Musikerin Peaches im Interview

"Ich bin ein bisschen traurig über Berlin"

Die kanadische Electroclash-Musikerin Peaches prägte den Ruf von Berlin als sexpositive Partymetropole. Nun kommt der Film "Teaches of Peaches" ins Kino. Und die Protagonistin macht sich Sorgen um die Freiheit in der deutschen Hauptstadt

Die kanadische Electroclash-Musikerin Peaches eroberte mit ihrem 2000 erschienenen Album "Teaches of Peaches" erst die Berliner Clubszene und prägte damit den Weltruf der Stadt als sexpositive Partymetropole. Nun kommt ein Dokumentarfilm dazu ins Kino, der sich gar nicht lange mit nostalgischem Schwelgen aufhält. Dazu ist die 58-Jährige schlicht zu unberechenbar und energiegeladen. 

In einer kurzweiligen Mischung aus Privataufnahmen, Interviews und Liveshows entsteht ein vielschichtiges Porträt von Peaches als queerem Gesamtkunstwerk, das provokant, lautstark und launig Geschlechterklischees parodiert und gegen Chauvinismus rebelliert. Und auch "Fuck the Pain Away" in seinem dreckigen Electrosound und dem expliziten Sprechgesang knallt noch immer unverschämt gut. Ein Gespräch über Kontrolle, subversiven Humor und darüber, was in Berlin gerade auf dem Spiel steht.


Peaches, was hat Sie dazu bewogen, diesen Porträt- und Konzertfilms zu machen? 

Ich hatte zuvor einige wirklich schreckliche Erfahrungen mit Dokumentarfilmen, die sich aus verschiedenen Gründen auf mich konzentriert haben. Deshalb war ich zuerst nicht sehr begeistert von der Idee. Vor allem wollte ich keinen Film, der meine ganze Karriere umspannt. Ich machte gleich klar, dass mir das zu viel ist. Aber die Tournee zum 20-jährigen Jubiläum meines Albums "Teaches of Peaches" stand an, das könnte interessant sein, dachte ich, auch weil ich auf Tour gerne drehe. Generell liebe ich es ja zu filmen, ich dokumentiere eh alles, das ganze Archivmaterial im Film stammt von mir. Ich kannte das Zeug alles in- und auswendig. 

Aber Sie führen dabei nicht selbst Regie. Wie schwierig war es, die Kontrolle abzugeben?

Zunächst war nur Philipp Fussenegger als Regisseur vorgesehen, und er hatte anfangs nicht wirklich einen Plan. Er dachte, er würde mit mir auf Tournee gehen und alles würde sich von selbst ergeben. Dann hätte er mitkommen und jede Show sehen müssen, aber der Plan und das Budget sahen vor, nur ein paar Konzerte und Interviews und solche Dinge zu filmen. Und ich wollte erst auch das Archivmaterial nicht rausrücken, aber dann ermutigte er mich und schlug vor, nur das zu verwenden, was ich will. Und das war für mich: die Zeit von "Teaches of Peaches", die Jahre in Toronto und der Umzug nach Berlin. Judy Landkammer war die Editorin, und wie sie im Filmschnitt Dinge montiert, macht sie zu einer fantastischen Erzählerin. Sie hat eine Struktur reingebracht, und es war schnell klar, dass sie Co-Regisseurin wird. Es war den beiden immer wichtig, dass ich involviert bin und Feedback gebe. Wir haben viel diskutiert, und so hat es sich langsam entwickelt. Ich habe also keineswegs meine Kontrolle abgegeben, im Gegenteil. Wir haben alle viel dabei gelernt. Wie wir miteinander arbeiten können, wie wir es weniger hierarchisch machen können.

Sie artikulieren im Film immer wieder klar Ihre Haltung, Ihre Ansichten, sind auch in physischer Hinsicht sehr offen. Gab es Grenzen? Dinge, die Sie nicht zeigen wollten, über die Sie nicht sprechen wollten? 

