Verschroben: Das Centre Pompidou in Metz züchtet zur Eröffnung Zweifelshefe

„Warum ausgerechnet in Metz? Warum nicht in … Paris?“ fragte eine Journalistin tatsächlich bei der Eröffnung. Das Centre Pompidou gibt es nun auch als Dependance in der lothringischen Provinz, und das will einigen wie eh und je zentralistisch orientierten Franzosen nicht einleuchten. An Konventionen rüttelt, so scheint es, auch die Premierenschau in dem von Shigeru Ban und Jean de Gastines mit kalkulierter Verwegenheit entworfenen Bau: „Chefs-d’oeuvre?“ – „Meisterwerke?“ – lautet der Titel. Doch diese Frage erweist sich schnell als Koketterie, denn die meisten der 800 Exponate stammen von durchgesetzten Künstlern; die Metzer Außenstation hat Zugriff auf die Pariser Sammlung, eine der größten Europas.
Trotzdem trifft die Ausstellung einen wunden Punkt der Kunstgeschichtsschreibung: Das Meisterwerk hat spätestens seit den Avantgarden einen schlechten Leumund, wohingegen die Filmoder Literaturkritik weiterhin bedenkenlos dieses Prädikat verleiht. Wie es dazu kommen konnte, erfährt der Besucher im Parterre, das eine Begriffshistorie versucht. Sie beginnt im Mittelalter, mit Leihgaben aus Metzer Einrichtungen: Als Meisterwerk (so weit ist die Welt noch in Ordnung) erweist sich beispielsweise eine gelungene Komposition oder die Beherrschung von Material und Thema.
Aber schon im nächsten Kabinett steht der Gast vor dem Gemälde „Tod des Marat“ von Jérôme-Martin Langlois – das er von Jacques-Louis David kopierte. Und damit beginnen die Probleme. Was folgt, ist die genüssliche Zerlegung der Idee des Meisterwerks, indem ihr etwa das Prinzip der Serie, des Readymades oder institutionskritische Arbeiten entgegengehalten werden. Zudem machen Skizzen, Entwürfe, Modelle und „Making-of“-Dokumentationen sichtbar, unter welchen Bedingungen Kunst entsteht. Gleich nach Langlois begegnet das Publikum einer Zeichnung von Eugène Delacroix. Noch ein Geniestreich im Prozess: die barbusige Verkörperung der Liberté aus „Die Freiheit führt das Volk“ von 1830.
Die verschachtelte Architektur im Erdgeschoss soll Wege und Irrwege symbolisieren. Schaut man an die hohe Decke, blickt man in einen gigantischen Spiegel und sieht sich selbst in einem Labyrinth. Kurator Laurent Le Bon besitzt einen etwas verschrobenen Humor, das bewies er auch schon 2006 im Berliner Martin- Gropius-Bau, wo er die Bilder einer Ausstellung einfach nach den Künstlernamen aufhängte, von A bis Z und fertig. In den vier Galerien im Metzer Museum wird das Augenzwinkern Methode, etwa wenn eine bulimische Alberto-Giacometti-Figur neben einem fettleibigen Torso von Hans Arp steht.
Auch an diesen beiden Künstlern ließe sich indes gut zeigen, was die Schau überraschenderweise ausblendet: dass sich der Begriff Meisterwerk auflöst, weil statt des einzelnen Objekts das Gesamtwerk in den Fokus rückt. "Chefs-d'oeuvre?" erzählt Anekdoten. Wer Antworten sucht, ist hier fehl am Platz.

Centre Pompidou, Metz, bis 25. Oktober