Land-Art-Künstler

Richard Long wird 75

Zwischen flüchtigen Landschaften und begrenzten Galerieräumen hinterlässt er seit Jahren seine persönliche Spur. Richard Long ist als natur-burschikoser Sonderling an die Kunst herangetreten. Heute wird der Land-Art-Künstler 75 Jahre alt

Die Kunstwerke von Sir Richard Long sind nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Oft sind sie auch nach kurzer Zeit wieder verschwunden, abgebaut oder von der Natur vereinnahmt, in der sie der Künstler erschaffen hat. So auch sein berühmtes Werk "A Line Made By Walking" von 1967. Dafür ging Long auf einem Feld hin und her, bis er einen Trampelpfad geschaffen hatte, der das Sonnenlicht reflektierte. Er fotografierte die schimmernde Linie.

Der Pfad verschwand, das Foto wurde weltberühmt und inspirierte Richard Long in den vergangenen Jahrzehnten zu vielen ähnlichen Arbeiten. "Meine Schritte hinterlassen Spuren. Meine Beine tragen mich durch das Land", sagte der Brite, der nur selten Interviews gibt, vor Jahren der Zeitung Guardian. Der Weg ist dabei für ihn im wahrsten Sinne das Ziel. "Es ist quasi eine Art, die Welt zu messen. Ich liebe diese Verbindung zu meinem eigenen Körper."

Long wurde am 2. Juni 1945 im englischen Clifton geboren, einem Vorort von Bristol. Die Hügel der Avon-Schlucht und die üppige Natur, die Longs Elternhaus umgab, prägten seine Kindheit. Schon als kleiner Junge hielt er sich am liebsten draußen auf und spazierte oft kilometerweit durch die Landschaft.

Auf seinen Erkundungstrips im Freien probierte er sich bereits künstlerisch aus. Seine Eltern förderten seine Leidenschaft für die Natur und die Kunst. Oft soll der junge Richard schon lange vor dem Unterricht zur Schule gekommen sein, um zu malen. Sein Talent blieb dort nicht unbemerkt. Für Schulaufführungen ließ man ihn die Kulissen kreieren. Schließlich durfte der 13-jährige Richard sogar die Schulkantine mit Wandmalerei dekorieren. Zuhause erlaubten ihm seine Eltern, das Wohnzimmer mit einem großen Wandgemälde von schneebedeckten Bergen zu verzieren.

Long studierte am konservativen West of England College of Art in Bristol, wo er sich jedoch nicht mit konventionellen Methoden anfreunden wollte und im dritten Studienjahr nach einem für ihn typischen Kunstprojekt rausgeworfen wurde. Er hatte einen Schneeball einen Abhang hinabgerollt und die dabei entstandene Spur im Schnee fotografiert. An der Schule hielt man ihn für verrückt. Der Rauswurf erwies sich für Long nach eigenen Worten als Glücksfall. An der St. Martin's School of Art in London, wo er später studierte, wurden seiner Kreativität keine Grenzen gesetzt.

Zum Verschwinden geschaffen

"A Line Made By Walking", das als Meilenstein der Konzeptkunst gilt, erschuf Long noch als Student in seiner britischen Heimat. Später bereiste er die Welt und unternahm abenteuerliche Wanderungen. Unter anderem in Nepal, Bolivien und Italien ging er seiner Kunst nach, auch in der Sahara und unter der Sonne Kaliforniens im Death Valley. Auf einem Trip in den schottischen Bergen brach er sich das Bein.

Longs Spaziergänge und Wanderungen waren künstlerische Happenings. Aus Steinen, Holz oder anderem Material, das er in der Natur vorfand, baute er Skulpturen. Seine Kunstwerke fotografierte er, dokumentierte sie schriftlich und mit Landkarten, bevor er sie manchmal wieder entfernte oder einfach der Natur überließ. In über 50 Jahren entstanden so Tausende Fotografien von überwiegend temporären Spuren seiner Wanderungen und von seinen Skulpturen. In seltenen Fällen war Richard Long auch selbst auf Fotos zu sehen.

Dass seine Kunst dort, wo sie entsteht, oft gar nicht als Kunst erkannt wird, stört ihn nicht. Im Gegenteil. Er sei nicht daran interessiert, Monumente zu errichten oder Besucher anzulocken. "Der Gedanke, dass es niemand sieht, ist Teil der Arbeit", betonte Long im Guardian-Interview. "Ich kann es an einem weit entfernten Ort erschaffen, fast heimlich oder isoliert. Vielleicht sieht es keiner, oder ein Einheimischer sieht es und nimmt es nicht als Kunst wahr."

Die Dokumentationen seiner oft zeitlich begrenzt existierenden Werke finden hingegen bis heute ein breites Publikum in Galerien und Museen. Dazu schuf Long zahlreiche bleibende Kunstinstallationen. Seine erste Ausstellung war bereits 1968 in der Konrad Fischer Galerie in Düsseldorf zu sehen. Im Laufe der Jahrzehnte wurde seine Arbeit unter anderem in der Londoner Tate Gallery, im Guggenheim-Museum und im Museum of Modern Art in New York ausgestellt.

Kunst als bleibende Erinnerung 

Berühmte Beispiele für Longs permanente Werke sind der "South Bank Circle" (1991), ein Kreis von knapp zwei Metern Durchmesser, der aus 168 nebeneinander auf dem Boden liegenden Schieferstücken besteht, und das fast 20 Meter hohe Wandgemälde "Riverlines". Long fertigte es 2006 für den Hearst Tower in New York an. Dafür verwendete er eine Mischung aus Flussschlamm, die sowohl aus dem Hudson River in den USA als auch dem britischen Avon stammt.

Nach zuvor drei Nominierungen wurde Long 1989 mit dem Turner-Preis ausgezeichnet. 2018 adelte ihn die britische Königin Elizabeth II. für seine Verdienste in der Kunst. Sir Richard, der immer noch in Bristol lebt, gilt heute als einer der bekanntesten und einflussreichsten Land-Art-Künstler Großbritanniens. Ein Vorbild für andere Kunstschaffende will er aber nicht sein, wie er dem Guardian verriet. "Denn ich mache nur das, was mich interessiert", sagte Richard Long. "Als ich ein junger Künstler war, bin ich meiner Natur, meinen Instinkten und meinen Sehnsüchten gefolgt - und ich finde, junge Künstler sollten dasselbe tun."