Robin Kid in Paris

Zauberland ist abgebrannt

Portrait 2023 © ROBIN KID
Foto: © Robin Kid, Courtesy Galerie Templon

Robin Kid

Angst vor dem, was kommt: In der Pariser Galerie Templon gibt der junge Künstler Robin Kid der Verzweiflung seiner Generation einen Ausdruck

In seinem Roman "The Virgin Suicides", Vorlage für den gleichnamigen Film von Sofia Coppola, schreibt Autor Jeffrey Eugenides: "Kapitalismus brachte uns zwar materiellen Wohlstand, aber gleichzeitig auch den spirituellen Bankrott." Dieser Satz, der die Sozialkritik der Geschichte zusammenfast, gäbe auch einen passenden Untertitel für Robin Kids Galerienausstellung "Kingdom of Ends" bei der Galerie Templon in Paris ab.

In seiner Faszination für nostalgische Ikonografie der 1950er- bis 1990er-Jahre setzt sich der 1991 geborene Künstler von jeher mit dem Erwachsenwerden, der Frage der Vergänglichkeit und dem Ende der Unschuld auseinander. In seiner Pariser Schau entführt er uns in seine Welt, und das fühlt sich an wie eine Zeitreise in die pastell-kitschige Kindheit der US-amerikanischen Vorstadt, in der die Lisbon-Schwestern aus "The Virgin Suicides" sich alle nacheinander das Leben nehmen.

Die 250 Quadratmeter des klassischen White Cube der Galerie hat Kid in eine Art Kinderzimmer verwandelt, der quietschblaue Teppich scheint dazu einzuladen, sich einfach auf den Boden zu legen und hineinzufallen in die Nostalgie wie in ein Himmelbett mit Plüschbezug. 

Wo die Sommerabende niemals enden

Robin Kid hat sich in den vergangenen Jahren vom faszinierenden Sonderling zum rising star der Pariser Kunstszene entwickelt. Der Autodidakt mit den monumentalen, hyperrealistischen Ölgemälden und Silikonskulpturen à la Ron Mueck überraschte zunächst durch technische Reife und sein thematisches Universum: Coming of age, revoltierende Jugend, Gewalt, Kritik an Faschismus. Seine Ausstellungen, so bombastisch wie rar: Kid lehnt es ab, wie andere zeitgenössische Künstler mit Hilfe von Assistenten zu arbeiten. Der Werksprozess ist dementsprechend lang, fast ein Jahr brauchte er allein für diese 14 Hybrid-Werke, teils Gemälde teils Skulptur.

Seine zweite Einzelausstellung bei Templon Paris entführt den Besucher in seine eigene Version von Neverland: dort, wo Teddybären für immer kuschelig bleiben, wo blonde, gut gelaunte Teenager auf perfekt grünem Rasen American Football spielen und auf rotweißkarierten Decken sorglos American Pie verspeisen, dort wo die Sommerabende niemals enden und alle Gartenzäune adrett weiß gestrichen sind. Robin Kid zeigt uns Bilder einer betörenden, längst vergangenen Utopie, die eine beinahe schmerzliche Nostalgie im Betrachter weckt.

Denn die Szenen haben sofortigen Wiedererkennungswert: dieses Mädchen mit den Zöpfen und dem Milchzahnlächeln, der freche Junge mit dem Milkshake und dem angebissenen Hamburger, das kleine brave Mädchen, das vor dem Zu-Bett-gehen gemeinsam mit seinem Foxterrier betend vor dem Bett kniet. Sie alle haben wir schon irgendwo mal gesehen, oder wir glauben es zumindest, denn es sind Bilder, die durch Werbeplakate und durch Filme unsere Kindheit, unsere Jugend begleitet haben. Wie der Geruch von Zuckerwatte und gebrannten Mandeln kleben sind sie in unserem kollektiven Unbewussten, als Versprechen einer glücklichen perfekten Welt.

"Die Katastrophen häufen sich"

Und diese Bilder machen deutlich, wen Kid mit seinem Werk besonders aufrütteln will: die Generationen, die letztlich für diese chaotische Welt verantwortlich sind, denn es sind ihre, unsere Kindheitserinnerungen, die hier ausgestellt werden. "Ich nutze diese Bilder wie Billboards. Werbung will uns Glück verkaufen, sie suggeriert: 'Ganz egal was los ist, wenn du dieses Produkt kaufst, wird alles gut'. Aber in meinem Werk stelle ich gleichzeitig den Bruch dieses Versprechens von der glorreichen Zukunft dar. Heute erleben wir das Ende der Werbeillusion: Die Katastrophen häufen sich, jeden Tag wird es schlimmer. Die Last, die damit auf jungen Menschen liegt, wird immer schwerer", erklärt der Künstler.

Und genau diese Last hängt dem Werk an: Wie bei einem Meccano-Spielzeug-Baukasten sind hier und da Aluminiumrohre in die Gemälde eingefügt. Sie dienen als Halterungen für die ebenfalls aus Aluminium gegossenen Skulpturen: Motorsägen, Benzinkanister, Baseballschläger, Maschinengewehre, Bärenfallen ... Werkzeuge der kalten, rohen Gewalt, die dem Idyll ein Ende setzen.

In der Mitte der Galerie befindet sich eine fast sechs mal drei Meter breite Skulptur. Es ist der originalgetreue Nachbau des Mobiles, das einst über der Kinderwiege des Künstlers hing. Die niedlichen Babyspielsachen hat Robin Kid mit bedrohlich wirkenden Kunstwerken ersetzt: ein Porträt des fanatischen Jungen Malachai aus dem Horrorfilm "Kinder des Zorns“, noch mehr Kettensägen, ein alter Autoreifen in Aluminium gegossen, ein Skelett und flackernde Straßenlampen, die der Künstler in Belarus erworben hat – kurz vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs.

