David Chipperfield

"Ein guter Raum für Kunst ist immer gleich, egal für welche Kunst"

Während Berlinbesucher vor David Chipperfields Neuem Museum noch Schlange stehen, holt der britische Architekt bereits zum nächsten Schlag aus: Am Wochenende eröffnet das von ihm neu gestaltete Museum Folkwang. Ein Gespräch über den Unterschied zwischen Essen und Bilbao, ideale Ausstellungsräume und die Debatte über das Berliner Stadtschloss.

 


Herr Chipperfield, der Museumsboom hält an, und Ihr Büro ist gerade auf diesem Feld eines der weltweit erfolgreichsten – regelmäßig schlagen Sie die Konkurrenten aus dem Feld.

Sie haben recht: Wir bauen viele Museen. Vor Kurzem haben das Anchorage Museum in Alaska und das Liangzhu Museum in China eröffnet. In diesem Jahr wird die Arbeit am Turner Contemporary in Margate abgeschlossen sein. Sogar im Sudan planen wir derzeit ein archäologisches Museum.

 

Nun eröffnet Ihr Neubau des Museum Folkwang in Essen. Warum will die Welt immer mehr Museen?

Viele Kommunen glauben, dass ihre Stadt durch neue Museen an Attraktivität gewinnt. Und wenn sie neue Museen wollen, dann sollen sie neue bauen! Kultur ist schließlich tatsächlich wichtig für die Gesundheit einer Stadt, für ihre soziale und ökonomische Entwicklung. Kultur ist heute vor allem ein Faktor der Regeneration. Die Menschen haben mehr Freizeit – und sie interessieren sich für Kultur. Museen sind die neuen öffentlichen Bauten schlechthin. Und nicht zuletzt sind es Gebäude, die uns Architekten viele Möglichkeiten und viel Freiheit bieten.

 

In Essen war die Vorgabe, dass Sie ein Gebäudeteil von 1960 integrieren. Was sonst waren die spezifischen Anforderungen für den Bau?

Das Museum Folkwang ist eine sehr wichtige Institution für die Stadt Essen. Wir wollten, dass das auch sichtbar wird.

 

In welcher Weise?

Wir haben den öffentlichen Charakter des Gebäudes betont. Es öffnet sich jetzt mit einem Innenhof zur Straße hin, zur Stadt, und ist durch die vielen großen Fenster sehr durchlässig. Außerdem wollten wir mehr Übersichtlichkeit herstellen. Dafür haben wir alle für die Öffentlichkeit gedachten Räume auf einer Ebene im Erdgeschoss angesiedelt.

 

Anders als beim vorherigen Anbau aus den 80er-Jahren, der Ihrem Museumsbau weichen musste.

Beim Vorgängerbau aus den 80er-Jahren fand man sich sehr schwer zurecht. Deshalb wurde er auch abgerissen. Der Trakt von 1960, der erhalten wurde, ist dagegen mit seinen Innenhöfen hell und übersichtlich. Wir mussten den Erweiterungsbau – eigentlich ist es ein komplettes neues Museum – mit dem bestehenden Trakt zu einem einheitlichen Gesamtkomplex zusammenfügen. Wir haben die Helligkeit und die Höfe übernommen und haben den Eingangsbereich so freundlich und offen wie möglich gemacht. Die Grundidee ist die eines Dorfes, in das man von der Straße leicht hineinfindet. Das Haus bringt den Besucher auf die denkbar einfachste Weise zur Kunst.

 

Das neue Museum Folkwang sieht klar und rational aus, weniger expressiv. Es vermeidet spektakuläre Gesten. Viele Kommunen wollen heute sensationelle Architektur wie die von Frank Gehry für das Guggenheim Museum in Bilbao, um möglichst viele Besucher anzulocken. Ist das Folkwang-Museum ein Anti-Guggenheim?

Folkwang ist nicht Guggenheim. Zum einen besitzt das Museum Folkwang eine eigene, sehr bedeutende Sammlung moderner Kunst. Das Guggenheim Museum in Bilbao hingegen ist für Wechselausstellungen konzipiert. Zum anderen sollte ein Museum grundsätzlich ein wichtiger Teil der kulturellen Infrastruktur eines Ortes sein. Wenn ein Museum diesen Zweck im Dienst der Kommune erfüllt, wenn es der Kunst dient und die Kunst in der bestmöglichen Weise präsentiert, dann erfüllt es seine Aufgabe. Architektur als kurzfristige Sensation und Nervenkitzel ist das Gegenteil.

