Kunstprojekt zu Sophie Scholl

"Es gibt nie nur eine Geschichte zu einer Person"

In diesen Tagen würde Sophie Scholl 100 Jahre alt. Die Künstlerin Stefanie von Schroeter hat sich mit ihren Zeichnungen beschäftigt - und mit der politischen Vereinnahmung der Widerstandskämpferin

Als die in Berlin lebende Künstlerin Stefanie von Schroeter 2019 mit ihrer Recherche über Sophie Scholl begann, hätte sie nicht gedacht, dass deren Figur sobald wieder in den aktuellen Nachrichten präsent sein würde. Von Schroeter hatte gerade ihr erstes Künstlerbuch über die Malweiber in Worpswede veröffentlicht und herausgefunden, dass auch Scholl dort gezeichnet hatte, inspiriert von den Werken der Künstlerin Paula Modersohn-Becker. Genauer war Scholl beauftragt worden, die Illustrationen für die erste deutsche Übersetzungen des Kinderbuchs "Peter Pan" anzufertigen.

Ein Jahr lang setzte sich von Schroeter mit der jungen Widerstandskämpferin auseinander und fand einen sehr persönlichen und emotionalen Zugang. So reagierte sie immer wieder mit eigenen, paraphrasierenden Zeichnungen auf die von Sophie Scholl und empfand den Prozess wie ein Gegenlesen von deren Leben. "Da ist die unglaublich liebevolle Zeichnung einer Mutter mit ihren beiden Kindern, sie ist voller Geborgenheit, Glück und Liebe. Der krasse Gegensatz dazu war für mich das Mädchen mit Pfeil in der Brust, ein Bild von Tod und Gewalt", so von Schroeter.

Sophie Scholl wäre am 9. Mai 100 Jahre alt geworden. Die Widerstandskämpferin der Weißen Rose, die gegen den Faschismus im dritten Reich kämpfte und letztlich dafür ihr Leben lassen musste, wurde in den letzten Monaten immer wieder von der "Querdenken"-Bewegung in ihrem Protest gegen die Corona-Maßnahmen zitiert. Auch die offizielle Gedenk-Maschinerie läuft. Zu ihrem Jahrestag bekommt Scholl in einem Projekt des SWR und BR nun sogar ein eigenes Instagram-Profil, auf dem für die nächsten zehn Monate ihr Leben vom Mai 1942 bis zu ihrer Hinrichtung durch die Nazis im Februar 1943 gezeigt und so ihre Geschichte durch ein modernes Medium erzählt wird. Auf dass man sich erinnere, wofür sie stand und eingetreten ist.

"Coco Chanel hätte Sophie Scholl gewählt"

"(..)Peter Pan und die anderen Illustrationen mache ich natürlich fertig. Ich sehe nicht ein, warum man im Krieg nur die grausam ernstesten Dinge tun darf(..)", so wurde Scholl 1939 über ihre Arbeiten zitiert. Das Zitat ist im zweiten Künstlerbuch von von Schroeter zu finden, das vor Kurzem unter dem Titel "Coco Chanel hätte Sophie Scholl gewählt" von Peter Niemann in dessen Heftreihe "Texte zur Welt wie sie ist und wie sie sein sollte" als 53. Heft veröffentlich wurde.

Der Titel ist eine Referenz zu einem AfD-Wahlplakat, das mit dem Slogan "Sophie Scholl würde die AfD wählen" geworben hatte und auch in einer Collage in das Heft eingearbeitet wurde. Es war diese Kampagne, zusammen mit Aktionen wie der viral gegangenen Ansage von Jana aus Kassel, die sich auf einer "Querdenken"-Demo mit Sophie Scholl verglich, die Stefanie von Schroeter bewusst machten, wie gegenwärtig ihre Recherche geworden war. Und so verband sie einzelne Zeichnungen ihrer Werkreihe, genannt "Sophie Pan", in dem Künstlerbuch mit scharfen, teils überspitzten Collagen. "Durch diese sind die Zeichnung noch mal in einem anderen Kontext zu sehen. Man versteht sie jetzt mehr in der Zeit, in der sie damals entstanden waren," erklärt die Künstlerin.

Die politischen Montagen stellen immer wieder die aktuellen faschistischen Tendenzen dem historischen Faschismus gegenüber, erzählen unentdeckte Geschichten hinter bekannten Gesichtern und sind letztlich wie ein endloser Google-Verlauf, in dem man sich von Link zu Link geklickt hat, miteinander verkettet.

Beide standen in einem Kinderbuch auf dem Index

In ihrer Arbeit konfrontiert Stefanie von Schroeter unter anderem Sophie Scholl mit Gabrielle "Coco" Chanel. So wenig wie die meisten von Scholls künstlerischer Karriere ahnen, so wenig ist ihnen klar, welche Rolle Chanel im sogenannten Dritten Reich gespielt hat, wo sie tatsächlich als Spitzel für die deutschen Nationalsozialisten tätig war.

Beide Frauen wurden im Jahr 2019 von der türkischen Regierung als Protagonistinnen im gendergerechten Kinderbuch "Goodnight Stories for Rebel Girls" auf den Index gesetzt, da das Buch laut den türkischen Behörden "einen schädlichen Einfluss auf den Geist" von Kindern und Jugendlichen habe. Chanel war darin als Erfolgsfrau, Scholl als Aktivistin abgebildet, beiden wurde eine klare Rolle zu gewiesen. "Man muss genau hinschauen. Wie emanzipiert und fortschrittlich war Chanel wirklich? Ich möchte, dass die Menschen sensibler werden und hinterfragen, das ist heute extrem wichtig", so von Schroeter.

Auch der aus einer AfD-Parole übernommene Titel soll darauf hinweisen. Denn genau so wenig wie Sophie Scholl die AfD gewählt hätte, hätte wohl auch Coco Chanel die Widerstandskämpferin unterstützt.

Peter Pan führt zu Michael Jackson

In dem Künstlerbuch werden, provoziert durch die aktuellen politischen Bewegungen, immer wieder die Themen Täuschung und Irreführung behandelt. Über Peter Pans Nimmerland kam von Schroeter alsbald zu Michael Jacksons Neverland Ranch, und so zu dem Sänger selbst, der für lange Zeit ein völlig verzerrtes Bild von sich verkaufen konnte. "Menschen werden infiltriert, es ist leicht sie zu packen und um den Finger zu wickeln, mit völlig falschen Behauptungen," erklärt von Schroeter.

Ein paar Seiten nach Jackson ist in dem Buch eine Malerei der "Lost Boys" zu sehen, mit der die Künstlerin eine Verknüpfung zu der heute "verlorenen Gesellschaft" herstellten wollte. "Es gibt nie nur eine Geschichte zu einer Person. Und wenn man dieses Buch aufschlägt, weiß man nicht sofort, wohin es geht. Es werden sich viele Fragen auftun, und ich möchte dazu ermutigen, selbst darüber nachzudenken und auch zu recherchieren," erklärt die Künstlerin ihr Werk. "Man darf sich nicht so schnell abfertigen lassen und alles hinnehmen."

Auf der ersten Seite des Künstlerbuches ist eine Collage aus Sophie Scholls Flugblättern zu sehen, die in den Plakaten einer Anti-Querdenken-Demonstration enden. "Du bist nicht Sophie Scholl" steht auf einem Transparent. Und das ist eine klare Mahnung, dass sich niemand im Heute mit der Widerstandskämpferin vergleichen kann. Aber an sie zu erinnern, das ist wichtig.