Pogues-Sänger stirbt mit 65 Jahren

"Shane in einer finnischen Bar um 4 Uhr morgens ist einfach unschlagbar"

Mit Punk-Energie und rauer Poesie porträtiert der Dokumentarfilm "Shane" den Sänger der irischen Kultband The Pogues. Regisseur Julien Temple, durch zahlreiche Filme über die Sex Pistols ("The Great Rock & Roll Swindle") abgehärtet, begegnet dem anarchischen Musiker auf Augenhöhe und inszeniert dessen Geschichte mit unkonventionellen Methoden. Monopol hat mit dem britischen Filmemacher auf dem Festival in San Sebastián gesprochen, wo "Shane" mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde.

Mr. Temple, Sie haben Shane MacGowan bereits bei Live-Auftritten der Sex Pistols gefilmt, lange bevor ihn jemand kannte. Ahnten Sie da schon, dass er einmal berühmt werden würde?

Ich dachte damals, dass jeder Punkmusiker das Zeug zum Star hat. Als ich ganz frühe Auftritte der Sex Pistols filmte, war da im Publikum dieser Typ namens Sid Vicious, der mir sofort auffiel und den ich mindestens so interessant fand wie die Band selbst. Er wurde dann Teil der Sex Pistols und auch andere aus dem Umfeld wie Souxie und Billy Idol fingen bald an, selbst Musik zu machen. Und dann war da ein junger Fan in der Menge, den ich einfach filmen musste, weil er so begeistert bei der Sache war. Und das war Shane. Er war etwas Besonderes, das spürte man sofort. Ein Streetpunk mit entsprechender Attitüde, der es tunlichst verheimlichte, dass er in Westminster zur Schule ging. Und ich war natürlich überrascht, als ich später seine ersten Stücke hörte, irische Songs, die scheinbar nichts mit dem zu hatten, wie er sich zuvor gegeben hatte. Aber natürlich verband er da Volksliedtraditionen mit Punkhaltung, auch in den Texten. Und er steht damit in einer literarischen Linie zu James Joyce, dessen Umgang mit Sprache auch sehr punkig war. Und zum schwarzen Humor bei Flann O’Brien, Schriftsteller, die Shane alle gelesen hat und die ihn beeinflusst haben, auch wenn er so tut, als sei er gar kein Literat.

Sie porträtieren in Ihrem Film aber nicht nur den Musiker, sondern zeichnen im Grunde ein Panorama Irlands.

Mich interessieren die Umstände, in denen die Musik entsteht, die Zeit, der Ort und die Menschen. Ich tauche in die Vergangenheit ein, ohne zu akademisch zu werden. Ich mag diesen Aspekt von Musik als Zeitreise, man hört einen Song und wumm!, ist man zurückkatapultiert in eine Nacht im Jahr 1978. So sehe ich auch meine Art Filme zu machen, als eine Art Zeitreise, nicht als dröge Geschichtsstunde. Ich kann auch gar nicht in zwei Stunden alles erklären, aber ich kann ein Gefühl dafür vermitteln, was es kulturell bedeutete, damals dabei gewesen zu sein.

Shane MacGowan gilt als alles andere als einfach, nicht nur wegen seines Alkoholkonsums. Was war beim Dreh die größte Herausforderung?

Es ging einfach darum, die Klappe zu halten und die Beschimpfungen und all das zu ertragen. Er kann wirklich ein gemeiner Scheißkerl sein, aber dann auch wieder sehr sweet. Shane ist ein sehr seltsamer Mix. Er ist seine eigene Erfindung, wie jeder große Künstler. Seine Legende, wie er in Irland aufwuchs? Naja, er ging in einem Vorort von London zur Schule und verbrachte seine Ferien in Irland, seine Eltern waren in den 1950ern von dort ausgewandert, weil dort große Armut herrschte. Aber wenn er wirklich dort aufgewachsen wäre, hätte er wahrscheinlich nicht diese Faszination dafür entwickelt, sondern alles getan, um von dort abzuhauen. Stattdessen saß er als Migrantenkind in England und romantisierte Irland, das gab ihm die kreative Freiheit, all diese Songs zu komponieren. Und deswegen nutze ich Animationen, um seine Herkunft zu erzählen, weil es etwas Märchenhaftes hat. Es ist deswegen nicht unbedingt gelogen, aber doch überhöht. Er ist ein Meister im Geschichtenerzählen.

