Und unterm Stahlhelm nichts als Leere: Das bekennerische Genie Markus Lüpertz in Bonn

„Die Künstler haben Gott geholfen, die Welt zu erschaffen“, hat Markus Lüpertz gesagt. Kunst ist immer auch ein anderes Wort gewesen für das Übermaß, die Hypertrophie, für großes Schauspiel im Luftraum über dem verzagten Leben. Kein anderer erfüllte die Erwartungen an die Ausnahmedimension dieser Rolle so perfekt wie der Maler und Bildhauer mit dem pelzverbrämten Staubmantel. XXL, alles. Der Mann, der Anspruch, das Werk, die Ausstellung. Ein angemessenerer Ort als die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland lässt sich für die monumentale Retrospektive gar nicht vorstellen.

Man wandert durch die Hallen und Kabinette, gemessenen Schritts, weicht scheu dem bronzenen „Standbein – Spielbein“ aus, zu dem der Blick hinauf nur bis zum Hosenbund reicht. Manch saurierähnliche Art ist hier zu bestaunen. Und wenn man vor dem „hl. Franziskus“ steht und Augenzeuge wird, wie er die „Vernichtung der Ratten“ verhindert, dann denkt man: Der Vorhang wird nicht mehr fallen. Lasst uns nicht von Rundgang sprechen, sondern von Zeitreise in eine Epoche der Künste, die so unwahrscheinlich geworden ist wie die Fauna und Flora im Jurassic Park.

Als Lüpertz Anfang der 60er-Jahre zum ersten Mal die Bühne betrat, tat er es gleich in besetzerischer Pose. Und nie ließ er einen Zweifel daran, dass sich in ihm Ende und Anfang allen Kunstmachens erfüllen würden. Das hat ihm nicht viele Freunde eingetragen und schon gar kein Publikum. Kaum eine Lüpertz-Ausstellung, die in den Feuilletons nicht weidlich zerzaust worden wäre. Und über den kleinen Kreis seiner Gläubigen hinaus sind keinerlei Konvertiten wie bei Wahlvater Beuys beobachtet worden, daran wird auch der feierliche Rückblick nichts ändern. Und zur Kunstreligion hat selbst der „hl. Franziskus“ nicht mehr das Zeug. Obschon es ja, wie Lüpertz einmal verriet, keine andere Möglichkeit gebe, „das Ewige zu erfassen als über die Gaben der Künstler“.

Man muss das nicht mögen, das bekennerische Genie, den Dandy, seine altdeutsche Maskulinität, den Silberknauf am Gehstock, diese herrische Großmeistertravestie. Aber man sollte darüber nicht blind werden für den eigentlichen Stoff des Epos Lüpertz. Gerade aus dem Abstand – und das ist Erkenntnisgewinn und Verdienst dieser Schau – erweist sich der Bombast von Schöpfer und Schöpfung als Kostümierung einer für die Kultur- und mehr noch Gesellschaftsgeschichte dieses Landes zentralen Idee. Dieses Werk ist von Anfang an auf hochmütige Opposition gegen das kritische Paradigma gerichtet gewesen, wie es die 60er- und 70er-Jahre bestimmt hat. Darin liegt seine wahre Bedeutung.

Lüpertz war, mehr noch als Baselitz, der Anti-68er, der mitten im minimalistischen Mainstream, als sich die Kunst in Gestalt andrescher Stahlplatten auf den Boden zurückzog, mit donnernder Stimme ausrief: Erhebt euch und seid wieder wer! Und der tatsächliche Tabubruch liegt nicht in der penetranten Vorführung von Motiven wie Soldatenrock und Stahlhelm, die zumindest damals verlässlich das Reiz-Reaktion-Schema bedient haben. Provokant war vielmehr, wie der Maler das finstere Inventar aus seiner bloß kritisch geduldeten Überlebensform befreit, gleichsam die Büchse der Pandora geöffnet und ihren Inhalt an die für nichts und niemanden verantwortliche Kunst übergeben hat.

 

„Dithyrambisch“ sagt der gebildete Künstler zur Bestückung seiner Bildaltäre. Bei Nietzsche noch ein Lehnwort für das Lustrisiko, das mit bacchantischer Gewalt einhergeht. Bei Markus Lüpertz eine Formel für die Heroisierung des Banalen. An den Wänden, auf den Böden, überall herrscht die Dithyrambe, die leere, allemal verfügbare Form. Auch der Stahlhelm soll nichts anderes sein. Liegt leer da, mitten auf der Wiese, versperrt die Sicht auf eine hübsch gemalte Landschaft nach spät­impressionistischer Vorlage. Dass er in solcher Umgebung zeichenlos geworden sei, ist kühne Behauptung. Wohl mag ihm der Sinn abhandengekommen sein, zum abstrakten Ungegenstand ist er darüber keinesfalls mutiert.

Auch die Figuren, die dieses Werk bevölkern: wie Hülsen, versteinerte Hohlkörper, die als Skulpturenschatten in die Bildräume fallen. Die Kerne sind längst ausgeschmolzen. Das ist die Tragik der antimodernistischen Allüre. Das „mykenische Lächeln“, das die gleichnamige Gemäldeserie irgendwo in der Frühantike wiederaufzufinden verspricht, wird eben keines mehr, es bleibt beim Grinsen, erstarrt in der grotesken Anspielung. Und wenn der Maler tatsächlich einmal seine Betroffenheit bekennt wie beim Balkankrieg, dann kann das brennende Dubrov­nik in der Logik des Werks auch nichts anderes sein als ein Theaterprospekt.
So gesehen ist spannend in diesem buchstäblich kolossalen Œuvre weniger die Selbstermächtigung zum künstlerischen Übermenschen als vielmehr die Leere, die mit der emphatischen Aufladung des Malens und Modellierens zusammenfällt. Eine Leere, die zum Lehrstück taugt. Was groß war, wird vielleicht doch nicht größer, wenn man seine Größe beschwört.

Wer ihm mit solchen Einwänden käme, den würde Lüpertz klein heißen und den pelzverbrämten Staubmantel unter den Arm klemmen und sich abwenden. Wie es überhaupt viele Rückenfiguren gibt im malerischen Stellungsspiel. Erst in dieser Ausstellung fällt das auf. Und auch, dass die kleinen Bilder die eindrücklichsten sind. Im vergangenen Jahr hat Markus Lüpertz einmal „Eva“ und einmal „Adam“ gemalt. Paradiesisch nackt. „Abkehr I“ und „Abkehr II“. Rückenakte. Laufen an einem Birkenstamm vorbei nach hinten wie aus dem Bild. Als nähmen sie Abschied von einer Welt, die nicht zu Nutz und Frommen von Gott und den Künstlern zusammen erschaffen sein kann.

Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, bis 17. Januar 2010. Zur Ausstellung ist ein Katalog im Snoeck Verlag erschienen: 376 Seiten, 68 Euro (Museumsausgabe 34,90 Euro)