Tiere in der Kunst

Der Hund als Readymade

Die Kunst beschäftigt sich immer öfter mit dem Zusammenleben von Mensch und Tier. Lernen wir daraus Solidarität mit anderen Spezies, oder zwingen wir ihnen unsere Homo-Sapiens-Probleme auf? Eine Analyse wichtiger Werke

Man solle Tiere nicht "vermenschlichen", hieß die Losung noch vor 20, 30 Jahren oft. Damit einher ging allerdings auch eine gewisse Distanz, die man zwischen beispielsweise dem Haushund, der draußen in der Hundehütte zu schlafen hatte, oder den Nutztieren im Stall und dem eigenen Lebensbereich aufbaute.

Nachdem wichtige Tierschutzgesetze mal mehr, mal weniger konsequent das Leben von Haus- und Nutztieren zumindest auf dem Papier verbessern halfen, scheint heute eine ziemlich antrophozentrische Stufe der Tierliebe erreicht. Tiere halten als Projektionsfolie für alles Mögliche her, sind beste Freunde und emotionaler Support, manchmal sogar von Menschen, die Tierhaltung eigentlich für Teufelszeug halten.

Auch unter Künstlerinnen und Künstlern finden tierfreundliche Überlegungen wie die der US-amerikanischen Poststrukturalistin Donna Haraway gerade großen Anklang. Schließlich wird immer deutlicher, wie katastrophal die Folgen für die Artenvielfalt und Ökosysteme des Planeten sind, wenn der Mensch sich allle anderen Spezies untertan macht, ihres Lebensraumes beraubt und sie schlimmstenfalls ausrottet. Statt von Nutzung und Beherrschung ist immer öfter von Solidarität und Koexistenz die Rede. Ausstellungen wie aktuell die Gruppenschau "Cohabitation" in Berlin beschäftigen sich mit dem Mensch-Tier-Verhältnis im Bezug auf geteilte Räume und schlagen dabei ausgesprochen kritische Töne gegenüber des Status quo des Zusammenlebens an.

Sympathische Tiere bekommen alle Aufmerksamkeit

Spätrömische Dekadenz von satten Menschen oder eine Weiterentwicklung, ein Mehr an Empathie für unsere Mitwesen? Und wie sieht es mit den Insekten und den Myriaden anderer Arten aus? Naturschutzverbände beklagen immer wieder, dass sympathische Tiere bei den Menschen alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen - und so weniger Geld für mindestens ebenso wichtige, aber weniger knuddelige Projekte bleibe. Und der kenianische Ökologe Mordecai Ogada bezeichnet den Tier- und Naturschutz in Afrika gar als neue Form der Kolonisierung – weil vor Ort lebende Menschen und ihre Bedürfnisse auf Wohnraum vielen wohlmeinenden Besuchern und Volunteers herzlich egal seien.

Es ist und es bleibt offenbar kompliziert. Gerade, weil das Tier, das heißt in erster Linie das höher entwickelte, bevorzugt mit Fell versehene Tier heftige emotionale Reaktionen hervorrufen kann, ist der Umgang mit seinem Bild durchaus heikel. Im schlimmsten Falle werden komplexe Sachverhalte drastisch verkürzt. So geht die berechtigte Tierliebe, der Wunsch, auf Missstände aufmerksam zu machen, bisweilen mit einer Relativierung menschlichen Leids einher (man denke an die unsäglichen Peta-Kampagnen, in denen Massentierhaltung mal eben mit den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten gleichgesetzt wurden).

Wie steht es mit der Kunst? Kann sie unseren Blick weiten? Oder wirft sie uns nur wieder auf die eigenen Definitionsprobleme des homo sapiens zurück? Und welche Rolle lässt sie Hunden, Katzen, Büffeln und Stadttauben zukommen, die sie sich als künstlerisches Material zueigen macht? Ein Rückblick auf einige der wichtigsten Arbeiten der letzten Dekaden, in denen das Tier in Fleisch und Blut auftritt:


Joseph Beuys "I Like America and America Likes Me" (1974)

Wer: Kojote

Rolle: Performance-Partner

Was: Den amerikanischen Indigenen gilt der Kojote als heiliges, sagenumwobenes Tier. Naheliegend also, dass sich Joseph Beuys den kleinen Wildhund und seine "unsichtbaren Kräfte", wie er selbst sagte, für seine mit Naturmythen jonglierende Kunst zu Nutze machen wollte. Zur Eröffnung der Galerie René Block in New York ließ sich der Künstler am Flughafen in Filz einwickeln und per Ambulanz in einen Galerieraum transportieren, um hier die nächsten Tage mit einem Kojoten zu verbringen.

