Virtual-Reality-Ausstellung

"Es ist okay, geflasht zu sein"

In virtuellen Welten herumzulaufen fühlt sich noch ein wenig an wie ein Computerspieleabend früher. Aber die Virtual-Reality-Ausstellung "Unreal" im NRW-Forum Düsseldorf lässt erahnen, wie anders die Kunstwelt für kommende Generationen aussehen wird

Eigentlich schaue ich mir Ausstellungen nur einmal an. Eine Ausnahme war vor einigen Jahren die Ausstellung von Gerhard Richter im Centre Pompidou. Damals lebte ich in Paris und es war schön, abends mit der Rolltreppe außen am Gebäude entlang ganz nach oben durch die Dunkelheit zu fahren, um dann fast ganz allein mit den Bildern von Richter im Museum zu sein. 

Gerade habe ich wieder mehrmals eine Ausstellung besucht, genau drei Mal. Nicht weil es einfach zu schön war, sondern weil ich mir nicht sicher war, wie "Unreal", eine Virtual Reality-Ausstellung, so der Untertitel, im NRW-Forum Düsseldorf überhaupt ist.

Bisher habe ich immer einen großen Bogen um Virtual Reality – außer in Textform – gemacht, weil mir schon Computerspiele nie besonders gut bekommen sind. Wenn die coolen Jungs Autorennen gespielt haben, saß ich daneben, leidend, weil mir ziemlich übel von den Bewegungen auf dem Bildschirm wurde. Im NRW-Forum wollte ich mich also auch ganz smooth darum drücken und mir von Freunden erzählen lassen, wie es denn so ist und gar nicht erst darüber schreiben. Nur irgendwie hatte ich plötzlich solch eine Brille in der Hand und dann auch schon vor den Augen und die Stimme des künstlerischen Leiters Alain Bieber in den Ohren, der mir erklärte, welche Knöpfe ich wann zu drücken habe. Die Knöpfe wollten nicht funktionieren, Bieber wollte mir nicht glauben, dass ich die richtigen Knöpfe drücke, bis der Technikzuständige sagte, dass da gerade tatsächlich etwas nicht funktioniert. Erleichterung bei mir, die Kunstkritikerin war doch nicht zu doof. Brille wieder runter, warten. Derweil schaute ich mich ein wenig im Raum um. Jede Wand hat eine andere Farbe, rot, grün, gelb, blau, von der Decke hängen Kabel, es gibt vier Stationen im Raum. Eine Freundin von mir und ihre erwachsene Tochter hingen über die Brille an den Kabeln und da lief sie, die erwachsene Tochter, auch schon selbstbewusst mit dem Kopf vor die Wand. Es knallte ein wenig, zum Glück musste sie selbst lachen. Und weil sie nicht wusste, ob und wer überhaupt etwas mitbekommen hat, machte sie einfach weiter.

Manuel Roßner, Netzkünstler, Programmierer und Gründer der virtuellen Galerie Float, der als Co-Kurator von "Unreal" außerdem die Architektur des virtuellen Raumes entworfen hat, erzählt mir ein paar Tage später über Skype, dass er sich in der Vorbereitungsphase Gedanken darüber gemacht habe: "Vier Leute an vier Stationen, kann man das machen? Oder exponiert man sie damit zu sehr?" Auf der Website des NRW-Forum soll man vorab einen Termin buchen, da es eben nur diese vier Stationen gibt, eine fünfte steht Spontanbesuchern zur Verfügung. Wenn es dann etwas voller wird oder zwei Leute, die sich kennen, parallel durch die Ausstellung laufen, ist es ein wenig wie bei einem Computerspieleabend. "Geh doch mal da und da lang, wenn Du in dieser Welt bist!" – "Wo bist Du gerade?" – "Oh, krass?!" – "Was – was ist los?" Einer hüpft durch den Raum, geht in Deckung, als würden ihn gerade Aliens angreifen. Ein anderer geht in die Knie, um etwas zu streicheln und kichert dabei leise vor sich hin.

 

Läuft man selbst durch die Welten beispielsweise des Japaners Akihiko Taniguchi und der Düsseldorfer Künstler Giulia Bowinkel und Friedemann Banz, fühlt man sich plötzlich wie ein sehr hilfloser Super Mario, der vom Weg abgekommen ist und nicht weiß, was verdammt nochmal seine Aufgabe in dieser virtuellen Welt ist. Also schaut man sich um, bewegt sich viel viel langsamer voran als Super Mario. Mal fallen einem so etwas wie Zahnpastakartons auf den Kopf, ohne das weiter etwas passiert, mal rennen einen schwarze Gestalten um – das denkt man zumindest, aber es passiert ja einfach nichts weiter – die permanent vor einer Mauer auf- und abrennen, in der Ferne fällt eine Skulptur in sich zusammen, nur um im nächsten Moment wieder ganz zu sein. Oder man steht plötzlich auf einem hohen Berg und weiß nicht so recht, wie man dorthin gekommen ist. Schnell weg da, schon fallen einem wieder Zahnpastakartons auf den Kopf. Nicht wirklich. Glaubt man aber. Nimmt man die Brille ab, hat man schwitzige Hände, auch wenn man sonst nie schwitzige Hände hat.

