Architekt Meinhard von Gerkan über die Berliner Flughäfen

"Sicherheitsplanungen haben auf den Bau immensen Einfluss"

Herr von Gerkan, Sie und ihr Partner Volkwin Marg waren noch Studenten, als sie den Wettbewerb für den Bau des Flughafen Tegel gewonnen haben ...
Nicht ganz. Der Wettbewerb lag in dem Jahr, als wir unser Diplom gemacht haben, die Entscheidung fiel etwa ein Jahr später, da waren wir mit dem Studium fertig.

Wie sind Sie damals auf die markante sechseckige Grundform des Terminals gekommen?
Das war nichts weiter als eine deduktive Ableitung der Frage: Was muss ein Flughafen heute leisten? Er muss die Bodenverkehrsmittel – Auto, Bus, Bahn – und das Luftverkehrsmittel so dicht wie möglich zusammenführen, um kurze Wege zu ermöglichen und klare Orientierung zu schaffen. Und da Flugzeuge sehr viel Platz brauchen, wenn sie stehen, bietet sich die Kreisform nun mal an, weil der Kreisumfang mit der Entfernung vom Mittelpunkt immer größer wird. Entscheidend ist, dass die Flugzeuge außen stehen und dadurch viel Platz haben, und die Autos innen einen zweiten, kleineren Ring bilden. Die ganze Idee war begünstigt durch das damals von der Lufthansa propagierte Konzept „Drive to your gate“: Man sollte so nah wie möglich an sein Flugzeug heranfahren können.

Diese Idee scheint heute vergessen.

Komplett, ja.

Wie groß ist die Distanz in Tegel?
Vom Auto bis zum Flugzeug liegen 35 Meter.

Und bei neueren Flughäfen?
In Frankfurt sind es 1,8 Kilometer, beim BBI dürfte der maximale Weg etwa 700 Meter betragen. Eine solche Nähe wie in Tegel gibt es heute allenfalls noch auf Provinzflughäfen. Hinzu kommt, dass man in Tegel ein sogenanntes „Gate-Check-in“ hat: Man checkt da ein, wo das Gate ist. Heutige Flughäfen haben einen zentralen Check-in, von wo aus das Gepäck dann über ein Fördersystem geschickt wird. Das braucht Tegel nicht, da bringt der Gast sein Gepäck quasi selbst zum Flugzeug. Das war damals sehr fortschrittlich und wird auch heute noch von den meisten Nutzern für sehr gut befunden, allerdings nicht von den Betreibern der Flughäfen. Es ist ein Auslaufmodell.

Woran liegt das?
Zwei wesentliche Dinge haben sich geändert: Das eine ist der Terrorismus und die damit notwendig gewordenen Sicherheitskontrollen, die das gesamte Abfertigungssystem komplett verändert haben. Zu der Zeit, als Tegel entworfen wurde, gab es noch keine Flugzeugentführungen; es gab sie noch nicht einmal als Fiktion. Ebenso wenig wie individuelle Personenkontrollen. Das zweite: Man meinte, ein Flughafen braucht in etwa die Ausstattung eines Bahnsteigs. Ein Zeitungskiosk, ein Zigarettenladen, ein Souvenirshop – nichts weiter. Dass der Flughafen zum Shoppingcenter wird, war unvorstellbar. Mittlerweile ist es so, dass bis zu 60 Prozent der Einnahmen eines Flughafens gar nicht mehr von den Airlines stammen, sondern aus dem sogenannten non-aviation-Bereich.

Sie sagen das relativ emotionslos – bedauern sie diese Entwicklung nicht?
Mittlerweile emotionslos, ja. Nachdem ich mich jahrelang mit der Bemerkung unbeliebt gemacht habe: Flughafen ist Flughafen, Kaufhaus ist Kaufhaus – das gehört nicht zusammen. Aber ich muss auch gestehen: Meine These von vor 10, 15 Jahren, dass das alles Mumpitz ist, war falsch. Ich habe danebengelegen. Emotionslos war das für mich nie. Für den Hamburger Flughafen hatten wir ursprünglich drei gleichwertige Terminals geplant. Dann hat man entschieden, dass man den dritten nicht als Abfertigungsterminal baut, sondern als Retailfläche, und die Menschen unter Inkaufnahme längerer Wege über diesen mittigen Terminal leitet. Dagegen habe ich lange angekämpft – ergebnislos. Die Sinnfälligkeit der Wegführung ist durch den Umbau völlig verlorengegangen. Ich muss allerdings zur Kenntnis nehmen, dass die meisten Passagiere das gar nicht merken. Die denken, Sicherheitskontrollen machten die Umwege notwendig. Dabei wird man so kanalisiert, dass man durch die Shoppingmalls geradezu genötigt wird. Es sagt natürlich keiner, dass es hier ums Geldanzapfen geht. Dienstleitung nennt man das dann.

