Photographische Sammlung der SK Stiftung Kultur, Köln

On the road again

Wozu aussteigen, wenn der Sitz des Jeeps die beste Perspektive auf das statische Geschehen bietet? Eine leere Straße in Kalifornien, ein einsamer Baum wirft Schatten auf die Betonwand. Wer weiß, was dahinter geschieht? Der nächste Chemieskandal? Waffenproduktion für den Vietnam-Krieg? Anfang der 1970er ist der paranoide Blick auf die Entgleisungen der Nation omnipräsent. Widerstand weicht Skepsis. Kein Wunder, dass der Autodidakt Henry Wessel, der eigentlich Psychologe werden wollte, sitzen bleibt, die Veränderungen lieber aus sicherer Distanz dokumentierte.
 
Wessels schwarz-weiße Aufnahmen vom Südwesten der USA sind meist klein. Auf vielen ist das Licht so dominant, dass es die Landschaft mit einem milchigen Schleier bedeckt. Menschen sind nicht zu sehen, aber überall ihre Spuren: Telefonzellen und Verkehrsschilder, die leblose Straßenzüge strukturieren, adrett frisierte Palmen und Büsche in den Vorgärten der Suburbs. Keine Spur mehr von der Erhabenheit der Natur, dem klassischen Sujet der amerikanischen Fotografie und der Ideologie des "Go West". Landschaft ist Kulturlandschaft. Wessels zentriert ins Bild gesetzte Häusertypen erinnern nicht ohne Grund an die Industrie-Aufnahmen von Bernd und Hilla Becher.

„New Topographics“ hieß die bahnbrechende Ausstellung im George Eastman-House in Rochester, in der Wessel 1975 gemeinsam mit Robert Adams, Lewis Baltz, Joe Deal, Frank Gohlke, Nicholas Nixon, John Schott, Stephen Shore und eben den Bechers eine neue Sicht auf die Feinheiten der alltäglichen Topografie eröffnete, unpathetisch und nüchtern, den Eingriffen des Menschen in Natur und Stadtlandschaft unbarmherzig auf der Spur. Die von William Jenkins kuratierte Schau kam gerade rechtzeitig, stand die Nobilitierung der Lichtbildnerei zur zeitgenössischen Kunstform doch kurz bevor. Heute gilt die Ausstellung nicht nur als stilbildend, sie zählt zu einer der einflussreichsten Schauen überhaupt.

Dass die damals unbekannten Rebellen heute längst Stars sind, versteht sich von selbst. Da grenzt es schon an eine kleine Sensation, dass die Rekonstruktion der Ausstellung jetzt in Köln als einziger Station in Deutschland zu bestaunen ist. 35 Jahre nach dem legendären Auftritt hat die US-Kuratorin Britt Salvesen rund zwei Drittel der Originalobjekte aufgespürt und sie zur Wiederaufführung auf Rezeptionsreise ins 21. Jahrhundert geschickt. Siehe da, der Mythos lebt.

Versprengt erweitern Vitrinen mit Originalfotobüchern von Ed Ruscha, den Jenkins im Rückblick gerne bei den New Topographics aufgenommen hätte, in der Kölner Schau den Horizont. Der ist ohnehin mehr als präsent, wenn auch verschandelt mit trostlosen Zweckbauten. Lewis Baltz etwa setzt dem Ideal von der pittoresken Wildnis des Westens mit seiner Serie „The New Industrial Parcs“ die Realität von normierten Fertigungshallen entgegen, die er mit einer erschreckend brutalen Klarheit frontal in Szene setzt. Joe Deal verliert vor Ekel gleich die Bodenhaftung und steigert den Anblick von Architektursünden zu Luftnahmen, die den Charme eines Legosteinemodells versprühen. Stephen Shore setzt noch einen drauf. Er schockiert mit Farbe und verleiht der einsamen Verstaubtheit von Durchfahrtsstraßen eine Coolness, die damals wohl noch als exzentrisch durchgehen musste. Die Brücke zur Gegenwart ist da nicht weit.

Mit dem 1964 in London geborenen Chris Durham setzt ein Becher-Schüler im letzten Raum die Fixierung seiner Vorbilder auf städtebauliche Missstände fort. Seine menschenleeren Ansichten von „Belfast“ (2009) fokussieren allerdings martialische Graffitis, in denen sich der Nordirlandkonflikt spiegelt. Durham registriert ihre politischen Botschaften teilnahmslos. Er gönnt ihnen den gleichen sterilen Blick, den er auch für Werbetafeln reserviert hat. Zweifellos, er ist ein Meister des Abstands, ein old topographic, dem kein noch so bizarrer Themenpark etwas anhaben kann. Kalt und grausam ist schließlich nicht der Fotograf – sondern das Leben.

Die Photographische Sammlung der SK Stiftung Kultur, Köln, bis 27. März