Museum für Moderne Kunst

Tornados in Frankfurt

Mit der gerade eröffneten Jack-Goldstein-Retrospektive ist dem Museum für Moderne Kunst in Frankfurt eine kleine Sensation geglückt: Hier mischen die nahezu unbekannten 16mm-Filme (1971-1983), mehrere Schallplattenarbeiten (1976-1984), Acrylbilder (1980-1990) und eine Textarbeit (1990) sehr wohltuend die permanente Sammlung auf. Verteilt sind die einzelnen Werkgruppen auf sämtliche Etagen des Kunstmuseums und reihen sich so neben die Blue-Chips der MMK-Sammlung ein: Jack Goldstein neben Andy Warhol, neben Roy Lichtenstein und Bruce Nauman.
 
Späte Ehren für einen Künstler, der in den 80er-Jahren als ein herausragender Vertreter der „Pictures“-Generation galt, der sich jedoch bereits in den 90er-Jahren enttäuscht vom Ausstellungsbetrieb zurückzog und so durch das Raster der jüngeren Kunstgeschichte fiel. 2003 nahm sich Goldstein 58-jährig das Leben – gerade als Galerien und Kunsthäuser sich zu begeistern anfingen für sein Produktionskonzept, das auf den Umgang mit unterschiedlichen Bild- und Tonträgern basiert.
 
Eine Schallplattenedition aus dem Jahr 1976 dürfte zum Comeback wesentlich beigetragen haben: die Soundarbeit „A Suite of Nine 7-Inch Records“. Nach Goldstein sollte das „Publikum die Schallplatten benutzen und sie auflegen“. Im MMK werden die Besucher nicht mit einbezogen, denn produziert wurde die Edition nur in einer geringen Stückzahl. Seit 2002 besitzt das Museum eine dieser Raritäten. Eine Plexiglasplatte hängt schützend vor den neun Vinylscheiben, kurze Klangeinspielungen ertönen aus einem Lautsprecher. Die dokumentarische Präsentation unterläuft zwar Goldsteins Intention, dem Publikum zunächst ein Textbild anzubieten, das sich durch das anschließende Abspielen der Platte auf dem Recorder verdichten sollte. So ist es in Frankfurt gut möglich, dass man gerade den Hüllentitel „A German Shepherd“ liest und dazu das Geräusch einer anderen Platte hört - „The Tornado“ oder „The Dying Wind“ etwa.
 
Durch die Reihung der farbig gestalteten Vinylscheiben an einer Wand rückt dafür etwas sehr Entscheidendes ins Blickfeld: Goldstein wird hier als ein akribischer Konzeptkünstler rezipierbar, der von der Covergestaltung über die Farbgebung der Platten bis zum Sound jedes Element präzise aufeinander abstimmte. Man könnte den Künstler als einen visionären Soundbastler bezeichnen, der aus den Klang- und Bildarchiven des Hollywood-Kinos schöpfte. Die bis heute gängigen Spezialeffekte aus Spielfilmen übersteigerte Goldstein, indem er unheimliche Aufnahmen – etwa von einem bellenden Schäferhund oder vom Geschrei einer Menschenmasse – auf der Platte „The Quivering Earth“ als isoliertes Ereignis erlebbar macht. Angeeignet hatte Goldstein sich diese Technik in der „Post-Studio-Art“-Klasse von John Baldessari am CalArt Institute in Los Angeles. Mit der Weiterverarbeitung eines bereits produzierten Materials hat Goldstein sein Publikum faszinieren und es zugleich auf Distanz halten wollen.
 
Beides gelingt ihm. Denn insbesondere von den 21 im MMK gezeigten Acrylbildern der 80er-Jahre geht eine düstere Stimmung aus. Schwarz nimmt als Hintergrundfarbe den größten Raum auf den Leinwänden ein. Es sind erneut unheimliche Szenarien, die Goldstein auf den Bildern festhält, diesmal die geisterhafte Darstellung eines Blitzschlages, der auf eine nächtliche Stadt niedergeht oder das weißliche Licht eines in der fernen Nacht brennenden Ortes.
 
Man kann sich unschwer vorstellen, dass jene mit Airbrush auf die Leinwand gesprühten Motive, die meist von Assistenten ausgeführt wurden und bewusst auf jeden Malduktus verzichten, für den Geschmack vieler Sammler allzu trashig die Kulissen der Kinos oder die Zeitschriftenästhetik widerspiegelten. Rückblickend betrachtet gelang Goldstein ein erschreckend authentischer Abdruck einer zunehmend über Bilder wahrgenommenen Welt. Aufnahmen von der Mondlandung, Tier- und Unterwasserbilder, Fotos von Kriegsschiffen hatte er 1977 an seine Ateliertür in L.A. gepinnt. Was Film- und Fotokameras an Bildmaterial aus den entfernten Winkeln der Erde lieferten, übertrug er zunächst auf Celluloid und ab den 80er-Jahren auf die Leinwand.
 
Womöglich bedurfte es erst des Erfolges der nächsten Kunstgeneration – man denke etwa an David Altmejds die Minimal-Art attackierenden Skulpturen – damit auch die Plastikästhetik, die insbesondere den Bildern Goldsteins anhaftet, ihr kritisches Potenzial enthüllen konnte.
 
Bis 10. Januar 2010