 

Aber für manche Auftraggeber scheint das Konzept immer noch attraktiv.

Bilbao hat in der Tat die architektonische Landkarte etwas durcheinandergebracht. Man sollte aber daran erinnern, dass die spanische Regierung damals einer Region, die unabhängig werden wollte, etwas geben wollte. Und man wollte in einer vergleichsweise wenig attraktiven Stadt ein bauliches Highlight schaffen.

 

Das könnte man ja mit Essen vergleichen.
Ein wenig. Der Hauptkritikpunkt an Bilbao ist aber, dass das Museum dort für die Fremden, nicht für die Bewohner da ist. Für die meisten Einheimischen ist es – siehe die Restaurants – wohl auch zu teuer. Außerdem nehmen inzwischen die ausländischen Besucherzahlen deutlich ab. Auch dies macht deutlich, dass ein Museum nicht dazu da ist, um jeden Preis Besucher aus London anzulocken. Wenn es ein gutes Museum ist, kommen Leute auch aus London. Aber ich gebe zu, die Welt ist kompliziert geworden. Jeder will den größtmöglichen Erfolg, ohne viel dafür zu tun. Ich denke, das Museum Folkwang – so wie jeder Bau von uns – versucht, Qualitäten zu entwickeln, die visuell nicht dramatisch sind, aber dafür sicher.

 

Wie muss ein guter Museumsraum denn heute aussehen? Braucht es für zeitgenössische Kunst andere Räume als für die klassische Moderne oder noch ältere Kunst?

Ich glaube, ein guter Raum für Kunst ist immer gleich, egal für welche Kunst.


Koons oder Renoir macht keinen Unterschied?

In gewissen Grenzen ja. Man braucht eine gute Höhe, einen schönen Fußboden, man muss gutes Licht haben – und bitte nicht zu viele alberne Details.

 

Beschreibt man Ihren Stil richtig als rationalistische Erneuerung des Klassizismus ?

Für manche unserer Gebäude, trifft das zu: die auf der Berliner Museumsinsel entstehende James-Simon-Galerie zum Beispiel, die auf den starken historischen Kontext antworten muss. Wir haben mit dieser Sprache in letzter Zeit häufiger gespielt: Es ist eine Art minimalistischer Klassizismus, eine abstrakte Architektur, die an den Minimalismus grenzt. Aber alles hängt vom Kontext ab. Ich möchte, dass jedes Gebäude aus seiner Situation heraus verstehbar wird. Ich versuche eine eher zurückhaltende Architektur, die natürlich ist und in gewisser Weise zu dem Ort gehört. Ich möchte etwas bauen, das die Balance hält zwischen normal und besonders, zwischen seltsam und vertraut.

 

Ein Bau, bei dem diese Balance spektakulär gelang, ist das Neue Museum in Berlin – und die Besucher stehen Schlange. Wie sind Sie selbst mit Nofretete in ihrer neuen Umgebung zufrieden?

Sie sieht wunderbar aus. Die Situation im nördlichen Dom ist in meinen Augen faszinierend. Sie hat den notwendigen Raum, den sie braucht und natürlich auch verdient. Man kann sie aus zwei Richtungen sehen und auch aus größerer Entfernung. Es ist der ideale Ort.

 

Waren Sie an den Entscheidungen zu der Platzierung der Objekte beziehungsweise der Einrichtung des Museums beteiligt?

Wir haben natürlich die Ausstellung nicht selbst konzipiert. Aber unser Verhältnis mit dem Neuen Museum ist dennoch so eng gewesen, dass wir bei allen Entscheidungsprozessen beteiligt waren. Wir hatten zunächst lange darüber diskutiert, Nofretete im Eingangs- beziehungsweise Treppenbereich aufzustellen. Dies hätte jedoch eine stärkere Verdunklung erfordert, sodass wir davon abgekommen sind.

