Virgil Abloh remixt Braun

Die Verchromung des Dieter Rams

Designer Virgil Abloh hat im Auftrag der Firma Braun die berühmte Wandanlage von Dieter Rams verchromen lassen. Das Ergebnis polarisiert. Ikonenschändung oder hintersinnige Hommage?

Wie kann man nur ein Objekt, das für Einfachheit steht, in ein chromblitzendes Pop-Monster verwandeln? Das mögen sich manche gefragt haben, als der britische Künstler Clive Barker seine Skulptur "Van Gogh's Chair" (1966) erstmals ausstellte.

Viele Reaktionen auf Virgil Ablohs Neu-Interpretation der Braun-Wandanlage von 1965, auf Instagram und anderswo, zielen gerade in eine ähnliche Richtung: "Wie könnt ihr diesen Design-Dieb das Erbe von Dieter Rams zerstören lassen?" Der Kölner Design-Wissenschaftler und Autor René Spitz schrieb Abloh gleich einen langen Kommentar unter dessen Posting der Anlage. Ein Auszug daraus: "Das hat nichts zu tun mit einer menschlichen Haltung moderner Gestaltung, mit dem Ziel, das Leben möglichst vieler Menschen zu verbessern. Was ich sehe ist Eye-Catching für den Moment." Doch bekommt der 40-jährige Amerikaner und studierte Architekt, der für dieses Projekt mit dem Braun-Team in Kronberg kooperierte, auch viel überschwängliche Resonanz auf seinen "Three Percent Design Approach" (Zitat Abloh).

Auf bitte was? Genau: Der Gründer des Labels Off-White belässt es oft dabei, nur wenig an einem existierenden Entwurf zu ändern – um ihn gerade dadurch ganz zu seinem eigenen zu machen. In Vorträgen und Interviews bezieht sich Abloh ziemlich lässig auf Marcel Duchamp und dessen Ready-Made-Konzept.

In einem von Braun produzierten Werbefilm legt er noch ein paar Referenzen drauf, erwähnt zum Beispiel die verchromten Stützen im Barcelona-Pavillon von Mies van der Rohe und schlendert philosophierend durch das angemietete Farnsworth House – dies ebenfalls ein Van-der-Rohe-Bau, der hier allerdings präsentiert wird, als sei er Ablohs Wohnstudio. Darin finden sich dann, wie beiläufig hingestellt, Braun-Geräte aus den 1960er-Jahren: ein Toaster und ein Wasserkocher, beide von Reinhold Weiss entworfen, beide verchromt. Dann stehen da noch eine silberne Trompete und eine in der Wintersonne glänzende Autofelge im Raum – die Entscheidung, die historische Hifi-Anlage zu verchromen, scheint plötzlich zwingend, ja unausweichlich.


Braun feiert mit dem "Functional Art" genannten, unverkäuflichen Einzelstück das 100-jährige Jubiläum der Marke, die heute zum US-Unternehmen Procter & Gamble gehört. Dass Ablohs Re-Design vor allem die Funktion hat, Aufmerksamkeit zu generieren, dürfte wohl außer Frage stehen. Es glänzt und glitzert im nebligen Zwischenreich von Kunst, Design und Marketing, zwischen historischen Bezügen und zeitgenössischer Hipness.

Damit ist es erstmal schwer zu fassen und macht sich ziemlich unangreifbar. Völlig sinnlos, sich hier zu echauffieren. Wer zum Beispiel grundsätzlich gegen Chrom wettert, wie das einige Kritiker des Entwurfs auf Instagram tun, übersieht, wie sehr der silberne Schimmer zur Moderne und Postmoderne gehört. Man stelle sich nur mal viele Bauhaus-Entwürfe ohne Chrom-Elemente vor (Paul Klee nannte Walter Gropius den "Silberprinz"). Und auch die Designer etwa der Anglepoise-Leuchte oder des Jaguar E-Type wussten den Glanz der Dinge so einzusetzen, dass viele ihm bis heute erliegen.

Das Kunstwerk blickt zurück

Die Selbstbespiegelung arbeitet schließlich narzisstischen Tendenzen zu, und irgendwie wird ein spiegelndes Objekt immer auch zum Screen, der gar nicht anders kann, als den Gegenwartsraum wiederzugeben: manchmal gewölbt und verzerrt wie der "Rabbit" von Jeff Koons oder das "Cloud Gate" von Anish Kapoor, manchmal eben glatt und plan wie die Bedienoberfläche der Braun-Anlage von Abloh. "Denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht", heißt es schon in Rilkes "Archaïscher Torso Apollos" – das Kunstwerk blickt uns an, blickt zurück.