Ich hatte bis zum Ende das volle Vetorecht. Am Anfang hat Philipp versucht, heimlich ein Aufnahmegerät mitlaufen zu lassen, während wir uns unterhalten haben. Aber das habe ich ihm ganz schnell ausgetrieben. Wir alle haben gemerkt, wie wichtig es ist, einander zu respektieren und behutsam miteinander umzugehen. Mein Partner, Black Cracker, war erst nicht daran interessiert, interviewt zu werden. Er wollte eher am Rand dabei sein, aber dann er hat sich frühe Ausschnitte angesehen und meinte: "Ich glaube, ich kann helfen, das ein bisschen besser zu erklären". Und er bringt unsere Beziehung und unsere Queerness gut auf den Punkt, wenn er sagt: "Wenn es nicht in deinem Mund ist, geht es dich nichts an."

Er nimmt sich selbst sehr zurück, dabei ist er selbst gefragter multidisziplinärer Künstler.

Es war ganz allein seine Entscheidung, wie viel er von sich zeigen will. Er ist Visual Artist, Slam-Poet, hat Musik produziert und mit dekolonisierten Opernprojekten gearbeitet. Er ist unglaublich kreativ, hat mich auch bei meiner großen Einzelausstellung im Kunstverein in Hamburg beraten. Bei der Tournee hat er die ganze Produktion allein gemacht. Er ist die Art von Person, die einfach sieht, was getan werden muss und es dann anpackt. Und was unsere private Beziehung betrifft, haben wir uns doch vor der Kamera viel Liebe und Respekt entgegengebracht. Vielleicht sind die Leute ein bisschen enttäuscht, dass ich nicht ständig Sexorgien veranstalte. Oder wie er sagt: "Manchmal sind wir einfach müde". Für einige Fans ist es schwer zu verstehen, dass ich eine dreidimensionale Person bin.

Ein wichtiger Teil Ihrer Energie ist der subversive Humor. Wie haben Sie den entwickelt?

Humor ist großartig, um Leute zu entwaffnen. Wenn man eine Meinung kundtun will, die polarisiert oder umstritten ist, würzt man es besser auf smarte Weise mit Humor. Dann schlucken es die Leute eher, statt davor Angst zu haben und dicht zu machen. Und ich liebe es einfach, wenn Leute über meine Witze lachen.

Berlin spielt eine wichtige Rolle in Ihrem Leben und ihrer Laufbahn. Wie hat sich Ihre Beziehung im Laufe der Jahre verändert?

Um ehrlich zu sein, finde ich es gerade eine sehr schwierige Zeit, denn alle Gründe, warum ich hierhergekommen bin, werden momentan in Frage gestellt. In Bezug auf kreative Freiheit, vor allem bei marginalisierten Menschen und PoC. Es ist das erste Mal in den 24 Jahren, in denen ich hier lebe, dass ich ein bisschen traurig über Berlin bin. Es waren so unglaubliche Jahre, in denen ich die Kultur hier kennengelernt und Dinge gesehen habe, die ich in keiner anderen Stadt je gesehen hätte. Florentina Holzinger, die an der Volksbühne Ihre Performancestücke inszeniert, ist für mich die wichtigste Künstlerin der letzten zehn Jahre. Diese Offenheit wird gerade aufs Spiel gesetzt. Aber ich bleibe. Wir haben vier Jahre an unserem Studio gebaut, und jetzt ist es fertig. Ich versuche, optimistisch zu sein, es gibt immer noch so viele großartige Dinge in der Stadt. Und ich wüsste auch gar nicht, wo ich hingehen sollte beim Aufstieg des Faschismus in ganz Europa, den USA und überall sonst. Also hoffen wir, dass wir hier von innen heraus kämpfen können.

Was treibt Sie heute an?

"Teaches of Peaches" war ein Kampf. Ich wollte mich selbst beweisen, und ich war wütend und fühlte mich unverstanden. Heute haben die Leute eher ein Gefühl für mich, aber das bedeutet nicht, dass ich aufhöre mich weiterzuentwickeln und mich auszudrücken: nicht nur in der Musik, auch auf anderen Gebieten.