Ruhrtriennale beginnt

Publikum, rühr dich!

Nicht nur die Trip-Hop-Veteranen Massive Attack finden diesmal den Weg in den Ruhrpott, in einer Show des britischen Dokumentarfilmprovokateurs Adam Curtis, die das Motiv des Terrorakts in eine „kollektive Halluzination“ münden lassen möchte. Auch der Rest des aufs Mutigste spartenübergreifenden Programms der bis zum 6. Oktober laufenden Triennale wartet mit unzähligen Fremdkörpern auf.

Da wären die Animationsfilmer Quay Brothers, denen das New Yorker MoMA 2012 eine multidisziplinäre Retrospektive gewidmet hatte. Ihren düsteren Puppenkosmos präsentieren die Zwillingsbrüder in einem Ciné-Konzert, darunter die Uraufführung des Kurzfilms „Kwartet Smyczkovy“, der auf einem Stück des polnischen Komponisten Witold Lutosławski basiert. Zu erleben ist live das britische Arditti Quartett in Zwiesprache mit den gespenstischen Bildern der amerikanischen Exzentriker.

Eine Kuriosität, die fast schon konventionell anmutet. Bereits zur Eröffnung des Festivals bleiben die Besucher der Bochumer Jahrhunderthalle von partizipativen Überraschungen nicht unbehelligt. Um das Gebäude betreten zu können, gilt es auf dem Vorplatz Teil der Lichtintervention des Medienkünstlers Mischa Kuball zu werden. Im hellen Scheinwerferlicht seiner "Agora/Arena" dürfen die Rollen gewechselt werden. Auf dem Weg zur eigentlichen Bühne werden die unfreiwilligen Darsteller im Foyer von der Installation „www – wall window workshop 2013“ des rumänischen Künstlers Dan Perjovschi abgefangen. Bereits 1999 fiel er auf der Biennale von Venedig mit Filzstift-Bodenfigurationen auf, die von dem Leben im postsozialistischen Europa erzählten. Anstatt seine Botschaften, wie nach den Auftritten im MoMA oder Kasseler Friedericianum geschehen, zu zerstören, ist das Publikum diesmal aufgerufen, mit den Kritzeleien in Eigenregie fortzufahren.

Der Schotte Douglas Gordon, bekannt geworden mit seiner Videoinstallation „24 Hour Psycho“, die den Hitchcock-Klassiker einer 24-stündigen Dehnprozedur unterzog, fühlte sich im Angesicht der Kokerei Zollverein an die Befindlichkeiten in seiner Heimat erinnert, an den Phantomschmerz einer ausgelöschten Industrie, deren Akteure ins schwarze Loch der Nutzlosigkeit gefallen sind. „Silence, Exile, Deceit“ heißt die „industrielle Pantomime“, die der Turner-Preisträger von 1996 für den architektonisch herausfordernden Ort entworfen hat. Die Hauptrollen übernehmen eine Cellistin, eine Sopranistin und eine junge Schauspielerin. Die Nebenrollen sind mit Dunkelheit, Rauch und Spiegeln besetzt.

Interaktives steuert auch der hauptberufliche Tanzchoreograf William Forsythe bei. Auf der Suche nach „Nowhere und Everywhere“ begegnet der improvisationswillige Besucher im Folkwang Museum einem Labyrinth, das es ohne Körperkontakt zu 400 wild schwingenden Pendeln zu durchschreiten gilt.                

Die Reaktionsfähigkeit testet auch der Klang- und Videokünstler Ryoji Ikeda mit flackernden Barcodes in der Kraftzentrale des Landschaftsparks Duisburg-Nord. „test pattern [100 m version]“, die neue Arbeit des in Paris lebenden Japaners, entführt auf eine gigantische Bodenprojektion aus Sound und Licht, die den Betrachter als Teil der Installation inszeniert.

Das Londoner Studio Random International, deren "Rain Room" im Frühjahr vor dem New Yorker MoMA für lange Besucherschlangen sorgte, setzt mit einem auf dem Gelände des Welterbes Zollverein installierten Wasserfall dagegen, der sich zu einem begehbaren „Tower“ formieren soll. 

Kein Wunder, dass sich selbst das Theater installativ gibt. Das Kollektiv Rimini Protokoll zieht die Aufmerksamkeit mit einem Haus auf sich, in dem der Zuschauer, bewaffnet mit i-Pad und Kopfhörern, durch akribisch rekonstruierte „Situation Rooms“ schreitet und zum virtuellen Mitspieler im globalen Waffen- und Drogenhandel mutiert. „Politisches Entertainment“ ganz nach dem Geschmack von Massive Attack und Adam Curtis, bei dem Verfolger und Verfolgte im Minuten-Takt ihre Identität wechseln. Mitmach-Video-Theater zwischen Massenmord und der Skyline von Islamabad: Puppenanimation 2.0.


Ruhrtriennale, verschiedene Orte im Ruhrgebiet, 23. August bis 6. Oktober