In den 1980ern haben Sie sich auch an Spielfilmen versucht, darunter "Absolute Beginners" und "Zebo, der Dritte aus der Sternenmitte", schienen dabei aber ein weniger glückliches Händchen zu haben.

Generell sind fiktionale Stoffe nicht mein Ding, weil ich große Schwierigkeiten damit habe, wenn man mir sagt, was ich zu tun habe. Und das ist bei Spielfilmen viel mehr der Fall, weil einem die Finanziers und Produzenten im Nacken sitzen. Ich kann diese Banker nicht ausstehen, die Befehle geben, nur weil sie mit dem Geld wedeln können. Fuck off! Ich sollte das vielleicht entspannter sehen, aber so bin ich nicht gestrickt.

Im Umgang mit unberechenbaren Musikern scheinen Sie durchaus Gelassenheit zu haben. Wie behalten Sie in dieser Punkrockszene einen kühlen Kopf?

Ich sehe meine Filme gar nicht so sehr als Dokumentationen, sondern eher als Gedichte, ein Poem über oder an einen Künstler. Ich schaue mir selber keine Dokus an. Mich interessiert es mehr, Realität zu fiktionalisieren. Die Welt findet zum großen Teil eh in unseren Köpfen statt, es ist subjektive Wahrnehmung. Meine Filme handeln also vor allem von mir und wie ich Momente wahrnehme und erlebe, meine Reise durch diese Kultur. Ich war ja immer Teil derselben Szene, ging auf dieselben Konzerte, sah Jimi Hendrix 1970 auf der Isle of Wight und all das. Es geht mir also mindestens ebenso darum, mir selbst einen Reim auf diese Zeit zu machen, wie es ein Porträt bestimmter Personen ist. Aber diese Einstellung gibt mir auch eine gewisse Distanz und Freiheit im Umgang.

Gab es einen Moment, an dem Sie abbrechen wollten?

Mehrmals. Er tauchte regelmäßig zu Verabredungen einfach nicht auf. Einmal warteten wir drei volle Tage in einem Dorf in Irland, mit Crew und Darstellern, und dann sagte er nur: Verdammt, ich hab's mir anders überlegt. Da platzte mir kurz der Kragen, weil es ihm einfach egal schien. Also habe ich einfach den Film so gemacht, wie ich es für richtig hielt. Das war auf jeden Fall besser, als sich von Shane MacGowan beleidigen zu lassen.

Hat er den fertigen Film gesehen?

Hat er. Und ihn für gut befunden. Ich verbuche das als großen Erfolg, weil ich wirklich dachte, er würde ihn hassen. Nicht, dass es etwas geändert hätte. Wenn ich den Film gut finde und er ihn hasst, ist mir das auch völlig recht. Aber es ist mir eine Genugtuung, dass er ihn widerwillig mag. Wir hatten unsere Schwierigkeiten, es war unmöglich, ihm Anweisungen zu geben. Wenn ich ihn vor der Kamera interviewte und bat, ein Stück nach links zu rücken, weil da das Licht besser war, raunzte er nur ein "Fuck You". Es kann passieren, dass er dann einfach abbricht und man muss ihn sehr vorsichtig behandeln. Zum Teil ist der Film trotz Shane MacGowan entstanden, nicht wegen ihm. Bei unserem ersten Gespräch sagte er, er wolle damit nichts zu tun haben, ich solle den Film einfach machen. Aber solche Herausforderungen spornen mich eher an. Also versuchte ich all die Bänder aufzutreiben von Interviews mit ihm, wir hatten am Ende Hunderte Stunden Material, total obskures Material zum Teil und in mieser Tonqualität, aber Shane 1985 in einer Bar im Finnland um 4 Uhr morgens ist auch einfach unschlagbar.