Ist Jonathan Meese reif für Bayreuth?

Totalstfestspiele

Wer „Parsifal“ auf die Bühne bringt, muss sich einer antisemitisch geprägten Ideologie stellen. Ist der Mythenzersetzer Jonathan Meese der Richtige für den Job?

„Immer wenn ich Wagner höre, möchte ich in Polen einmarschieren“, sagte Woody Allen. Von Wagner hat er das nicht. Der Komponist konnte schließlich nicht ahnen, zu was für Taten sich Hitler durch sein Schaffen animiert fühlen würde.

Die Nationalsozialisten waren brutal und radikal – aber nicht radikal genug, meint der Künstler Jonathan Meese, der kürzlich einen Strafbefehl für das Zeigen des Hitlergrußes erhalten hat. Hätte sich Adolf Hitler rechtzeitig auf seine künstlerischen Anfänge besonnen, hätte sich der Diktator also „totalst“ von der Kunst okkupieren lassen, wäre der Menschheit Furchtbares erspart geblieben. Totalkunst statt Krieg: Wir wissen, dass es anders kam.

Meese hat eine entwaffnende Art, mit totalitärem Gedankengut umzugehen. Unser Mann fürs Grobe nutzt die Sprache der Demagogen in seinen Installationen oder Performances, reichert diese Sprache mit Wortneuschöpfungen an und entsorgt sie auf diese Weise. Meeses „Diktatur der Kunst“ ist ein Utopia, in dem uns Faschismus und Stalinismus nicht mehr gefährlich werden können.

„Die Erzwinkel der Erde und alle Gebiete des Lebens und des Lebendigsten werden der Herrschaft der Kunst Spielraum sein“ – mit solchen Sätzen verharmlost Meese weder Hitler noch dessen Sprache. Es ist, als ob er den „Führer“ gekidnappt und ihm seine, Meeses Worte aufgezwungen hätte.

Einen militanten Tonfall findet man auch bei Wagner. Aber weder die Schlachtrufe der Walküren noch der Hurrapatriotismus im „Lohengrin“ sind heute noch echte Aufreger. Wirklich erschreckend sind Wagners antisemitische Äußerungen oder seine Hetzschrift „Das Judentum in der Musik“, gerade dann, wenn man sie für Deutungsversuche des „Parsifal“ heranzieht, mit dem sich der greise Wagner verabschiedete. „Meine letzte Karte“ nannte der Meister sein „Bühnenweihfestspiel“, in dem sich alles um den Heiligen Gral dreht.

Darin finden sich verstörende Textpassagen. Im Finale steigen die Chorstimmen in ätherische Höhen, wobei sie die Formel „Erlösung dem Erlöser“ herunterbeten. Kann das reines Wortgeklingel sein? Wovon soll der Erlöser – gemeint ist Jesus – erlöst werden? Vom Judentum, behaupten die Anti-Wagnerianer. Blödsinn, sagen die Wagnerianer. Sie sind davon überzeugt, dass der „Parsifal“ unbefleckt von Wagners judenfeindlichen Ansichten sei.

„Es ist viel Hitler in Wagner“, hat schon Thomas Mann bemerkt. Jonathan Meese, der den „Parsifal“ 2016 in Bayreuth inszenieren soll, kann das eigentlich nur recht sein. Wenn er seinem bisherigen Verfahren treu bleiben will, horcht er die Oper auf präfaschistische Untertöne ab und arbeitet diese schmerzhaft heraus. Das hat Stefan Herheim, dessen „Parsifal“-Deutung in der Bayreuther Spielzeit 2012 letztmalig aufgeführt wurde, übrigens auch getan – mit phänomenalem Erfolg und vielen Spitzen gegen die Verharmloser. Vor einem Villa-Wahnfried-Bühnenbild flatterten bei ihm Hakenkreuzflaggen. Nach drei „Parsifal“-freien Jahren (ein Novum in der Festspielgeschichte und vielleicht Anzeichen eines neuen Unbehagens am Stück) soll Meese die Deutungsschraube dann offenbar noch fester anziehen. Wagner exorzieren? Und dann?

In kleinstmöglichen Schritten denken, scheint die Devise der Intendantinnen Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner zu sein. Man hat ja genug Probleme am Hals: die schweren Wagner-Partien besetzen, Bühnenbildner und Regisseure rekrutieren – und mitunter echte Coups landen wie bei den Opernspezialisten Herheim und Hans Neuenfels (Stichwort: Ratten-„Lohengrin“). Die Halbschwestern stehen unter Druck, was die Aufarbeitung ihrer Familiengeschichte angeht, und sie mussten sich 2012 fragen lassen, was ein Sänger, der mal ein Hakenkreuz-Tattoo auf der Brust trug, auf der Bayreuther Probebühne zu suchen hatte.

Kaum war der russische Bassbariton abgereist, zog Katharina Wagner schon den Meese-Trumpf aus dem Ärmel. Merkwürdiger Zufall. Auf derselben Pressekonferenz zitierte Katharina Wagner einen seltsamen Satz. Er stammt von Meese, der ausrichten ließ, „wahnsinnig präzise Richard Wagner sachlichst dienen“ zu wollen. Dienen? Ach so, in Bayreuth ist die Diktatur der Kunst längst installiert! Wofür wird Meese dann so dringend gebraucht?

Und, mal ganz praktisch gefragt, wie will er das schaffen? Räume gestalten kann er, aber Sängerdarsteller führen? „Ich verstehe die Musik nicht!“ stöhnte Meese vor acht Jahren. „Ich bin völlig hilflos! Ich verstehe auch nichts von der Bühne!“ Da erinnert er selbst an Parsifal, den „reinen Toren“, der mit Naivität und Mitleidsfähigkeit die Gralsritterschaft aus dem Verderben reißt. Das allerdings erst im letzten, verzweifelten Moment. Wie verzweifelt sind die Wagner-Schwestern?

Dieser Kommentar erschien in einer leicht anderen Fassung in Monopol 9/2012