Nur Stroh, das vom Tier nicht angenommen wird, Filz und sich stapelnde Zeitungen des "Wall Street Journal" sorgen für ein Minimum an Komfort. Mal versucht Beuys, mit dem Kojoten zu spielen, mal verkleidet er sich mit Filz und Stock als Hirte. Im Laufe der Performance soll das anfangs verängstigt-aggressive Tier zunehmend zutraulicher geworden sein.


Doug Aitken "Migration" (2008)

Wer: Büffel, Biber, Uhu, Mustang, Puma, Waschbär, Uhu

Rolle: Darsteller

Was: Wären Rollenbeschreibungen im Abspann zu Doug Aitkens Film "Migration" angelegt, dann müsste hier zum Beispiel "Buffalo: as himself" stehen. Für seinen Kunstfilm ließ Aitken die Wildtiere in Hotelzimmer einziehen und letztere von diesen bisweilen nach allen Regeln der Kunst zerlegen – Kissen mussten beispielsweise Federn lassen. Oft passierte aber auch eine ganze Weile lang gar nichts oder wenig, wie das eben so ist, wenn man Tiere in ihrem natürlichen Verhalten beobachtet.

Der Biber durfte ein Bad in der Wanne nehmen, der Uhu schaute scheinbar verdutzt, als es Federn regnete. Festgehalten wurden die Protagonisten in kühl-eleganten Aufnahmen, die zusätzliche Distanz zum artifiziellen Szenario aufbauen.
 

Miru Kim "I Like Pigs and Pigs Like Me" (2011)

Wer: Hausschweine

Rolle: Performance-Partner

Was: 104 Stunden lang verbrachte die Performance-Künstlerin Miru Kim mit Hausschweinen – der Name ist dabei wohl eine augenzwinkernde Referenz an die ähnlich lautende Aktion von Joseph Beuys und seinen Kojoten. Zusammen wird gegessen, getrunken, im Stroh gewühlt. Erstaunlich menschenähnlich findet Kim die Tiere. Ihre Arbeit soll anschauliches Argument sein, den eigenen Status als Krone der Schöpfung und somit das Verhältnis zum vermeintlichen Nutztier zu überdenken.

Vielleicht, schreibt die Künstlerin in einem Gedicht zur Performance, werden wir nach besagten 104 Stunden sehen, was es heißt, ein Mensch zu sein, und was es heißt, ein Schwein zu sein. Sie schließt mit einer biblisch anklingenden Passage: "Perhaps the difference is blurred, mingling through skin on skin, in the mud where all ends and begins."


Julian Charrière und Julius von Bismarck "Some pigeons are more equal than others" (2012)

Wer: Stadttauben

Rolle: wandelnde Leinwände

Was: Es sei unverständlich, dass jemand allein zwecks Medienrummel "in den Lauf der Natur" eingreife, empörte sich die Schweizer Tierschutzorganisation Enpa. Zur 13. Architekturbiennale hatten Julian Charrière und Julius von Bismarck 2012 spezielle Kontraptionen in Venedig aufgestellt, die Stadttauben anlockten und, sobald sich ein Tier niedergelassen hatte, mit bunter Lebensmittelfarbe besprühten.

Die so individuell eingefärbten Vögel flogen anschließend als wandelnde Leinwände durch den Stadtraum, bis die offenbar ungiftige Farbe aus ihrem Gefieder gewaschen war. "Some pigeons are more equal than others" rief teils heftige Kritik hervor. Ausbeutung zu Aufmerksamkeitszwecken und zu eigenem Profit, lautete einer der Vorwürfe. Ob die Tiere konkrete Nachteile durch die Einfärbung erleiden mussten, wurde seltener besprochen. Charrière und von Bismarck wollten mit der Aktion einen ganz unmittelbaren Perspektivwechsel auf die oft als "fliegende Ratten" verunglimpften Tiere im Stadtraum erreichen.

 

Pierre Huyghe "Untilled" (2012)

Wer: Human, ein Podenco Ibicenco-Windhund

Rolle: Readymade?

Was: Unser erster und womöglich einziger veritabler Kunstwelt-Crush war schneeweiß und so spindeldürr, dass die Knochen spitz aus dem Brustkorb herausragten. Als wir das mystische Wesen mit dem neonpink bemalten Bein unverhofft im grünen Dickicht der Kasseler Karlsaue entdeckten und es sich uns sogar freundlich ein bisschen näherte, setzte sofortiger Groupie- und Paparazzo-Modus ein, ein bisschen von beidem.