Fast vergessen ist heute, dass auch das erste iPhone eine verchromte Rückwand hatte, die auf der Vorderseite zum spiegelnden Rahmen wurde. Öffnete man die Calculator-App, glaubte man fast, den Braun-Taschenrechner ET88 vor sich zu haben. Eine Hommage, die den Ruhm des Kronberger Unternehmens um ein Vielfaches multiplizieren sollte. Übrigens zitierte bereits der britische Pop-Art-Künstler Richard Hamilton ab 1965 in zahlreichen Arbeiten das Design von Braun-Toastern, elektrischen Zahnbürsten und Grillgeräten, entwarf seinen Namen in Braun-typischen Lettern und ließ sogar einen ironisch überzeichneten Werbeclip im Stil des Unternehmens für eines seiner Multiples drehen. Wer mag, kann ihn sich auf YouTube ansehen, sein Titel: "The critic laughs".

Richard Hamilton, "The critic laughs", 1971
Foto: Plakatsammlung G.Terstiege

Richard Hamilton, "The critic laughs", 1971


In einem Interview, das ich mit Hamilton 2003 anlässlich seiner Ausstellung im Museum Ludwig führte, fragte ich ihn, ob er sich mit diesen Arbeiten über das kantige, deutsche Design lustig machen wollte. Seine Antwort: "Nein, überhaupt nicht, meine Küche ist voll mit den klassischen Braun-Küchengeräten. Die Objekte der amerikanischen Pop Art fand ich dagegen ziemlich vulgär – die Hamburger, Hot Dogs und Cola-Flaschen. Ich dachte, ein gut gestaltetes Konsumprodukt kann doch genauso ein pop icon sein wie ein Hamburger." An anderer Stelle erklärte er, dass die von Rams entworfenen Dinge für ihn als Künstler vergleichbar wichtig wären wie der Berg Sainte-Victoire für Cézanne. Was für ein wunderbarer Witz.

Der Künstler Johannes Wohnseifer wiederum brachte 1997 eine Schallplatte namens "Braunmusic" heraus, für die die typischen Weckertöne gesamplet wurden. In einer anderen Arbeit, "Braun Sugar", verwendete er die Wortmarke originalgetreu und schlug gleichzeitig die Brücke zum Stones-Song. Und einen veritablen Rennfahrerhelm ließ er verchromen, mit Farbflächen lackieren und mit Logos bekleben – unter anderem mit dem von Braun: "Das war eine Art Retrospektive", kommentierte Wohnseifer die Arbeit kürzlich auf meine Nachfrage am Telefon. Die Markenzeichen stehen hier für Unternehmen, mit denen er sich künstlerisch über Jahre auseinandergesetzt hat.

Johannes Wohnseifer, "Braun Sugar", 2016
Foto: Courtesy der Künstler und König Galerie

Johannes Wohnseifer, "Braun Sugar", 2016

 

Johannes Wohnseifer, "Braun Sugar", 2021
Foto: Courtesy der Künstler und König Galerie

Johannes Wohnseifer, "Braun Sugar", 2021,  


Was die Grafiken, Bilder und Multiples von Hamilton und Wohnseifer von der Chrom-Wandanlage Ablohs unterscheidet: Sie wurden eben nicht im Auftrag des Unternehmens erstellt, sind komplexer, eigenwilliger, lustiger und uneindeutiger als die Referenz-Maschine des Amerikaners. Das sind schon fundamentale Unterschiede.

Und was ist eigentlich mit Dieter Rams? Sein Name fällt in den Lobliedern, die Abloh im Farnsworth House anstimmt, nicht ein einziges Mal. So als hätte die Marke Braun diese Wandanlage hervorgebracht. Sicher ist: Bei Rams wäre ein derart großflächiger Einsatz von Chrom undenkbar gewesen, erst recht im Audio-Segment. Und Design als Kunst zu verkaufen – nichts läge ihm ferner. Allein schon der Name der letzten Hifi-Anlage, die Braun produzierte, passte Rams nicht. Sie hieß "atelier".