Was der Unterschied zu Games ist, will ich von Manuel Roßner wissen. Diese Welten seien experimenteller als in Computerspielen, in der Kunstwelt könne man in Zusammenhang mit VR konzeptionell mehr machen. Gamer wiederum kommentieren, das alles würde etwas Old School aussehen und geben Tipps für – aus ihrer Perspektive – geilere Welten. Attraktiv sei es, viele Effekte zu nutzen, sagt Roßner, das versuche er aber zu vermeiden. Und erzählt, wie schnell etwas falsch programmiert und ihm dann selbst sehr übel sei. Den Fahrstuhl im virtuellen Anbau des NRW-Forums hatte er zuerst falsch programmiert, statt nach oben zu fahren, sauste das Ding schräg nach unten in den Boden. Das Programmieren hat er sich selbst während seines Studiums an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach beigebracht, seine virtuelle Float Gallery betreibt er seit 2010, "um kulturelle und ästhetische Betätigung im virtuellen Raum zu fördern", wie auf der Website nachzulesen ist.

Wenn man Roßner eine Frage stellt, zum Programmieren, zur Zukunft von VR, zur Zukunft von Museen, zur Verkäuflichkeit von VR-Werken, antwortet er mit einer Gegenfrage: "Was meinst denn Du?" Er ist neugierig, weiß selbst nicht, wie es mit VR weitergehen könnte, spekuliert, sagt, dass es gerade eben so ein "Übergangsding" sei, bis vielleicht bald, irgendwann, jeder so eine Brille zu Hause hat und sich eine VR-Ausstellung einfach runterladen kann. Aufgabe der Museen sei die Kontextualisierung und Konservierung.

Ob die Kunst in "Unreal" gut oder schlecht ist, welche Kriterien man bei der Bewertung anlegen sollte, frage ich ihn. Roßner denkt eine Weile nach: "Die Brille ist recht neu auf dem Markt", sagt er, "das ist das erste Mal überhaupt, dass man solch eine Ausstellung machen kann." Da sei man eher überwältigt und total geflasht. Das stimmt natürlich. Man ist viel zu sehr damit beschäftigt, sich darauf zu konzentrieren, wo man hinläuft und was dort passiert und man ist fasziniert von den technischen Möglichkeiten. "Wie gehen wir mit diesem Medium um? Wie gehen wir mit Komplexität um?", das interessiert Roßner, "wie gehen Künstler mit einer Welt um, die sie komplett selbst bestimmen können?" Ein bisschen sei das wie Malerei, nur mit dynamischen Systemen, die viel von unserer Realität simulieren könnten.

Wo man auch hinschaut, geht es aktuell um Virtual Reality. Im Schirn Mag wurden gerade die wichtigsten VR-Kunstwerke gelistet, Ben Vickers, Kurator für Digitales an der Serpentine Gallery, hat für Spike (Sommer 2017) ein ausführliches Porträt über Virtual Reality unter dem Titel "Wach träumen am Ende der Zeit" geschrieben, und Mark Zuckerberg ist sowieso total aus dem Häuschen. Vickers glaubt: "Obwohl wir wahrscheinlich keine neuen Utopien erschaffen können oder alte obsolet werden, wird die störende Kraft der VR mit Sicherheit zu neuen Möglichkeiten führen." Anfang des Jahres hat Timo Feldhaus in Monopol (1/2017) über den Boom einer Technik geschrieben, die unser Leben und die Kunst verändert. "Die schwarze Brille eignet sich fast perfekt für eine Welt, in der die Menschen sich in ihre eigenen Wirklichkeiten zurückziehen. Während der große politische Zusammenhang immer komplexer zu werden scheint, sorgen die Algorithmen von Facebook dafür, dass auf unseren Bildschirmen nur das erscheint, was uns sowieso gefällt. Es dringen nur noch die Meinungen zu uns durch, die uns bestätigen", schreibt Feldhaus. Und dann steht man in einer Kunsteinrichtung wie dem NRW-Forum und kommt plötzlich mit Menschen über eine Ausstellung ins Gespräch, die sich sonst vielleicht vor einem Gemälde darüber ärgern, dass man ihnen die Sicht versperrt. Jetzt fragt man sich gegenseitig, wie es war und was man gesehen hat und fühlt sich ein bisschen aufgekratzt, wie nach einem Computerspielabend. Für die kommenden Generationen wird alles anders, sie werden den Unterschied zwischen virtuell und real vielleicht nicht mehr ausmachen können, wie der kanadische Künstler Jon Rafman im Gespräch mit Feldhaus resümiert. Jetzt steckt die VR in den Anfängen. Es ist okay, geflasht zu sein.

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