Wolfgang-Hahn-Preis für Fischli/Weiss

Vom Glück gefunden

Seit gut 20 Jahren arbeiten Peter Fischli und David Weiss an ihrer ganz eigenen Vermessung der Welt. Ihr Buch "Findet mich das Glück?" hat Hunderttausende beglückt. In Köln erhalten sie heute für ihr Lebenswerk den Wolfgang-Hahn-Preis.

 

„Gibt es heute einen ähnlich großen Irrtum wie die Vorstellung der Welt als Platte?“ – „War ich noch nie ganz wach?“ – „Ist meine Dummheit ein warmer Mantel?“ – „Was denkt mein Hund?“ – „Gibt es die Welt auch ohne mich?“ Als das Duo Fischli/Weiss 2003 auf der Venedig-Biennale seine Installation „Kleine Fragen, große Fragen“ präsentierte, war die Kunstszene verzaubert. Und das dazugehörige schwarze Bändchen „Findet mich das Glück?“ wurde zum meistverkauften Künstlerbuch überhaupt.


Heute scheint die Welt keine Frage mehr bereitzuhalten, die Fischli/Weiss nicht schon gestellt hätten, auch die besten Scherze haben sie schon gemacht, von der frühen „Wurstserie“ bis zur kleinen, ungebrannten Tonskulptur von „Herr und Frau Einstein kurz nach der Zeugung ihres genialen Sohns Albert“. Und wann immer irgendwo ein Autoreifen rollt und ein Brett zum Kippen bringt, das wiederum Benzin vergießt, das eine Kerze zum Brennen bringt und alles auf diese Art weiterläuft, müssen wir an die beiden Schweizer denken, die in den 80er-Jahren nicht weniger als zwei Jahre lang an der Kettenreaktion für ihren Film „Der Lauf der Dinge“ gearbeitet haben. Dabei trumpft das Werk niemals auf, der Witz ist leise, der Slapstick fest im Alltag verwurzelt.

 

Kaum Lärm um nichts
Um sich als Künstler machen Peter Fischli (geboren 1952) und David Weiss (Jahrgang 1946) genauso wenig Lärm wie ihre Arbeiten um ihren Kunststatus. Sie wollen sich nicht in den Vordergrund drängen – ein Treffen auf einen Kaffee in ihrer Heimatstadt Zürich ist das Maximum, keine wörtlichen Zitate, bitte, hieß es vorher. Sympathisch ruhig treten die beiden auf. Es geht schließlich um ihr Werk, das unauffällig so auffällig gut funktioniert.


Dafür erhalten Peter Fischli und David Weiss zum Auftakt der Art Cologne die Wolfgang-Hahn-Auszeichnung. Der großzügige Ankaufspreis wird von der Gesellschaft für Moderne Kunst am Museum Ludwig verliehen – an Künstler, die wichtig für die Sammlung sind, aber noch nicht entsprechend in ihr vertreten. Direktor Kaspar König hat sich drei Werkgruppen ausgesucht: die Soundinstallation „Radio“ (1993/2010), fünf Fotografien aus der Serie „Airports“ (1988–2008) und das Skulpturenensemble „4 Frauen“ (1988/89).

 
Ein einfaches Radio spielt eine Stunde Sendezeit als Loop ab: „Radio“ gehört zu jenen Fischli/Weiss-Arbeiten, die die Wirklichkeit so perfekt imitieren, dass sie nicht immer auf den ersten Blick beziehungsweise beim ersten Hinhören als Kunstwerke wahrgenommen werden. Bei der ersten Präsentation 1993 in einem Pariser Hotelzimmer verließen einige Gäste nach der Zeitansage in der Aufnahme hastig die Ausstellung, weil sie sich verspätet wähnten. Ähnlich dezent eine der Installationen vom vergangenen Jahr, „Rundum die Berge“ in einer Alpen-Club-Hütte hoch über dem Engadin: Eine Bücherauswahl stand dort so selbstverständlich im Regal, dass der Verdacht aufkam, diese Kunst möchte gar keine sein.

 

Beiläufig, nicht banal
Treffender als „banal“ wäre wohl „unspezifisch“ oder „beiläufig“, Begriffe, die auch die Künstler im Gespräch oft verwenden. So selbstverständlich die Werke wirken, diese Beiläufigkeit stellt sich nicht von allein ein. Die beiden haben eine genaue Vorstellung davon, wie unspezifisch etwas sein muss und was dieses Unspezifische ausmacht. Viele Arbeiten von Fischli/Weiss sind wie feine Fußnoten zur Realität, und sie passen sich ihrer Umgebung sorgfältig an. Im „Raum unter der Treppe“ im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt, in dieser unaufgeräumten Abstellkammer voller Polyurethanobjekte, finden sich daher auch einheimische Produkte wie König-Farben und Ritter-Schokolade. Damit die feine Irritation ebenso in Köln funktioniert, suchen Fischli/Weiss im Moment auf deutschen Sendern nach einer aktuellen Tonspur für „Radio“.


