grenze steht, ist diesjähriger Ausstellungsort der Reihe Rohkunstbau. Gefördert von der Heinrich-Böll-Stiftung präsentiert die Ausstellungsserie seit 1994 künstlerische Projekte. In diesem Jahr wollen neun Künstler sowie ein Künstlerduo unter dem Titel "Achtung – Mind the Gap" eine immer größer werdende "Lücke" sichtbar machen, eine Spaltung der Gesellschaft durch Diskriminierung, Konflikte und Spannungen. 

Beinahe intuitiv bewegt man sich durch die kühlen Gewölbe, verwinkelten Gängen und versteckten Räumen. Die Rauminstallation "Spaltenraum und Strahlenriss" des deutschen Künstlerpaares GODsDOGs nimmt Bruchlinien zwischen Stadt und Land in den Blick: Mittels Pseudosolarisation - einer Verfremdungsmethode in der Fotografie - überführt das Duo Landschaftsaufnahmen, die in Brandenburg entstanden sind, in die Welt des Fantastischen. Die Landschaftszeichnungen der US-Künstlerin Laura Bruce erweitern diesen Gedanken, sie nehmen Regionen in den Fokus, die in der "gap" zwischen Land und Stadt entstehen und die durch ihre ambivalente Lage in Vergessenheit geraten.

Kurator Mark Gisbourne geht es um die Verbindung mehrerer Ebenen: "Es mag zunächst seltsam erscheinen: eine internationale Ausstellung, die den Titel einer Bahnsteigdurchsage trägt. Das Englische 'to mind' mahnt zur Vorsicht, zum Sich-in-Acht-Nehmen; gleichzeitig deutet 'the gap' auf einen Raum hin, der ein gefährlicher Riss, ein potenzieller Bruch oder eine Verletzungsursache ist, ein ungelöster Zustand des Dazwischen."

Mit solchen ungelösten Zuständen beschäftigt sich auch die 1977 in Istanbul geborene Nilbar Güreş. Provokant und zugleich humorvoll lässt sie den "Riss", der durch das Aufeinandertreffen kontroverser Lebensweisen entsteht, sichtbar werden. Dies ist sowohl ihren fotografischen Arbeiten "Head Standing Totem" und "Wildness" als auch ihrer gestrickten doppelköpfigen Schlangenskulptur "Double Headed Snake: Queer Desire is Wild" abzulesen: Gegenbilder zu geschlechterspezifischen Rollenmustern.

Auch Roman Korovin arbeitet mit Humor. In seiner Rauminstallation "Kasper Loves Daiga", bestehend aus willkürlich arrangierten kleinformatigen Fotografien und Objekten, thematisiert der 45-jährige Lette den Bruch, der durch Fehlkommunikation und -interpretation entsteht. Korovin setzt die Fotografien, die wie kleine Stillleben an der Wand hängen, in einen neuen Kontext: Ein von der Seite fotografiertes Würstchen, das dicht an seiner abgepellten Haut ruht und wie entblößt auf einem sterilen Fensterbrett liegt, trägt die Bildunterschrift "Nude – Nackt".

Das Konzept der Ausstellung geht auf. Ohne allzu dominant zu sein, werden das Schloss und seine Umgebung in die Kunst einbezogen. So wie in der Videoinstallation der australisch-britischen Multimedia-Künstlerin Kate McMillan: "Instructions of Another Future (My Feet Are Ears)" zeigt dem Betrachter die unsichtbare Lücke zwischen  Identitäten. In Bildern, die im Schloss selbst entstanden sind, manipuliert sie das Gefühl von Zeit. Die Wahl der Protagonistinnen, die sich in Alter und Ethnie unterscheiden, lässt Rückbezüge auf die Geschichte des europäischen Imperialismus und gleichzeitig Parallelen zum heutigen Europa zu, auch die Geschichte des Schlosses, seine maroden Mauern und der Schlosspark. "Nach europäischer Vorstellung gibt es eine Bewegung von der Vergangenheit in die Zukunft. In Australien herrscht hingegen die Idee vor, dass man die Vergangenheit in die Zukunft trägt", so McMillan. "Es gibt immer verlorene Geschichte. Vielleicht ist dort Hoffnung für die Zukunft."