SØR-Rusche-Versteigerung

Wie es sich anfühlt, wenn deine Werke auf einer Auktion landen

Der Künstler Paule Hammer in seinem Atelier
Foto: Walther Le Kon

Der Künstler Paule Hammer in seinem Atelier

Kommende Woche wird in Köln der zweite Teil der SØR Rusche Collection versteigert. Das Modehaus löst seine Kunstsammlung auf, um die digitale Transformation des Unternehmens zu finanzieren. Es ist die größte Auktion zeitgenössischer Kunst in Deutschland. Über vier Jahrzehnte hat die Familie Rusche Kunst gesammelt, von niederländischer Malerei des 17. Jahrhunderts bis zeitgenössischer Kunst. Darunter sind auch 20 Werke des Leipziger Malers Paule Hammer. Was diese Versteigerung für ihn als Künstler bedeutet, beschreibt der 44-Jährige in einem Gastbeitrag für Monopol

Traum vom 17. Mai 2017:

Auf einer Party sind wir alle als Zombies verkleidet. Ich, als Zombie, stürze mich auf den Sammler Thomas Rusche. Ich greife in seine Hosentasche, ziehe Geldscheine heraus und stecke sie mir selber ein. Er, auch schon ramponiert, ein Ärmel seines Jacketts ist bereits abgerissen, lässt es geschehen. Später bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Auf einem Empfang in seinem Haus gebe ich ihm das Geld feierlich zurück. Dabei sieze ich ihn, obwohl wir uns schon immer geduzt haben. Von da an spricht er nie wieder ein Wort mit mir.

Ich weiß nicht mehr, wann ich Thomas Rusche zum ersten Mal begegnet bin. Es muss irgendwann zwischen 2006 und 2009 gewesen sein. Von Anfang an kaufte er viel, nicht nur in meiner damaligen Galerie, dem Laden für Nichts, sondern auch die Arbeiten der Kollegen in den anderen Galerien, vor allem aber in Leipzig und Berlin. Sein Geschäft ist das Modehaus SØR Rusche.

Mir, im Osten Deutschlands aufgewachsen, erschien Thomas Rusche zunächst wie eine fremde Spezies: diese Art aufzutreten, die große Geste, das Aufstehen und gegen das Glas klopfen in großer Runde, die anschließende Rede, das euphorische Lob auf Anwesende.

Das alles atmete Tradition, Familie, 19. Jahrhundert, irgendwas zwischen Buddenbrooks und Medici. Auch in der Gestaltung der eigenen Biografie verkörpert er ganz das Modell des Renaissancemenschen, so hat er etwa neben seiner kaufmännischen Tätigkeit zwei Doktortitel erworben, einen in Wirtschaftswissenschaften und einen in Philosophie, und ist verbunden mit zahlreichen Stiftungen.

Rusche ist Katholik und er zeigt es. Ich erinnere mich, wie er in einem Lokal in New York eindringlich einen Künstlerkollegen fragte: "Glaubst Du an Jesus Christus als Gottes eingeborenen Sohn?"
 

Traum vom 18. April. 2019:

Es ist Herrentag in Suhl und ich bin mit Thomas Rusche unterwegs. Wir wandern durch den Wald und er fragt mich, ob ich den Weg kenne. Ich sage: Hier kenne ich mich aus wie in meiner Westentasche. Wir wollen irgendwo einkehren, aber ich habe kein Geld dabei. Thomas Rusche sagt, wir könnten doch mit einem der von ihm herausgegebenen Bücher bezahlen.

Wir gehen in eine Veranstaltung mit dem Titel "Meditieren für Männer". Ein großer, abgedunkelter Saal voller Männer. Leider riecht es stark nach Strumpf.

Wir legen uns hin und meditieren mit.


Als Künstler in Rusches Bestand hatte ich keinen Grund, mich zu beschweren. Regelmäßig zeigte er seine Sammlung in verschiedenen Institutionen in Deutschland. In diesen Ausstellungen kombinierte er die älteren Teile - Malerei und Plastik von Mittelalter bis Barock, vor allem niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts - mit den Zeitgenossen. Kataloge wurden gemacht, Gestalter, Autoren und Übersetzer wurden bezahlt. Regelmäßig führte Rusche Besucher durch seine festen Sammlungsräume in Berlin. Auf der Website wurden Künstler und Werke vorgestellt.

In einer Reihe von Ausstellungen, in denen einzelne Zeitgenossen mit Barockkünstlern aus der Sammlung kombiniert wurden, war ich der erste. Auch hier erschien ein Katalog. Die Zusammenarbeit, etwa wenn Arbeiten für Ausstellungen ausgeliehen werden mussten, verlief immer unkompliziert und professionell.

Rusche war ein leidenschaftlicher, vielleicht exzessiver Sammler. Irgendwann soll er gesagt haben (sinngemäß, ich habe es nicht selbst gehört und vergessen, wer es mir erzählt hat): "Ein Tag ohne ein gekauftes Bild ist ein verlorener Tag."
 

Traum vom 7. Juli 2019:

Ich halte einen Teller mit Kristallen. Thomas Rusche tritt auf mich zu und sagt: Das ist Bergkristall.


Aber dann wurden die Einkäufe seltener. Die Firma schien Probleme zu haben, sicher, Kleidung wird immer öfter im Internet bestellt und immer seltener im Laden gekauft. Eines Tages, im März 2019, kam dann eine Mail: Die digitale Transformation unserer Wirtschaftsgesellschaft stelle auch die SØR Rusche GmbH vor enorme Herausforderungen. Um die Chancen für unser Modeunternehmen nutzen und die Arbeitsplätze der Mitarbeiter langfristig sichern zu können, habe Thomas Rusche schweren Herzens entschlossen, die Alten Meister seiner Sammlung durch Sotheby's, London, und die zeitgenössische Kunst durch Van Ham, Köln, versteigern zu lassen.