1987 haben sie angefangen, sich auf Gärten, Agglomerationen und Flughäfen zu fokussieren, um sie dann auf Dia zu bannen. „Airports“ zählt wie „Sichtbare Welt“ zu den fotografischen Weltensammlungen und -erkundungen. Der Blick aus Transithallen, Shuttlebussen, Flugzeugfenstern oder von Panoramaterrassen ist unspektakulär. Die Motive muten so vertraut an wie die Art und Weise des Fotografierens. Als ob ein Tourist aus purer Langeweile beim Umsteigen oder vor dem Start in die Ferien geknipst hätte. „Airports“ zeigt, wie vorgeprägt Bilder von Orten, Situationen und vor allem vom Reisen sind – und dass auch die Sicht des Amateurs Schönheit erzeugen kann.


Flughäfen und Flugzeuge mit ihren Starbucks- und Body-Shop-Filialen sind stets dieselben, aber doch irgendwie verschieden, also spezifisch und unspezifisch zugleich, so wie vielleicht die Alpenhüttenbibliothek wirklich und unwirklich war. Im Gegensatz zu den meisten anderen fotografischen Kollektionen von Fischli/Weiss wächst „Airports“ ständig. Die Flughäfen interessieren die beiden Künstler weiterhin, selbst wenn das Sehnsuchtsmoment mit den Jahren und den vielen Reisen kleiner geworden ist. Im Signet jeder Fluggesellschaft vermische sich Nation, Marke und Heraldik – wenn Fischli und Weiss angeregt davon erzählen, scheint ihre jungenhafte Faszination für Technik und Maschinen durch, ohne die ja auch die legendäre, bis ins Feinste ausgetüftelte Abfolge im „Lauf der Dinge“ nie hätte entstehen können.

 

Hauptmotiv: Nebenschauplätze
Fast so wichtig wie das Hauptmotiv sind ihnen bei den „Airports“-Aufnahmen Wetter, Jahres- und Tageszeit, die Stimmung, das Licht und die Farben, die sich daraus entwickeln. Eben erst haben die beiden ihren Flughafenfundus neu gesichtet und 100 Bilder ausgesucht, was wohl in eine Publikation münden wird. Mehr möchten sie über zukünftige Projekte noch nicht verraten.


Sieht man die Skulpturengruppe der „4 Frauen“ zusammen mit den Flughafenfotografien, denkt man schnell an Stewardessen. Auch dies eine bekannte Szenerie: In ihren Uniformen stöckeln sie geradlinig und lächelnd Richtung Ausgang, während man an den Kontrollen Schlange steht. Mit ihren Mappen und Taschen repräsentieren die „4 Frauen“ aber besonders eine freundliche, unpersönliche, künstliche Dienstleistungswelt.


Flughäfen und Autos sind verknüpft mit der Gegenwart, symbolisieren den Wunsch nach Mobilität und Unabhängigkeit und verweisen dabei auf die Merkwürdigkeit dieser Hoffnung. Die „4 Frauen“ stehen ebenfalls in dieser Reihe. Nicht nur die Uniformen, auch ihre Gesichter wirken stereotyp, entindividualisiert, so wie die Autos detailfrei erscheinen.


Gewöhnlich zu sein ist bei Fischli/Weiss gleichzeitig ein bisschen lächerlich und vollkommen in Ordnung – eine erleichternde Erfahrung. Frei und befreiend ähnlich dem Lachen in einer peinlichen Situation, nimmt ihr reiner Blick keine Rücksicht auf Hierarchien. Das Skurrile tritt neben das Schöne, und hinter dem vertrauten Alltag öffnet sich Tür nach Tür in die Untiefen des Normalen. „Soll ich die Welt mit Nichtbeachtung strafen?“ fragen Peter Fischli und David Weiss in „Findet mich das Glück?“. Ihre Antwort lautet immer noch klar: „Nein.“

 

Die Verleihung des Wolfgang-Hahn-Preises findet am heutigen Montag statt.

Mehr Informationen zu allen Preisträgern unter http://www.gmk-koeln.de/hahn-preis-koeln/index.php