Pantone-Farbe des Jahres

Zuckerschock mit Pfirsich

Das Unternehmen Pantone hat wieder einmal die Farbe des Jahres gekürt. Geht es nach den PR-Profis, leuchtet 2024 süß und flaumig in "Peach Fuzz". Doch statt neue Apricot-Accessoires zu kaufen, könnte man sich auch mit anderen Werten des Orangetons beschäftigen

Gibt es etwas Weicheres, Delikateres, Niedlicheres als die feinen Härchen, die einen frischen Pfirsich umgeben? Eine federleichte Schutzschicht aus kaum wahrnehmbarem Fell, das die Frucht von der nackten Nektarine unterscheidet. Süß und sommerlich, und spätestens seit Timothée Chalamets Sexszene mit dem Obst im Coming-of-Age-Film "Call Me By Your Name", ist der Pfirsich auch sexy. Das passende Emoji wird gern im "Sexting", also im Austauschen erotischer Nachrichten, verwendet, etwa in Kombination mit der Aubergine und den drei Wassertropfen. Als Pfirsichhaut wird ein samtig rosiges Gesicht beschrieben, das sich jeder Skincare-Guru wünscht. 

Pfirsichflaum oder auch "Peach Fuzz", wie das seidige Haarkleid im Englischen heißt, bestimmt das Jahr 2024. So hat es zumindest der Alleinherrscher der Farben, das Unternehmen Pantone, entschieden. Ein sanftes, verdünntes Orange, die Farbe von Meloneneis. Und wie jedes Jahr steckt hinter dem vermeintlich simplen Farbton viel mehr. Wie ein Orakel sagt die Nuance allerlei Tendenzen vorher, und selbst tiefe emotionale Strömungen können laut Pantone aus ihr herausgelesen werden. 

"Peach Fuzz 13-1023" wird von dem Farbsystem-Giganten als ein weicher Pfirsichton beschrieben, "dessen allumfassende Aura unserem Herzen, unserem Geist und unserem Körper guttut." Klingt nach viel Verantwortung für das zarte Apricot. Die hart arbeitende Nuance sei auf subtile Weise sinnlich, beinhalte eine Botschaft der Gemeinschaft und drücke unser Verlangen nach Zugehörigkeit aus, prophezeit Pantone weiter. 

Nichts war dem Zufall überlassen

Fühlen, heilen und aufblühen, für Geborgenheit und Neuanfang sorgen – das breite Spektrum positiver, wohliger Empfindungen scheint im lieblichen "Peach Fuzz" erkennbar. Eine Farbe für alle Fälle. Wobei der Begriff Farbe dem Anspruch vermutlich gar nicht gerecht wird. Als einendes Bindeglied der Gesellschaft hätte Pantone den Flaum wohl gern beschrieben.

Warum der Ton als die Farbe des gerade begonnenen Jahres gewählt wurde? Da gehen die Meinungen auseinander. Pantone sagt, "Peach Fuzz" drücke unser Bedürfnis aus, unseren Liebsten nahe zu sein. Und die Notwendigkeit, unser eigenes Inneres zu umsorgen und in der Hektik des modernen Lebens Momente der Ruhe, Kreativität und Verbindung mit anderen Menschen zu finden. 

Während Fürsorge für sich selbst und andere zweifellos einen höheren Stellenwert verdient, hat nicht nur eine plötzliche Besinnung zur Empathie die Wahl der Farbe motiviert. Vielleicht war "Peach Fuzz" einfach der kleinste gemeinsame Nenner, denn nichts wird dem Zufall überlassen. "Monate vor der Enthüllung im Dezember jeden Jahres schließt Pantone Lizenzvereinbarungen mit verschiedenen Unternehmen – von Nagellackherstellern bis hin zu Hotelketten – ab, um sicherzustellen, dass der exakte Farbton in verschiedenen Erscheinungsformen zum Tragen kommt. Plötzlich ist die Farbe des Jahres überall", schreibt etwa die "Handelszeitung"

Reichhaltiger Nährboden für Kollaborationen

Und tatsächlich, sobald der Pastellton verkündet war, fluteten Newsletter die Emailpostfächer. Pfirsichfarbene Polaroidfilme, Einrichtungsutensilien, Mobiliar - alles einmal in "Peach Fuzz", bitte. Ähnlich passiert es am internationalen Frauentag oder zu sozialen Ereignissen wie der Krönung von King Charles: Alle erdenklichen Deals und Kollaborationen im Namen des Königs oder der Gleichberechtigung werden angeboten. Endlich gibt es einen weiteren Anlass, Ware in abwegigen Marketingkampagnen anzupreisen, die sich um mehrere Ecken auf das aktuelle Weltgeschehen beziehen.

So bietet auch die Kür der Farbe des Jahres einen reichhaltigen Nährboden für farbzentrierte Partnerschaften.  Egal, wie voll der Kleiderschrank, hängt dort auch etwas in "Peach Fuzz"? Guides, um den neuen Ton in Küche, Wohnzimmer oder Wintergarten zu integrieren, sprießen aus dem Boden. 

Für geschlechtsneutrale Kinderzimmer eignet sich die Farbe besonders gut: Pink und Babyblau können umgangen werden, das softe, brave, genderlose Orange füllt die Wände. Make-Up-Produkte haben es im kommenden Jahr besonders leicht, denn pfirsichfarbenes Rouge, Lipgloss oder Lidschatten gibt es ohnehin en masse - und jetzt einen weiteren Grund, sie einzukaufen. Oder, wie es Pantone formuliert "Nageldesigns, in denen 'Peach Fuzz 13-1023' eingesetzt wird, vermitteln eine Botschaft der Zartheit und sind romantisch, unschuldig und süß." 

Die Farbe zum Kopf in den Sand stecken

Pantones "Peach Fuzz" und all seine magischen Eigenschaften klingen ein bisschen wie "den Kopf in den Sand stecken", nur als Farbe. Hellorange, flauschige Pflanzen erwachsen in dem Mini-Imagefilm, den Pantone für die auserwählte Nuance veröffentlichte. Friedlich, sanft, ein netter Weckruf zum Sich-Liebhaben. 

In einer Zeit, in der Krieg und Gräuel im Liveticker mitzuerleben sind, soll die Pfirsich-Bubble einen Ausweg bieten. Pastelltöne verkaufen gesundheitsschädliche Vapes, lassen Alkohol aussehen wie Saft und Kosmetik wie Spielzeug. Obwohl das Jahr der Barbie nun vorbei ist, hält der erkorene Farbton eine plastikhafte Fassade aufrecht, scheint unangreifbar, ist zurückhaltend, aber unangenehm präsent.

Italienische Hauswände, transparente Organza-Kleider, pralle Babybeine – sie alle findet man in der "Peach Fuzz"-Palette, ohne je von der pelzigen Farbe gehört zu haben. Nicht nur, weil Pantones Farb-Monopolisierung seit Jahren in der Kritik steht. Auch, weil all diese Töne schon auf der ganzen Welt zu finden sind, lohnt sich eine Investition in apricotfarbene Kissenbezüge dieses Jahr nicht. Besser nach Ligurien reisen, den Pfirisch-Emoji mal wieder verschicken oder auf Gesichtspflege setzen und sich eine eigene Pfirsichhaut züchten. Oder tatsächlich Zeit in gesunde Beziehungen investieren und so "Peach Fuzz‘" Message direkt angehen, ohne Kompensations-Accessoires zu kaufen. In einer Zeit, in der Trends fast nicht mehr greifbar unfassbar schnelllebig sind, lohnt sich das langfristig sicher mehr.