Pop Life präsentiert Pornografie der letzten 30 Jahre

Das ist das eigentlich Pornografische an dieser pornografielastigen Schau: Jedes der Kabinette von „Pop Life – Art in a Material World“ in der Londoner Tate Modern ruft hinterhältig treffsicher die passenden Gefühle ab. Keith Harings rekonstruierter „Pop Shop“, in dem ein Mixtape des verstorbenen Künstlers läuft: Sentimentalität. Jeff Koons’ Fickkunstensemble „Made in Heaven“: Scham, Heiterkeit. Die Sensationen der Young British Artists: Staunen. Martin Kippenbergers Schelmenbilder: Freude. Takashi Murakamis knallbunter Japan-Irrsinn: Hochstimmung. Das Beste aus den 80er-, 90er-, Nullerjahren – und am Ende ist man platt wie nach fünf Stunden Hitradio.

Dass Popkultur verkommen, zumindest aber ambivalent ist (und dass der Spaß damit erst anfängt), hat eine Ausstellung selten mit so viel Verve dargelegt wie „Pop Life“. Die Kuratoren stellen die späten, schmissigen Auftragsarbeiten von Andy Warhol an den Anfang ihres begehbaren Greatest-Hits-Albums. Pop, so die Macher, wurde spätestens ab den 80er-Jahren durchzogen von Kalkül und dem Zwang zur Zwanglosigkeit.
Der weitere Weg durch die Schau zeigt, wohin Geschäftstüchtigkeit und das Spiel mit Massenmedien führten, wunderbar vorweggenommen und zugespitzt von Cosey Fanni Tutti, der ein Raum hier gehört. Die Künstlerin arbeitete von 1973 bis 1980 als Model in der Pornoindustrie. Wie Radikalität und Berechnung, Kontrolle und Ekstase im Pop zusammengehen, das macht das Leitthema Pornografie deutlich, das hier auch noch in der vermeintlich unschuldigsten Gute-Laune-Kunst durchschimmert.

Der Wirbel vor der Eröffnung passt da ins Bild: Das Museum entfernte Richard Prince’ Foto der nackten zehnjährigen Brooke Shields, weil es Ärger geben könnte. Dort, wo auch „Spiritual America“ von 1983 hängen sollte, ist nun also allein „Spiritual America  IV“ von 2005 zu sehen; es zeigt die erwachsene Schauspielerin Shields in der gleichen Pose wie der des Mädchens, dem diese sexualisierte Körpersprache noch nicht zustand. Durch die Abwesenheit dieser Arbeit und jedes Kommentars zu der vorsorglichen Entfernung taugt dieser Raum nun erst recht als Sinnbild für den bei aller Berechnung unberechenbaren Kern der Popkultur.

Tate Modern, London, bis 17. Januar. Danach: Hamburger Kunsthalle, 12. Februar bis 9. Mai 2010