Sie sagten, dass es zu Ihren Anfangszeiten Flugzeugentführungen noch nicht einmal als Fiktion gegeben habe. Am 11. September wurden Flugzeuge als Waffen eingesetzt, die Bilder des Anschlags verbreiteten globalen Schrecken. Woher kommt die immense Angst vor Flugzeugabstürzen?
Ich denke, es hat damit zu tun, dass man sich der totalen Ohnmacht der Situation bewusst ist, der der Einzelne ausgeliefert ist. Man hat immer das Gefühl: Beim Autounfall, beim Bahnunglück, selbst beim Schiffsuntergang hab ich immer noch die Chance, davon zu kommen – aber im Flugzeug kann man überhaupt nichts machen. Ich habe selbst auch lange unter Flugangst gelitten, wo solche Gedanken natürlich auch eine Rolle spielen.

War Ihnen gleich klar, dass der 11. September Auswirkungen auf die Architektur haben wird?
Es war klar, dass es Auswirkungen auf alles haben würde. Was die Architektur betrifft, ging man unmittelbar nach den Anschlägen davon aus, dass nie wieder Hochhäuser in diesen Dimensionen gebaut würden. In China und anderen Regionen sehen wir, dass es anders gekommen ist. Aber natürlich: Sicherheitsplanungen haben auf Planung und Bau einen immensen Einfluss.

Tegel fällt in die Zeit allgemeiner Demokratisierung des Bauens, die in Günter Behnischs Olympia Park in München gipfelte. Hatte der Anschlag auf die Olympischen Spiele 1972 ähnliche Auswirkungen wie der 11. September?
Vermutlich war das Olympiastadion der Höhepunkt in der Liberalität im Bauen, der Befreiung von allzu viel Regelwerk, die sich auch auf den Sport übertrug. Natürlich wurden da auch noch die Zehntelsekunden gemessen, aber es war lockerer, spielerischer. Ich habe den Anschlag damals nicht so auf die Architektur bezogen, aber München war schon der Vorwand für die Konservativen zu sagen: „Jetzt macht mal halblang, es muss ja nicht alles so offen und grenzenlos sein. Das kommt dabei raus. Bisschen Polizei muss schon sein.“ Dabei hatte der Anschlag mit der offenen Architektur gar nichts zu tun, der fand ja in einem der Wohnhäuser statt.

Können Sie in etwa die Kosten beziffern, die für Sicherheitsauflagen bei heutigen Bauten wie dem BBI verursachen?
Das würde ein eigenes Forschungsprogramm erfordern mit einem extrem unklaren Ergebnis. Man käme vermutlich mit einem Drittel weniger Fläche aus, könnte 30 Prozent Personalkosten sparen und die kostspieligen Apparate würden sich erübrigen. Zuletzt steckt aber in jedem kleinen Detail ein Stück Sicherheitsvorkehrung: von der Schließanlage bis zur Videoüberwachung.

Was hat sich konkret verändert bei Planung, auch bei Zusammensetzung Ihres Büros. Haben Sie eigene Fachleute für Sicherheitsfragen?
Nein zum Glück nicht.  Wir verstehen unseren Beruf generalistisch: Jeder muss sein Metier umfassend beherrschen, damit auch alle Fragen der Sicherheit berücksichtigt sind. Jede Spezialisierung auf Teilaspekte ist der Tod für gute Architektur genauso wie für gute Politik.

Haben Sie das Gefühl, mit Ihrem Neubau das Schicksal von Tegel besiegelt zu haben?
Nein, das war ohnehin klar. Tegel war immer eines meiner Lieblingsgebäude, aber es ist so verwurschtelt mittlerweile durch all die Zusatzbauten. Der Ring war ursprünglich für 2,8 Millionen Passagiere pro Jahr geplant, heute müssen 13 Millionen abgefertigt werden. Das sind völlig andere Anforderungen.