Doron Sebbags Kunstsammlung in Berlin

Stadtruinen

In Hermann Nitschs abstrakten, zwei Mal zwei Meter großen Gemälde „Relikt der 50. Aktion" scheint ein riesiger rötlich-brauner Fleck aus Blut noch zu nässen und sich immer weiter zu vergrößern, als gestaffelte Landschaft, als organische Typografie. Das "Relikt" ist ein Überbleibsel von einer der ekstatischen Orgien-Mysterien-Theater von Nitsch im österreichischen Prinzendorf und spielt eine Schlüsselrolle in der Gegenüberstellung der Sammlungen von Daimler und von Doron Sebbag - Unternehmer, Kunsthändler und Sammler aus Tel Aviv - in einer Ausstellung am Potsdamer Platz in Berlin.

„Relikt der 50. Aktion" aus dem Jahr 1975 hängt dort am Eingang und verknüpft Themen und zeigt gemeinsame Nenner auf, seien es Körpersekrete oder staubige Stadtruinen. Die Kunstwerke hier (figurative Malerei, Fotografie und nicht-materielle Arbeiten) könnten Spuren einer stattgefundenen oder bevorstehenden Katastrophe sein.

Die siebte Schau in der Serie „Private/Corporate" im Kunstraum Daimler-Contemporary, in der Kunst aus privaten und internationalen Sammlungen gezeigt wird, wurde von Renate Wiehager kuratiert, Leiterin der Daimler-Kunstsammlung.

Gleich gegenüber von Nitschs „Relikt“ ragt Peter Buggenhouts „Gorgo#8“ von 2007 aus der weißen Wand: ein massiver, dunkler Brocken aus Polyester, Eisen, Holz, Kunststoff, Staub, Pferdehaar und Blut. Er wirkt wie ein archäologisches oder gar prähistorisches Relikt, dennoch völlig artifiziell, handgemacht, um „Ruine“ zu werden. Buggenhouts Arbeit spielt auf den Kopf der Gorgonen an, mythologische weibliche Monster der Unterwelt, deren Blick einen zu Stein verwandeln könnte.

Sigalit Landau und Ilit Azoulay begleiten den schmutzigen Auftakt. Landaus „Alatlal“ ist eine aus Fieberglas und Zuckerfaser hergestellte männliche Figur, die von der Decke hängt. Es fällt die erodierte Form auf, der Körper scheint verschlossen und angespannt. „Al Atlal“ („Die Ruinen“) aus dem Jahre 1966 ist das beeindruckendste und rührendstes Liebesstück des ägyptischen Sängers, Liedermachers und Performers Umm Kulthums. In dem Text von Ibrhaim Nagi kollabiert die Liebe zweier Menschen, wie eine Festung, die zur Ruine wird. Wie das menschliche Leben ist die Liebe dazu verdammt, zu Asche und Staub zu werden. Landaus Akt will diesen Pathos in einer schockierenden Art miteinbeziehen. Allerdings droht „Atlal“ den Betrachter mit narrativem Symbolismus zu strangulieren.

Ilit Azoulay geht kühler und distanzierter vor: In ihrem fotografischen Druck „Passage“ von 2009 montiert sie verlassene Landschaften, einen Tisch und einen musealen Raum. In einer anderen großformatigen Montage kombiniert sie auf seltsame Weise Alltagsobjekte; sie wirken museal und häuslich zugleich.

Nitschs Leinwand bleibt ein zentrales Motiv der Ausstellung, die in verschiedene Blöcke eingeteilt ist. Einer umfasst fünf Video-Arbeiten von drei Künstlerinnen: Michal Rovner, Amit Berlowitz and Sigalit Landau. Ein weiterer Block widmet sich mit Arbeiten von Robert Mapplethorpe, Michael Sayles und Damien Hirst der visuellen Seite von Fetischismus. Hirsts „Unforgiving“ von 2006 – eine große Leinwand voller Harz und darin versiegelte Fliegen – rahmt den Kreislauf von Leben und Tod, Fäulnis und Zersetzung präsentiert ihn als ein schwarz schimmerndes Rechteck.

Die Arbeiten variieren in ihrer Qualität und Bedeutung, manchmal werden sie seltsam gedrängt präsentiert, etwa Robert Longos monumentale, schwarz-weiße Grafit-Zeichnungen eines Mercedes'. Hier sind die Arbeiten dazu verdammt, einen dunklen, schmalen Raum mit dem sternförmigen Objekt von Guy Zagursky aus Neon-Glas und Eisen zu teilen.

Hermann Nitschs Blut hallt durch die gesamte heterogene und übervolle Ausstellung. Es bringt tatsächlich bestimmte Identitäten, Folklore und Konventionen durcheinander, die solchen deutsch-israelischen Kunstbegegnungen häufig zu eigen sind.

Allerdings hat die Ausstellungssituation einen gleichmacherischen Effekt auf die Arbeiten. Doro Rabinas nächtlicher Schnappschuss von einem halbnackten Mann auf dem Bürgersteig, schlafend oder ohnmächtig, bedeckt mit Konfetti, Luftballons oder Kronkorken, ("Untitled", 2008), teilt sich eine Bildsprache mit Nan Goldin (hier: "Selbstporträt", 1981, und "Axel on my Bed", 1999) und unvermeidlich mit Wolfgang Tillmans (hier: "Rat Disappearing, 1998, oder "Paul, Arm Right Angle on Floor", 1998). Deformierte Frauenkörper in Wasserfarbe, gemalt von Ofri Cnaani ("Press Conference", 2006) zeigt eine deutliche Verwandtschaft mit Marlene Dumas Frauenfiguren (hier: "Fingers", 1999), und so kann man die Liste fortführen.

Es wirkt, als ob die Arbeiten hier in die Rolle gedrängt werden, Identitäten zu repräsentieren oder sogar Folklorismus zu illustrieren. Alle Künstler müssen eine mehr oder weniger leicht verständliche (und verkaufbare) Sprache sprechen. 


Private/Corporate VII, Daimler Contemporary, bis 1. April 2013