Christoph Schlingensief in den Kunst-Werken Berlin

Unbeirrbar auf allen Kanälen

Das „Ausländer raus“-Schild auf dem Container an der Auguststaße war nach der ersten Woche noch unbeschädigt. Vielleicht wissen die Berliner, die sonst schnell mit dem Farbbeutel zur Hand sind, Bescheid: Der Slogan gehört zur Christoph-Schlingensief-Ausstellung ein paar Schritte weiter, in den Kunst-Werken. Und vielleicht wissen sie es sogar noch von ihm.

„Bitte liebt Österreich“, Schlingensiefs „Big Brother“-Container mit Asylbewerbern als Insassen, war 2000 sein Beitrag zu den Wiener Festwochen, als gerade die rechtspopulistische FPÖ Teil der Regierung geworden war. Jetzt ist er die erste Station der großen Schau, die Susanne Pfeffer schon Anfang 2010 mit Schlingensief geplant hatte. Die Idee war damals kühn, denn als unkonventioneller Filmemacher, Theaterregisseur, TV-Moderator war er zwar etabliert. Aber die Berührungspunkte mit der zeitgenössischen Kunst schienen eher Begleiterscheinungen seines Tausendsassatums zu sein. Als Schlingensief dann den deutschen Pavillon in Venedig 2011 bespielen sollte, wurde der Termin in Berlin verschoben. Ein knappes Jahr vor der Biennale starb er, der Pavillon bekam den Goldenen Löwen. Nur ein paar Maler nörgelten noch.

Schlingensief war an den Streit um Zugehörigkeit gewöhnt. Er wechselte die Gattung, wenn er neue Möglichkeiten darin vermutete, und dann sprengte er sie. Wahrscheinlich glaubte er sogar aufrichtiger an die Kraft der Hochkultur als mancher Kritiker, der ihn als selbstbezogenen Provokateur abtat – weil er als Regisseur zu wenig Personenregie bot, als TV-Persönlichkeit zu unberechenbar war und für einen Schriftsteller zu wenig von einem Literaten hatte. Dass er so wurde, lag auch daran, dass bei ihm vieles nicht klappte, sagt Aino Laberenz. Seine engste Vertraute, Ehefrau, Nachlassverwalterin war – neben den Kuratoren Pfeffer, Klaus Biesenbach und Anna-Catharina Gebbers – wesentlich am Zustandekommen der Ausstellung beteiligt. Sie klappt gut.

In der großen Halle im Erdgeschoss sieht es eindeutig nach Kunst aus. Es ist dunkel, nur sieben Pfahlsitzer, erstmals auf der Venedig-Biennale 2003 zusammen mit der „Church of Fear“ zu sehen, sind angestrahlt. Im hinteren Teil dreht sich eine große Bühne: Schlingensiefs „Animatograph“, ein begehbares, düster bestücktes Environment. Monitore zeigen Filme, man fährt vorbei an Kultgegenständen und Bildern von Affen, die Hitler-Porträts untersuchen. Ein atmosphärischer Einstieg.

Ein Großteil der restlichen Schau, die nicht den Anspruch erhebt, eine Retrospektive zu sein, besteht aus Filmmaterial. Ein Kino im Seitenflügel zeigt alle Spielfilme, etwa die „Deutschland Trilogie“. Auf Bildschirmen am Boden laufen Schlingensiefs kurze Beiträge für das WDR-Magazin „ZAK“. Die Sendungen zünden immer noch, nicht nur, weil sich erstaunlich wenig geändert hat. Er spürte sofort genau, was politisch und medial geschah. Die „Freakstars 3000“ von 2002 sind vielleicht erst jetzt, viele Castingshows später, richtig zu verstehen. Es ist der Höhepunkt einer langjährigen Kooperation mit Bewohnern eines Heims, eine Persiflage auf die Superstarformate. Wegen der Behinderung der Schauspieler wurde sie damals als derbe, politisch unkorrekte Provokation angesehen. Der Film lohnt sich unbedingt. Mit welcher Präzision, Souveränität und gesunder Aggression die allgemeine Vergleichs- und Belohnungslogik ausgehebelt wird, ist glänzendes Entertainment.

Vieles stieß Schlingensief an, die Medienrealität erledigte den Rest. Etwa wenn sich Jürgen Möllemann gegenüber der Presse beschwerte, er sei „mit totem Fisch, Chemikalien, einem Klavier“ bedroht worden – Schlingensief hatte als Erwiderung auf antisemitische Äußerungen des FDP-Politikers eine Aktion vor dessen Firmensitz abgehalten, um die „Beschmutzung“ rückgängig zu machen. Schlingensief führte vor, dass man nicht nur auf Pathos mit Witz antworten muss, sondern manchmal auf Witz mit Pathos. Als in seiner ersten Produktion für die Berliner Volksbühne, „Kunst und Gemüse, A. Hipler“, die Zuschauer zu begeistert kicherten, griff er wütend in die Vorstellung ein. Dann war Ruhe. Und zugleich ein neues Theaterformat gefunden.

Wie Spiel und Ernst so perfekt in der Schwebe zu halten sind, dass niemand mehr weiß, welche Meinung die richtige ist, wird in seinen Talk-Formaten oder bei der TV-Debatte mit österreichischen Politikern sichtbar, die im Container vor den Kunst-Werken auf einem Monitor zu verfolgen ist. Er drehte, wenn sich alle einig zu werden drohten, alles um, war der Eindeutigkeit immer einen Schritt voraus. Mancher ist vielleicht versucht, die Objekte, die er hinterlässt, unter den üblichen Museumsexponaten einzureihen, Installation mit Kram und Film. Doch es war weniger die Form als die unbestechliche Haltung, die aus Schlingensief einen politischen Künstler werden ließ, vergleichbar mit Hans Haacke oder Santiago Sierra. Mit dem nötigen zeitlichen Abstand gibt diese Ausstellung nun den Blick auf ein Gesamtkunstwerk frei.

„Christoph Schlingensief“, KW Institute for Contemporary Art, Berlin, bis 19. Januar