Videokünstlerin Eija-Liisa Ahtila im Interview

Die Welt neu sehen

Foto: Nick Ash, courtesy Salon Dahlmann
Foto: Nick Ash, courtesy Salon Dahlmann

Eija-Liisa Ahtilas "Horizontal" im Salon Dahlmann

In Eija-Liisa Ahtilas Videoarbeiten geht es geht um das Medium Film und eine posthumanistische Sicht auf die Welt. Wir haben die finnische Videokünstlerin zum Interview getroffen

Es ist Montagmittag. Im Berliner Salon Dahlmann nahe dem Kurfürstendamm eröffnet am Abend die Ausstellung "Ecologies of Drama" von Eija-Liisa Ahtila. Techniker, Servicekräfte und Mitarbeiter des Salons eilen umher. Die sonst lichtdurchfluteten Räume sind abgedunkelt. Die Videoinstallation "Horizontal", die eine hochgewachsene Fichte in der, man ahnt es, Horizontale zeigt, erstreckt sich über zwei Räume. Nebenan läuft "Studies of the Ecology of Drama", ein pädagogisch anmutender Film, der neue Blickwinkel und Sichtweisen auf Natur und Tiere zu ergründen versucht. Im kleinsten Raum des Salons zeigt Ahtila eine Arbeit von 1993 auf drei Röhrenfernsehern. 

Diese Arbeit ist offenbar die älteste der Ausstellung.
Sie ist tatsächlich eine der ältesten Arbeiten von mir überhaupt und die erste dieser Art. Mit "Me/We, Okay, Gray" begann eine neue Schaffensphase für mich.

Die Videos erinnern in ihrer Ästhetik und der Art, Geschichten zu erzählen, stark an Fernsehformate. Ist das gewollt?
Ja. Ich wollte damals unbedingt etwas für das Fernsehen machen. Die Arbeit sollte nicht nur in einem Museum installiert werden, sondern parallel dazu auch zu Hause vor dem Fernseher zu sehen sein. Und so wurden die Videos, während sie im Kiasma in Helsinki gezeigt wurden, auch im Schweizer Fernsehen und auf Arte ausgestrahlt. Mittlerweile ist die Arbeit sehr alt. Aber sie hat sich gut gehalten, ich wollte sie hier auf jeden Fall zeigen.

Sie werfen mit der Arbeit Fragen nach der Identität der Menschen auf. Was definiert heute unsere Identität?
Die Installation thematisiert Familie, sexuelle Beziehungen und Nationalität und die damit verbundenen Grenzen. Ob diese drei Dinge unsere Identität ausmachen, weiß ich nicht. Aber ich hielt sie damals für gute Beispiele für Felder, die für die Frage nach der Identität eines Menschen eine Rolle spielen.

Eija-Liisa Ahtila "Me/We, Okay, Gray" im Salon Dahlmann


Nebenan ist eine gigantische Fichte auf sechs Screens zu sehen, sie wiegt im Wind leicht hin und her. Die Installation ist riesig, und man hat fast das Gefühl, durch den Baum zu laufen, wenn man sich im Raum bewegt. Wie ist die Arbeit entstanden?
Schon lange hatte ich versucht, große Bäume zu filmen. Mir wurde schnell klar, wie schwierig es ist, den Baum so zu zeigen, wie er ist. Das Problem: Wenn man sich einem Baum nähert, kann man nur noch Ausschnitte von ihm filmen. Wenn man weiter zurückgeht, filmt man nicht mehr der Baum, sondern die Landschaft. Arbeitet man mit Weitwinkelobjektiven, wird das Bild verzerrt. Es ist eigentlich nicht möglich, den Baum so zu zeigen, wie er ist. Für "Horizontal" habe ich die Fichte von einer Hebebühne aus auf sechs verschiedenen Höhen gefilmt. Dann habe ich alles um 90 Grad gedreht, um die Installation in Museen und Galerien zeigen zu können. Die Arbeit dreht sich um die Frage, wer ein Protagonist sein kann in unseren Geschichten: ausschließlich Menschen, oder auch Bäume?

Sie versuchen also, die Sehgewohnheiten der Menschen aufzubrechen?
Ja. Die dritte Arbeit, "Studies of the Ecology of Drama", setzt sich genau damit auseinander. Es geht darum, wie der Mensch Tiere sieht, wie er seine Umwelt wahrnimmt und sie letztlich präsentiert. Realität und Medien scheinen sich mehr und mehr gegenseitig zu formen, und deshalb ist meine wichtigste Aufgabe, zu hinterfragen, wie wir die Welt und unseren Planeten repräsentieren. In meinen Arbeiten suche ich nach Wegen und Möglichkeiten, die üblichen Muster zu durchbrechen und damit auch die Sehgewohnheiten des Menschen zu verändern.

Momentan wird viel darüber diskutiert, ob 360-Grad-Videos ein Mittel sein können, Gewohnheiten zu verändern.  
Genau das interessiert mich. Eine Installation von mir war mal angeordnet wie ein Raum: Vier Leinwände, zwischen denen man sich bewegen konnte. Die Besucher haben selbst entschieden, wo sie stehen und auf welche Leinwand sie schauen. Das ist hochgradig spannend.

Eija-Liisa Ahtilas "Studies of the Ecology of Drama" im Salon Dahlmann