Ich bedankte mich für das Vertrauen in meine Arbeit und wünschte Rusche und seinem Unternehmen Kraft und alles Gute für die Zukunft.

Von der Angst, die in diesem Zusammenhang in meinem Umfeld einbrach, ließ ich mich zunächst nicht allzu sehr beeindrucken. Das sind doch seine Bilder, sagte ich, mit denen kann er doch machen was er will. Darauf wurde ich auf die mögliche wirtschaftliche Bedeutung eines solchen Ausverkaufs hingewiesen: Der Markt wird mit billigen Arbeiten von dir überschwemmt. Das bedeutet, dass sowohl die Nachfrage als auch die Preise mit großer Wahrscheinlichkeit nach unten gehen.

Es kam zu einem Treffen mit Rusche auf der Spinnerei in Leipzig, einige Künstler waren da und ein Galerist. Vielleicht, so dachte ich, hat er ja mit den Abwesenden alles schon in Einzelgesprächen geklärt. Mir war dieses Gespräch wichtig, denn auch wenn unser Verhältnis nie ein persönliches gewesen war, verdiente es doch einen irgendwie würdigen Abschluss.

Der Ton dieser Veranstaltung war trocken und ernst. Der alte, zeremonielle Rusche-Überschwang war verschwunden und eine Ersatzformel für diese Art von Veranstaltung schien nicht zu existieren, natürlich, hier wurde ja auch nichts gefeiert, sondern eher abgewickelt.

Die Versteigerungen, so Rusche, seien wie folgt geplant: eine Reihe von kuratierten Veranstaltungen sollten es sein, fast wie Ausstellungen, mit Themen wie Landschaft, Genrebild etc. Von einzelnen Künstlern würde nicht allzu viel auf einmal zur Disposition gestellt werden sondern vorsichtig, immer mal zwei oder drei Arbeiten.

Beruhigt, fast erfreut ging ich nach Hause.

 

Traum vom 19. Juli 2019:

Thomas Rusche fährt mich zu einem "Malerei- Wettkampf". Die Konkurrenten und ich sitzen in einer Landschaft und sollen sie malen: Wald, Wiesen, Rauch, der aus zwei Schornsteinen kommt. Ich kriege es überhaupt nicht hin und verliere den Wettkampf.

Am Abend nimmt mich Thomas Rusche wieder mit dem Auto nach Hause, ich merke aber schon beim Einsteigen, dass er es nur widerwillig tut. Ich merke auch,  wie er bedauert, dass ich nicht hinten sitzen kann, weil die Rücksitze voll mit seinen Klamotten sind.

Ich soll Musik für die Fahrt raussuchen, da sind CDs in der Beifahrertür. Was haben wir denn alles? Die Bravo-Superhits, Udo Lindenberg…

Thomas Rusche schaut immer in den Rückspiegel, er hat eine neue Sonnenbrille, auf die er offenbar sehr stolz ist.

Wenigstens eine Sache, die ihn erfreut, denke ich.

Udo Lindenberg?

Er reagiert nicht.

 

Vor zwei Wochen rief mich Uwe Karsten Günther an, Betreiber des Laden für Nichts in Leipzig: Der Versteigerungskatalog ist raus. Von dir sind 20 Arbeiten drin. Mit sehr niedrigen Startpreisen. Ohne Lebenslauf, Ausstellungsverzeichnis etc.

Ein Freund von mir, ein Bänker und Mann der Tat, schrieb sofort den Leiter der zeitgenössischen Abteilung des Auktionshauses an. Der verteidigte das Verfahren damit, dass hier bis Ende 2020 circa 4000 Werke von 160 Künstlern zu verkaufen seien und ein näheres Eingehen auf die Biografien aller einzelnen Künstler die Wirtschaftlichkeit des Katalogs sprengen würden.

Um die Künstler zu unterstützen, sei es nun angebracht, so viele Galeristen und Sammler zu überzeugen, sich an der Auktion zu beteiligen.

Tja. Was ist jetzt zu tun? Die Tipps aus meinem Umfeld gehen von: "Nichts, du kannst eh nichts machen" bis "Hör auf im Atelier zu arbeiten, du musst jetzt so viel wie möglich Öffentlichkeit schaffen. Lass dir nichts gefallen."

Ich höre nicht auf, im Atelier zu arbeiten, sondern bereite meine Ausstellungsbeteiligung bei Feinkunst Krüger am 5. Oktober in Hamburg vor. ("Lose Haare in meiner Hand", mit Simon Hehemann und Stefan Vogel). Danach baue ich meine Einzelausstellung "Kopfkino Kaputtnik" im Museum der Bildenden Künste in Leipzig auf. In einer sehr großen Skulptur empfange ich dort Gäste zu einer regelmäßigen Talkshow. Und dann eröffnet noch eine Ausstellung mit Zeichnungen bei Feldbusch Wiesner Rudolph in Berlin am 1. November. 

Und zwischendurch mache ich noch den Podcast "Warum ist das Leben so lang" mit Florian Hesselbarth. Wir treffen im November den Künstler-Unternehmer Rafael Horzon und den Schauspieler und Musiker Robert Stadlober.

Geht immer weiter.

 

Traum vom 10. August 2019:

Eine Kinovorstellung auf der Spinnerei. Ich möchte hin, habe aber kein Geld.

Das Kino gehört jetzt Thomas Rusche. Ich treffe ihn in der Stadt. Er will allen einen ausgeben und den Bus zum Kino bezahlen. Ich sage nein, ich bin mit dem Fahrrad da.