"Eine große Angst vor dem, was kommt"

Kid überlässt nichts dem Zufall, noch das kleinste Detail seines Werkstatt eine Botschaft. "Dieses Mobile ist für mich ein Symbol der Wut, die ich in mir spüre, und die heute viele junge Menschen empfinden. Eine riesige, Wut und Bitterkeit im Bezug auf den Zustand unserer Welt. Und eine große Angst vor dem, was kommt. Ich habe das Gefühl, totalitäre Regimes übernehmen Stück für Stück die Macht, rund um uns herum, hier in Europa. Die Gefahr rückt immer nähre, und Totalitarismus und Faschismus werden irgendwie normal." Positive-thinking-Parolen und Instagram-Lkes gehen Kid auf die Nerven, er steht eher auf der Seite einer Greta Thunberg, Extinction Rebellion. Und genau deshalb vermag er wie kaum ein anderer Künstler der Jetztzeit kraftvoll und tiefschichtig den Zeitgeist, die Wut und Angst einer Generation auszudrücken, die vor den Scherben der Welt allein gelassen wird. 

"Kingdom of ends" ist ein echter Entwicklungsschritt in Kids Werk. Seine hybriden Skulptur-Gemälde sind inspiriert von Robert Rauschenbergs bahnbrechenden Combines-Arbeiten, die der US-Amerikaner Mitte der 50er-Jahre, bis in die 60er schuf. In Rauschenbergs Arbeiten werden Alltagsgegenstände mit Gemälden, Fotos, Zeichnungen kombiniert – eine Trennung von Leben und Kunst ist nicht mehr möglich.

In einem zweiten, dunkleren Raum dringt aus den Lautsprechern "Johnny built a house", ein Song, der während des Vietnam-Kriegs entstand. Das Haus, das Johnny baut, ist das Symbol der Freiheit, ein schöner Traum. "Als Corona kam, waren wir davon überzeugt, es würde jetzt alles endlich anders. Wir dachten, endlich werden Menschen sorgsamer miteinander umgehen. Aber nach dieser großen Hoffnung kam eine noch brutalere Enttäuschung, Menschen benutzen andere immer noch, oder sogar noch viel mehr, um an ihre eigenen Ziele zu kommen. Der Konsum geht komplett durch die Decke. Nach Corona sieht es auf der Welt noch schlimmer aus! 'Kingdom of Ends' spricht auch darüber: die ständigen Enttäuschungen, die wir erleben, über das Ende der Kindheitsillusionen."

Es gibt doch auch Hoffnung

Im Untergeschoss der Galerie, in typischer 80er-Jahre-Manier vollständig mit Holz ausgekleidet, fällt der Blick auf eine schlicht wirkende Skulptur in der Ecke: ein Baseballhelm, ein Benzinkanister an einer Eisenkette. Das perfekte Starterset des beginnenden Revolutionärs. "Mister Sandman, bring me a dream ….", schallt es aus den Boxen. Aber da weiß man schon, dass das eigentlich nur ein Alptraum sein kann: der unserer eigenen Realität, aus der wir dringend aufwachen müssen.

Im letzte Werk der Ausstellung grinsen uns die Gesichter der Leinwandikonen der 80er-Jahre entgegen: Patrick Swayze, Jennifer Grey, Charlie Sheen, gemeinsam mit anderen, weniger bekannt gebliebenen Schauspielern. Es ist ein Gruppenporträt aus aus dem Film "Die Rote Flut". In der Filmgeschichte mag dieser Streifen nicht unbedingt bleibenden Eindruck hinterlassen haben, jedoch schafft der Plot des Films eine Parallele zur Jetztzeit: Mitten im Kalten Krieg wird eine US-amerikanische Kleinstadt, in der die Teenies ihrem ganz normalen, sorgenfreien Alltag nachgehen, plötzlich von der russischen Armee besetzt. Die Gruppe um Swayze leistet Widerstand, die Teens greifen zu den Waffen, um ihr Land zu befreien. Für Kid eine Realität, der wir nie näher waren, als genau jetzt.

Und doch: Es gibt noch irgendwo Hoffnung. Und die versteckt sich im Titel der Ausstellung: "Kingdom of Ends" ist die englische Übersetzung von Kants "Reich der Zwecke", ein noch nicht existierendes Ideal, dessen Erschaffung nur möglich ist, wenn vernünftige Menschen gemeinsam an einem Strang ziehen und das Gemeinwohl über ihr privates Wohl stellen. Dazu braucht der Mensch jedoch die Freiheit des Willens, und eine unumstößliche, und jede Situation überdauernde Moral, sonst verfällt er wie die jungen Fanatiker in "Kinder des Zorns" falschen Doktrinen und Ideologien, die das Ende des "Reichs der Zwecke" bedeuten.

"Jede Religion ohne Liebe und Mitgefühl ist falsch, es ist eine Lüge"

"Jede Religion ohne Liebe und Mitgefühl ist  falsch, es ist eine Lüge", sagt einer der Protagonisten der Kinder des Zorns. Und damit wären wir wieder bei den Lisbon-Schwestern der "Virgin Suicides": der Kapitalismus und seine sirenenhaft-verlogene Ideologie, in denen die Mädchen selbst Konsumobjekte werden und somit nur einen Ausweg sehen.

Selbst wenn Robin Kid für rosarote Brillen und Gefühle nicht viel übrig hat, steht seine Kunst doch dafür, dass in all dem Chaos um uns herum, dem rasend voranschreitenden Klimawandel, dem Ukrainekrieg, der Migrantenkrise und den bedrohlich wachsenden politischen Extremen, Hoffnung existiert. Frei nach Kant: handeln mit Liebe.