Die Ausstellung "Töten" in Erlangen

Spione, Serienmörder, Terroristen





Als der 19-jährige Abraham Biggs im November 2008 vor einer laufenden Webkamera eine Überdosis Tabletten nahm, hielten die Zuschauer, die die Szene über einen Livestream verfolgten, Biggs’ Suizid für eine Täuschung. Zwölf Stunden dauerte es, bis ein User die Polizei rief, die Biggs schließlich tot in einem Haus in Florida auffand.

Zwei Jahre später konnten die Nutzer von Chatroulette, einem Onlineportal, in dem ein Zufallsgenerator zwei Computer miteinander verknüpft und so eine Konversation zwischen Fremden ermöglicht, einen jungen Mann stranguliert von einer Decke hängen sehen. 

Auch hier gab es viele Tausend Klicks, bevor jemand Alarm schlug. Im Unterschied zur Tragödie von Biggs fanden die Rettungskräfte jedoch keine Leiche, sondern einen lebenden Künstler. Franco Mattes hatte das Drama zusammen mit seiner Partnerin Eva Mattes gestellt und anschließend als Video ins Internet hochgeladen.

„No Fun“ (2010) heißt diese Arbeit, die die Kuratorin Claudia Emmert in der Schau „Töten“ zeigt, treffend: Denn Mattes sowie zehn weitere Künstler, darunter Anri Sala, Kitty Kraus, Jenny Holzer und Yves Netzhammer, nehmen den Betrachter mit in die Verantwortung. Simon Menner zum Beispiel behauptet mit seinem Werktitel, bei einer Reihe von Porträtierten handle es sich um „Spione, Serienmörder und Terroristen“, und überlässt es den Besuchern, die Männergesichter zu identifizieren. 

Taryn Simon präsentiert eine Fotografie der Schauspielerin Zahra Zubaidi, die während der Drehaufnahmen zu Brian De Palmas „Redacted“ entstanden ist. Der fiktive Film, der einen echten Fall, die Vergewaltigung und Tötung eines irakischen Mädchens durch amerikanische Soldaten, thematisiert, hatte 2007 dazu geführt, dass die Schauspielerin sogar Morddrohungen von ihrer Familie erhielt. Heute hat Zubaidi in den Vereinigten Staaten Zuflucht gefunden.   

Das zwingende Paradigma des Ausstellungsparcours im Kunstpalais Erlangen lautet: Nicht nur Täter – Bilder und deren Rezeption können Leben verändern, im schlimmsten Fall zerstören.


Kunstpalais Erlangen, 31. März bis 17. Juni, Eröffnung: Freitag, 30. März, 19 Uhr