Neuer Berliner Kunstverein

Tanzen statt reden

„Es wird immer so viel geredet und diskutiert. Also dachte ich: Man müsste mal etwas anderes tun – ein körperliches Gegenstück zu all diesen Verhandlungen.“ So entstand für Ming Wong die Idee zu seinem jüngsten Film „Kontakthope“, zu sehen im Neuen Berliner Kunstverein (N.B.K.).

Der 1971 in Singapur geborene Künstler bezieht sich damit auf Pina Bauschs legendäre Choreographie „Kontakthof“ von 1978. Wong, der seit einem Stipiendium im Künstlerhaus Bethanien 2008 in Berlin lebt, bat Künstlerkollegen und Kuratoren, mit ihm Teile dieser Choreographie nachzutanzen. Man traf sich bei einem Wochenendworkshop unter Anleitung einer professionellen Tänzerin, übte zunächst einige Szenen ein und führte sie am zweiten Tag, in schöne Roben und Anzüge gekleidet, auf.

In einer Doppelprojektion im N.B.K. sind jetzt Probe und Aufführung parallel zu sehen – und man kann mehrfache Verwandlungen bestaunen: Aus verschämt grinsenden, tapsigen Typen werden Herren mit entschlossenem Blick und sicherem Schritt, aus leicht verspannten Frauen elegante Tänzerinnen. Und vor allem wird aus vielen Einzelkämpfern eine Gruppe, die das raffinierten Spiel um Nähe und Distanz, Verführung und Abstoßung, das Pina Bauch vor über 40 Jahren entwarf, souverän neu interpretiert.

„Kontakthope“ ist Teil der Serie „Gruppenbild“, bei der fünf Künstler und Künstlerinnen nacheinander den Showroom des N.B.K. bespielen – und viel in der Gruppe diskutieren. Ming Wong hat aus dem  „Denkbild“, das die Kuratorinnen Kathrin Becker und Sophie Goltz mit dieser Reihe anvisieren, nun ein Körperbild gemacht. Auch sonst fällt sein Werk, das sich größtenteils mit Filmgeschichte beschäftigt, durch seinen zupackenden, humorvollen Ansatz auf.

Wong, der zunächst klassische chinesische Kunst studierte, hat sich vor allem mit Re-Enactments berühmter Filmszenen einen Namen gemach; seine Wiederaufführungen sind gleichzeitig analytisch und ironisch. Als er nach einigen Jahren in London nach Berlin umzog,  verarbeitete er zum Beispiel seine Anpassungsleistung an die neue Heimat mit dem zauberhaften Film „Lerne Deutsch mit Petra von Kant“, wo er, sorgfältig für die Faßbinder-Rolle kostümiert, seine Aussprache trainierte.

Für den Singapur-Pavillon auf der Venedig-Biennale 2009 holte er in einer umfangreichen Recherche die verschüttete Geschichte der Filmproduktion in seinem Heimatland zu Tage und drehte Schlüsselszenen nach. Auch andere berühmte Filmszenen inszenierte er neu, immer mit sich selbst in der Hauptrolle. So ersetzte er etwa die Akteure von Wong Kar-Wais „In the Mood for Love“ – und zwar alle.

Auch in „Kontakthope“ führt Ming Wong sein Spiel mit den Identitäten und Geschlechterrollen fort – und steckt die anderen Teilnehmer mit seiner Spiellust an. Bis schließlich alle als Darsteller ihrer selbst über sich hinauswachsen.

Neuer Berliner Kunstverein, bis 5. November 2010