Nick Zedd und Richard Kern im Interview

"Wir lebten am Abgrund"

"Rebellisch sein, Spaß haben, ficken, neue Dinge kennen lernen und so viele Regeln wie möglich brechen" wollten die New Yorker Underground-Filmer vom Cinema of Transgression, dem die Berliner KunstWerke zur Zeit eine Ausstellung widmen. Richard Kern und Nick Zedd, Mitbegründer der Bewegung, blicken zurück

Nick Zedd, Richard Kern, erinnern Sie sich an Ihre Beweggründe: Warum haben Sie diese drastischen Filme gedreht?
Nick Zedd: Aus Rachelust gegen die Kulturdominanz und um uns durchzusetzen. Wir hatten kaum Geld, als wir in den 80er-Jahren anfingen, Super-8-Filme zu drehen. Deshalb arbeiteten wir mit dem, was da war.

… mit geklauten Kameras zum Beispiel. Und deshalb wollten Sie mit so viel Blut und Hardcore-Sex in heruntergekommenen Behausungen und in den Straßen der Lower East Side schockieren?
Nick Zedd: Ja, da war eine gewisse Verzweiflung. Wir lebten einfach am Abgrund. Es gab Drogen, manchmal verkauften wir welche, teilten uns die Lover. Wir versuchten unsere Marke in die Welt zu setzen. Das Kunst-Establishment zu der Zeit ignorierte uns, die Medien übergingen uns. Das war Zensur durch Auslassung und Ignoranz. Deshalb schufen wir unsere eigenen Medien.

Sie verfassten sogar ein Manifest und definierten darin das Cinema of Transgression, das "Kino der Überschreitungen".
Nick Zedd: Ja, ich gab ein Magazin heraus, das "Underground Film Bulletin", und benutzte Pseudonyme. Darin schrieb ich über Richards und meine Filme und die von den anderen. Mit unserem eigenen Medium gingen wir auf Kollisionskurs mit der dominanten  Kultur. Die wiederum dämonisierte uns. Aber das führte auch zu mehr Beachtung.

Was hat Sie in Ihrer Kindheit beeinflusst?
Nick Zedd: Die „Dark Shadows“, das war eine Horror-Soap-Opera auf ABC um vier Uhr früh. Die war so richtig selbstgemacht, low budget, das Programm bestand aus Vampiren und Werwölfen. Die haben mich stark beeinflusst. Das kapierte ich erst viel später. Als ich nach New York zog, war es der Punk-Rock. 

Sie arbeiteten mit Sonic Youth zusammen. Haben sie auch selbst Musik gemacht?
Nick Zedd: Später erst. Richard hatte eine Band, die „Black Snakes“, in den späten 80ern.
Richard Kern: Jeder wollte eine Band haben, es war die große Sehnsucht. Für mich war es reine Zeitverschwendung.

Warum?
Richard Kern: Jeder in der Band war ein Junkie. Die Band zerfiel, bevor wir irgendwas erreichten. Das war nur sinnlos. Ich hörte auf, Filme zu machen, um ein Rockstar zu werden – es war so bescheuert! Das war die Anfangszeit des Grunge.

Was aber war so anders am Filmemachen in den 80er-Jahren?
Richard Kern: Ich denke die Leute machen ihre eigene Version von der gleichen Sache. Sogar Zeugs wie die Stuntshow „Jackass“ ist wie transgressives Filmemachen.
Nick Zedd: Heute haben sie Skateboards. (lacht)
Richard Kern: Und Youtube. Man hat alles zur Verfügung und stellt es online. Als wir Filme machten, mussten wir losziehen und sie vorführen – das ist der Unterschied.

Wie ist es für Sie, wenn Sie jetzt die Filme aus einer gewissen Distanz betrachten?
Nick Zedd: Ich denke, sie halten immer noch her für gute Unterhaltung. Zugleich geben sie einem dieses ungute Gefühl. Ich verstehe nur nicht, warum es so lange gedauert hat, bis sie Beachtung fanden. Historisch gesehen waren wir zwanzig Jahre lang hermetisch abgeschnitten. Jeder ist doch irgendwie nostalgisch veranlagt, will seine Jugendjahre aufleben lassen. Kunst soll stören und verstören. Und: Die Pornografie von gestern ist die Kunst von morgen.

KW Institute for Contemporary Art, Berlin, bis 9. April 2012. Am 21. Februar um 19.30 Uhr findet in der Ausstellung ein öffentliches Gespräch mit Nick Zedd statt, am 22. Februar um 19.30 Uhr mit Richard Kern