 

Die Objekte im Neuen Museum sind teilweise mehrere 1000 Jahre alt, das Museum selbst, der Stüler-Bau, ist ein Bau des 19. Jahrhunderts. Alles dreht sich hier um Geschichte. Sind Sie in Berlin inzwischen zum Historiker geworden?

Der Unterschied ist: Ich habe als Architekt nicht das Recht, Geschichte zu interpretieren oder darüber zu entscheiden, worin Geschichte besteht. Das ist Sache von Historikern. Wir wollten beim Neuen Museum Geschichte gerade nicht interpretieren. Die physischen Relikte sind es, die die Geschichte sozusagen transportieren. Unsere Aufgabe war, auf die physische geschichtliche Überlieferung architektonisch zu antworten: konkret auf diese zweifache Ruine, die einmal durch den Krieg, einmal durch die Witterung zerstört wurde.

 

Heißt das, Ihr Ziel war, diese Zeitlichkeit, den Prozess der Alterung, präsent zu halten?

Die Ausgangssituation war hier doch sehr ungewöhnlich. Erhalten waren überwiegend unberührte, vergessene Fragmente – die einzigen unberührten Elemente auf der Museumsinsel übrigens. Wenn man an die anderen Museen auf der Museumsinsel denkt, die Alte Nationalgalerie, das Innere des Pergamonmuseums, sogar das Alte Museum: Sie haben alle einen Prozess der Erneuerung durchlaufen. Der Kuppelsaal des Alten Museums – das ist nicht Schinkel. Was Sie dort sehen, ist nur ein Bild von Schinkel. Und es ist genau diese Art von Bildern, die wir beim Neuen Museum nicht wollten. Natürlich mussten wir gleichzeitig ein modernes Museum des 21. Jahrhunderts bauen. Sonst hätte man die Ruine so belassen können. Wir mussten die Struktur und ihre Bedingungen beachten, ebenso den Zustand aller Details: was erhalten werden konnte, was repariert und so weiter. Und all das musste unter einem Konzept zusammengeführt werden. Aber dieses Konzept war nicht die Imitation dessen, was verloren gegangen war. Wir wollten stattdessen der Logik und der Schönheit des Originals entsprechen.

 

Sie betonen die Bedeutung der originalen Überbleibsel. Daraus kann man eigentlich nur schließen, dass die viel diskutierte Entscheidung zur Rekonstruktion des Stadtschlosses nicht in Ihrem Sinn ist. Sie saßen mit in der Jury, die darüber zu entscheiden hatte. Wie ist Ihre Meinung zum Ergebnis?

Es gibt grundsätzlich mehrere Möglichkeiten, mit historischen Bauten zu verfahren. Man kann auch eine Rekonstruktion nicht grundsätzlich ausschließen; im Fall der Dresdner Frauenkirche ist sie durchaus angemessen. Was das Schloss betrifft: Ich finde es akzeptabel, das Volumen des historischen Schlosses wiederherzustellen, für welches inhaltliche Programm auch immer – wobei ich nicht weiß, ob das inhaltliche Programm des geplanten Humboldt-Forums das richtige ist oder nicht. Ich denke auch, dass die Grundlage der letztendlichen Lösung der historische Bau sein muss. Die Lösung muss also beim Ersatz des historischen Baus ansetzen. Die Frage ist nur, wie man den Verlust ersetzt. Und ich bin nicht vollständig überzeugt, dass die beste Lösung diese seltsame Kombination aus imitierter historischer Schlossfassade und einem modernen Gebäude dahinter ist.

 

Dies war aber doch wohl die Vorgabe des Bauherrn, des Deutschen Bundestags?

Genau. Ich fand es sehr enttäuschend, dass der Wettbewerb nicht offener gegenüber anderen Lösungen war. Die Ausschreibung hätte vorgeben sollen: Machen Sie ein architektonisches Konzept, das dem inhaltlichen Programm gerecht wird, und: Sie müssen dem historischen Verlust des barocken Schlosses gerecht werden! Solch ein Wettbewerb wäre großartig gewesen. Er hätte zu wunderbaren Lösungen geführt, die wir uns gar noch nicht vorstellen können. Dann hätten auch deutlich mehr Büros teilgenommen.

