Kosmismus-Ausstellung in Amsterdam

Technikgläubigkeit, Religiosität und Revolution

Es ging um ein anderes, ein neues Leben: Das Stedelijk Museum Amsterdam widmet eine Ausstellung dem Kosmismus, der in der Endphase des russischen Zarenreichs virulent war

Aus dem riesigen Fundus der Sammlung Nikolai Chardschijew bestreitet das Stedelijk Museum Amsterdam seine Ausstellung zum Thema des Kosmismus. Gemeint ist jenes Gemenge aus Technikgläubigkeit, Religiosität und Revolution, das in der Endphase des russischen Zarenreichs virulent war, aber weit in die Anfangsjahre der Sowjetunion hineinreicht: Künstler, Denker und Gottsucher entwarfen in Bild und Schrift zukünftige Welten, die die schlechte Realität hinter sich ließen, zugunsten einer Zukunft, die, je phantastischer, umso erstrebenswerter erschien.

Ganz überwiegend sind es Arbeiten auf Papier, mit denen die Ausstellung bestückt ist. Bevor Chardschijew 1993 nach Amsterdam übersiedelte, konnte er einen Großteil seiner Sammlung auf verschlungenen Wegen vorausschicken. Sie ging ans Stedelijk, wo mit dem Bestand an frühsowjetischer Avantgarde, insbesondere von Werken Kasimir Malewitschs ein angemessenes Umfeld bereits vorhanden war.

Neben frühen Arbeiten von Malewitsch sind solche von Wassili Tschekrygin zu sehen. Das Selbstporträt als blasser junger Mann deutet auf den nahenden, frühen Tod des erst 25-Jährigen im Jahr 1922 hin, der sich im Gefolge mystischer Denker wie Nikolai Fjodorow Unsterblichkeit von einer Mischung aus Wissenschaft und Spiritualität erhoffte. Kaum minder utopisch sind die einige Jahre späteren Architekturentwürfe von Iwan Leonidow, die die technischen Möglichkeiten der damaligen Zeit weit übersteigen. Im aufkommenden Stalinismus wurde Leonidow denn auch als "Träumer auf Papier" geschmäht. 

Alles schien machbar

Den literarischen Teil der Ausstellung hat der Künstler Anton Vidokle beigesteuert, dessen filmische Trilogie "Unsterblichkeit für alle" 2017 im Berliner Haus der Kulturen der Welt zu sehen war. Vidokle hat eine Fülle von Schriften versammelt, die selbst einem spezialisierten Publikum kaum noch geläufig sein dürften. Zur Zeit ihrer Veröffentlichung waren manche dieser Texte ungemein populär, etwa der Roman "Roter Stern" von Alexander Bogdanow, von dem sich Generationen sowjetischer Leser auf den im Titel angedeuteten Mars entführen ließen.

Mit der Durchsetzung des bolschewistischen Parteiherrschaft verschwand der Kosmismus, der in seinen vielfältigen Verästelungen enorm einflussreich auf Kunst und Literatur der frühen Sowjetzeit gewirkt hat. An die Stelle spirituell grundierter Utopien trat mehr und mehr ein Wissenschaftsoptimismus, dem alles machbar schien. Alexander Bogdanow, der Autor des "Roten Sterns", widmete sich Experimenten mit Bluttaustausch – und starb 1928 beim Selbstversuch. 

Die enge Verbindung von Philosophie bis hin zur Theologie, von Literatur, bildender Kunst, Wissenschaft und politischem Aktivismus ist für den Kosmismus kennzeichnend. Es ging um ein anderes, ein neues Leben jenseits des real gelebten – um Utopie. Am besten auf dem Mars.