Dabei war Human eigentlich bloß ein Hund (und ihr braun-weiß gefleckter Begleiter ebenfalls sehr süß, aber wie so oft deutlich weniger berühmt). Es war die Documenta 13, auf der Direktorin Carolyn Christov-Bakargiev ihr Schoßhündchen zu Ausstellungen mitbrachte und das Wahlrecht für Erdbeeren diskutierte. Und die schneeweiße Podenca, eine spanische, von Natur aus enorm dünne Hunderasse, war ihr Star.

Sie gehörte zur Installation "Untilled" von Pierre Huyghes, neben besagtem Kompagnon, einem Bienenstock und allerlei weiteren belebten und unbelebten Dingen. Für ihr tierisches Wohlergehen war, mit Ausnahme der Besuchermassen vielleicht, gesorgt. Ein Student kümmerte sich während der gesamten Documenta um die Hunde, die tagsüber frei in der Karlsaue herumspazieren konnten und abends zu Hause waren. Nichts als sich selbst sollten die Lebewesen darstellen. Ein Readymade, aber in seiner undenkbarsten Form, nämlich unstetig? Selbst die "New York Times" war traurig, die Windhündin während der Weltkunstschau nicht einmal gesehen zu haben. So animalisch wie Human hat uns jedenfalls lange keine Kunst mehr gemacht.


Krõõt Juurak und Alex Bailey "Performances for Pets", (seit 2014)

Wer: Katzen, Hunde, seltener auch Hamster und andere Haustiere

Rolle: Publikum/Zuschauer, fließender Übergang zu Performance-Partner

Was: "Diese Performances sind wirklich nur für Tiere gedacht, nicht für ihre Besitzer", erklärten mir Krõõt Juurak und Alex Bailey in einem Interview. Das Künstler-Duo macht Kunst für Haustiere. Dafür besucht es die Vierbeiner in ihrem eigenen Zuhause und improvisiert aus verschiedenen Choreografien, die im Laufe der letzten Jahre entwickelt wurden: auf dem Boden rollen, tierische Geräusche imitieren, den Oberkörper aufbäumen, an der Wand entlangschleichen. Die Reaktion der mal lässig unbeeindruckten, mal zugewandten bis aufgeregten Haustiere kann man dann allerdings in Form von Videodokumentationen auch als menschliches Publikum goutieren.

Die bestechende Logik hinter dem Performance-Konzept: Jahrhundertelang hätten Tiere dem Menschen als Entertainer gedient, nun, da sie keinen praktischen, sondern nur noch emotionalen Nutzen für jenen erfüllten, sei es an der Zeit, die Dinge umzukrempeln.

 

Ross Birrell "The Transit of Hermes (Die Durchreise des Hermes)" (2017)

Wer: Hermes, ein Arravani-Hengst

Rolle: Heilsbringer; Symbol und Darsteller in Personalunion

Was: Der Weg war bei der 100 Tage andauernden Performance ausdrücklich das Ziel. Und ihr Star auch bei der Documenta 14 wieder ein tierisches Wesen: Hermes, Repräsentant der seltenen Arravani, einer griechischen Pferderasse, die traditionell gern als Arbeitstier im Gebirge eingesetzt werden soll.

Ein Heer aus Wanderreitern und -reiterinnen absolvierte die insgesamt 3000 Kilometer von Athen nach Kassel. Wer wollte, konnte mit eigenem Pferd einen Teil des Weges mitmachen. Künstler Ross Birrell war hier vor allem Ideengeber, der den Ritt gemeinsam mit den Mitgliedern der Weltreitergilde Peter van der Gugten und David Wewetzer konzipiert hatte.

Es ging hierbei, wie man im begleitenden Text lesen konnte, um eine ganze Menge – die Überwindung von Landesgrenzen, die Gemeinschaft aus Menschen und Tieren, die Kultivierung alter Handels- und Reiserouten, die Übermittlung einer frohen Botschaft. "Ein Kurier, ein Vermittler, ein tierischer Gesandter, ein engelsgleicher Bote" sei Hermes, so Birrell. Als der in natura erstaunlich kleine Pferdehengst, selbst nicht unterm Sattel, sondern nur als Begleiter, mit seiner Wanderreittruppe aus Mensch und Tier nach einer Durchquerung von halb Europa auf dem Platz vor dem Kasseler Fridericianum in einem kurz anrührenden Moment einlief, da schienen er und seine Artgenossen ob der Zuschauermenge vor allem erst einmal ein bisschen nervös.