 

Stattdessen?

Stattdessen haben die Politiker eine Lösung vorentschieden und dann die Architekten um die Umsetzung gebeten. Es war so, als hätte man den Architekten ein Kreuzworträtsel in die Hand gegeben, das bereits gelöst ist. Üblicherweise sind Architektenwettbewerbe in Deutschland eine ziemlich spannende Angelegenheit. Jeder kämpft, die Leute debattieren lautstark mit erhitzten Gesichtern. Bei diesem Schlosswettbewerb aber gab es nichts zu diskutieren.

 

Das ganze Schlossprojekt scheint jetzt wieder infrage gestellt durch den Architekten Hans Kollhoff, der das Wettbewerbsverfahren angezweifelt hat, das zur Wahl von Franco Stella geführt hat. Teilen Sie die Zweifel?

Darüber bin ich nicht genau genug informiert. Ich kann nur sagen, dass ich Kollhoff als sehr intelligenten und lauteren Mann kenne. Normalerweise müsste man gegenüber den Motiven von Architekten, die einen Wettbewerb im Nachhinein anzweifeln, etwas argwöhnisch sein. Aber in diesem Fall kann man annehmen, dass Kollhoff sich das gut überlegt hat. Kollhoff ist auch nicht gegen das Schloss. Ich denke, seine Bedenken sind ernst zu nehmen.


Einige Politiker haben jetzt eine neue Rekonstruktionsoffensive vorgeschlagen: Man will das Viertel rund um das Rote Rathaus in den Dimensionen einer mittelalterlichen Altstadt wieder aufbauen.

Manchmal kann es sinnvoll sein, Dinge zu restaurieren. Aber in diesem Fall handelt es sich um eine riesige Neuerfindung. Das ist verrückt. Berlin hat einfach noch nicht herausgefunden, welchen Teil seiner Geschichte es erhalten und welchen es abstoßen soll. Jemand erzählte mir kürzlich, dass man ein Stück der Mauer wiederaufbaut.

 

Finden Sie das absurd?

Das ist Berlin in seinem verwirrtesten Zustand! Man wird die Mauer los, weil sie ein Symbol von etwas ist, das man hasst. Und dann baut man sie wieder auf, weil einem klar wird, dass man die Geschichte doch zu schnell entsorgt hat. Und so geht es die ganze Zeit: Berlin überarbeitet seine Geschichte, indem es ein Schloss sprengt, um einen Palast zu bauen, reißt dann den Palast ab, um ein Schloss zu bauen – als sitze es in einer Falle. Wahrscheinlich ist das Neue Museum genau deshalb auf Zustimmung gestoßen: Weil es offenbar die Geschichte integriert, sie weder verneint noch aus ihr ein Spektakel macht. Für mich ist Berlin eben eine fragmentierte und gebrochene Stadt, das ist Teil seiner neuen Qualität. Es wieder zu dem zu machen, was es einmal war, ist sinnlos. Das neue Berlin zieht seine Energie doch gerade aus seiner Bruchstückhaftigkeit.

 

Um das Bild abzurunden: In welcher architektonischen Umgebung leben Sie selbst – alt oder modern?

Da es in London einigermaßen schwierig ist, ein neues Haus zu bauen, lebe ich in einem alten Apartment, das ich allerdings modernisiert habe. Mein Ferienhaus an der nordspanischen Küste habe ich jedoch neu gebaut.


Und sammeln Sie Kunst? Welche Kunst bevorzugen Sie?

Manchmal bekomme ich etwas geschenkt. Aber zum richtigen Sammler fehlt mir das Geld. Ich schätze alle möglichen Richtungen und Epochen und begeistere mich für vieles, das ich sehe. Impressionismus ist eigentlich eine Epoche, die ich nicht übermäßig mag. Aber vor Kurzem habe ich im Kunsthaus Zürich Bleistiftzeichnungen von Seurat gesehen – und fand, das war das Beste seit Langem.

 

Eröffnung des Neubaus: 30. und 31.  Januar. Ausstellung:"'Das schönste Museum der Welt' Museum Folkwang bis 1933", 20. März bis 25. Juli. Informationen unter www.museum-folkwang.de