Nicole Hackert über die Schau "Kids"

Ohne Rücksicht aufs Kindchenschema

Frau Hackert, Kinder kommen in der Gegenwartskunst erstaunlich selten vor, gemessen daran, wie viele Leute das Thema doch betrifft – woran liegt das?
Als Sujet ist es in der visuellen Welt allgegenwärtig, etwa in der Werbung. Wahrscheinlich hat sich daraus ein gewisses Unbehagen der Künstler entwickelt, auch wenn einige das Thema bestimmt reizen würde, – gerade, wenn sie selbst welche haben. Es ist wirklich eine Herausforderung, die  Sentimentalitäten zu umschiffen.

Beim Betrachter löst das Kind als Motiv jedenfalls immer etwas aus.

Stimmt, und interessanterweise sind Kinderbildnisse bei Altmeistern das höchst gehandelte Sujet! Da werden dann wahrscheinlich genau die Bedürfnisse befriedigt, die eben die Zeitgenossen nicht bedienen.

Ist das der Grund, warum ihre Gruppenausstellung sich nicht auf  Zeitgenossen beschränkt, sondern bei der Malerei der Jahrhundertwende beginnt?
Ich habe einen Ansatzpunkt gesucht und bin auf Paula Modersohn-Becker gestoßen. Sie war die Erste, die Kinder nicht als Auftragswerk gemalt hat oder eben die eigenen Nachkommen porträtiert hat, sondern sie hat bewusst Kinder aus dem Heim dargestellt, auch vernachlässigte Kinder von Torfbauern. Ganz brutal, ohne Rücksicht auf ein Kindchenschema. Sie war auch die erste, die behinderte Kinder gemalt hat. Das war eine stilistische, aber auch gesellschaftliche Zäsur. 1902 erschien auch „Das Jahrhundert des Kindes“, ein heute noch bedeutsames Werk, das die Reformpädagogik begründete.

Wie kam es zu historischen Leihgaben wie von August Macke, Emil Nolde oder Chaim Soutine?

Als Galerieausstellung erheben wir natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, das wäre absurd. Aber mit dem, was wir bekommen haben, kann man sich sehen lassen. Daran konnten sich auch die zeitgenössischen Künstler abarbeiten.

Viele Künstler der Galerie sind dabei – haben die wirklich alle Zugang zum Thema gefunden?

Es haben wirklich alle eigens für die Ausstellung Werke gemacht: Ein ganz tolles Bild von Marlene Dumas ist dabei, aber auch Raymond Pettibon, Dana Schutz, Cecily Brown haben Porträts beigesteuert. Anselm Reyle und Marc Brandenburg hatte ich einfach gesagt: „Macht irgendetwas der Kinderwelt entlehntes.“ Marc hat einen ziemlich abgefahrenen McDonald’s-Spielplatz gezeichnet, und von Anselm gibt es einen Babytiger aus seiner Malen-nach-Zahlen-Reihe.

Ein großes rosafarbenes Baby von Georg Baselitz ist ebenfalls dabei – was hat es denn damit auf sich?
Das ist eine ganz tolle Geschichte: Nach dem Fall der Mauer ist er in seine ehemalige Heimat nach Sachsen zurückgekehrt und hat angefangen, sich noch einmal mit seiner Familiengeschichte auseinander zu setzen. Dann hat er viel nach Familienfotos gemalt, unter anderem eben Kinderfotos, die ihn selbst zeigten.

Contemporary Fine Arts, Berlin, 25. August bis 22. September 2012, Eröffnung am 24. August von 18 bis 20 Uhr