Und immer lauert ein Albtraum

Mit einer Weltraumoper fängt es an. Der Künstler fliegt von einer Leiter, seine Espressokanne zum Mond. Sterne krabbeln über den Himmel wie Ameisen. Mit seiner Videoinstallation „7 Fragments for Georges Méliès“ (2003) huldigt William Kentridge einem Pionier des Filmtricks, dem er einiges verdankt. Kentridge wiederum hat den Animationsfilm, dieses zwischen niedlich und neurotisch schwankende Medium, zur Kunst erhoben.

Die Retrospektive „Fünf Themen“ des Südafrikaners, dessen Zeichnungen und Filme immer wieder im Albtraum der Apartheid (und anderen modernen Katastrophen) münden, wurde bereits im New Yorker Museum of Modern Art gezeigt. Nun machen Kent­ridges Phantasmagorien halt in der Wiener Albertina.

Die berühmten „9 Drawings for Projection“ bilden den Abschluss. Zwischen 1989 und 2003 schickte Kentridge seine Protagonisten, den Kapitalisten Eckstein und den Poeten Teitlebaum, durch ein Labyrinth aus Erinnerung und Schuld. Zur Metapher verglühender Bilder und kurzlebiger Gedanken wird das Animationsverfahren selbst: Kentridge wischt das alte Bild halb weg und zeichnet das neue darüber. Wie bei Méliès und seiner statischen Kamera spielt sich die Bewegung vorwiegend im starren Rahmen ab. Kentridge kommt vom Theater. Auch die Opernprojekte der vergangenen Jahre haben Spuren hinterlassen. Diesen März feierte die Inszenierung von Dmitri Schostakowitschs „Die Nase“ Premiere an der New Yorker Metropolitan Opera. Eine Videoinstallation basiert ebenfalls auf Nikolai Gogols Geschichte von einer Nase, die sich von ihrem Träger emanzipiert und Moskau unsicher macht. Zugleich erzählt Kentridge von der Revolution, die ihre Künstler frisst – ob sie nun Schostakowitsch oder Kasimir Malewitsch heißen.

Mit Argwohn betrachtet der Künstler auch die Lichtgestalt aus Mozarts „Zauberflöte“, die er 2005 in Brüssel inszenierte. Die Figur des aufgeklärten Herrschers Sarastro konfrontiert er mit verstörenden Filmbildern deutscher Kolonialherrschaft im heutigen Namibia und dem Massaker an den Hereros. „Black Box/Chambre Noire“ (2005) heißt das computerprogrammierte Miniaturtheater, das Puppenspiel mit Rückprojektionen und mozartsche Arienfetzen mit Rhythmen des afrikanischen Hirtenvolks kombiniert.

„What Will Come (Has Already Come)“ (2007) lautet der Titel einer weiteren suggestiven Arbeit. Darin schildert Kentridge die Besetzung Abessiniens (Äthiopiens) durch Mussolini 1935 in einem Bilderreigen, der es mit Hieronymus Bosch aufnehmen kann. Zu Klängen des Marschlieds „Faccetta Nera“ (schwarzes Gesichtchen) rotiert ein kreisrundes Filmbild um einen zylindrischen Stahlspiegel. Erst in dieser Büchse der Pandora entzerren sich die Bilder von Landnahme und Feuerqualm: eine Welt der Vernichtung, aus der es kein Entrinnen gibt. 

Albertina, Wien, bis 30. Januar