Möbeldesigner Rolf Sachs im Interview

Von Autobahn bis Filz

Herr Sachs, Sie begrüßen den Besucher am Beginn Ihrer Kölner Ausstellung mit Bio-Tonnen, die deutsche Untugenden wie „Intoleranz“ oder „Spießigkeit“ entsorgen. Eine Art Exorzismus des alten Deutschlands?
Nein, überhaupt nicht. Die Deutschen sind die umweltbewussteste Nation von allen. Diese Installation greift diese Eigenschaft auf, allerdings habe ich die Tonnen augenzwinkernd mit negativen Konnotationen tituliert.

Sie leben und arbeiten seit 20 Jahren in London. Ist die Ausstellung „typisch deutsch?“ Ausdruck von so etwas wie Heimweh?                      
Es ist ein Thema, das mich beschäftigt und das in der Luft liegt. Ich komme aus einer deutschen Familie, habe aber nie lange hier gelebt. Trotzdem bin ich stolz, Deutscher zu sein. Ich möchte meine Wurzeln nicht vergessen.

Was ist an dem Thema deutsches Wesen in der Umbruch-Epoche der Globalisierung so reizvoll?               
Deutschland hatte durch die zwei Weltkriege verständlicherweise einen schlechten Ruf. Die Geschichte lag wie eine dunkle Wolke über dem Land. Es geriet in Vergessenheit, was Deutschland in den vorigen Jahrhunderten in den Natur-, wie auch Geisteswissenschaften geleistet hat. Ein Katalysator, diese Ausstellung zu schaffen, war sicherlich auch das Erscheinen des kulturhistorischen Buches von Peter Watson, „Der deutsche Genius. Eine Geistes- und Kulturgeschichte von Bach bis Benedikt XVI“. Deutschland hat eine spezielle Stellung in der EU, die wirtschaftliche Vormachtstellung wird sogar stärker. Auch in den Künsten hatte Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine besondere fruchtbare Zeit. Dadurch verändert sich die Außenwahrnehmung gerade stark zum Besseren.

Aber lösen sich Kategorien wie „deutsch“ in Zeiten, in denen die Bevölkerungszahl nur dank der Einwanderung wächst, die Fußballnationalmannschaft bunt gemischt ist und die Wirtschaft nach Arbeitskräften aus dem Ausland verlangt, nicht auf?    
Sie relativieren sich zwar, verschwinden aber nicht. Wir reisen viel und integrieren das Neue. Den Facharbeiter, den die Amerikaner und Engländer nicht haben, werden wir trotzdem behalten. Ich komme aus einer Unternehmerfamilie, wir hatten schon in den 60er-Jahren hervorragende türkische Arbeitsnehmer. Verändert hat das an der deutschen Mentalität nicht viel.

Die Schwermut ist in Ihrer Schau eine goldene Kugel, die es sich auf einem Berg aus Filz-Quadraten bequem gemacht hat. Was haben Sie sich dabei gedacht?          
Das sind intuitive Stücke. Ich liebe Filz, es hat für mich eine unglaubliche Seele. Ein Material, das nicht konstruiert ist. Stets assoziiert mit Beuys, aber auch Robert Morris und viele andere Kreativen haben sich mit diesem sinnlichen Material befasst. Die Kugel ist eigentlich aus Messing. Es ist eines meiner Lieblingsstücke. Ein weiterer Favorit ist für mich „Der unendliche Geist“. Eine „unendliche“ chronologische Büchersäule inspiriert von Brancusis „The Endless Column“, welche symbolisiert, was geschaffen wurde und die Zukunft andeutet.

Ein imposanter Wissensturm, der auch etwas vom deutschen Größenwahn hat. Sie zitieren mit Heidegger die deutsche Tiefsinnigkeit, die german angst kommt vor und der Autobahnkult. Wo bleibt die neue Genussfreude?
Der Maßkrug oder die Geselligkeit stehen etwa für Genussfreude, gibt es auch eine neue?

Vom entspannten Berliner Bionade-Biedermeier fehlt jede Spur ...                                      

Das stimmt. Das wäre durchaus ein Thema gewesen, oder auch die Minimalbewegung. Nur haben sich diese Phänomene des heutigen offenen Deutschlands noch nicht im kulturellen Gedächtnis zum Klischee festgesetzt. Ordnung und Fleiß dagegen, das hört man im In- und Ausland immer noch als erstes.

Rolf Sachs “typisch deutsch? Eine Auseinandersetzung mit Eigenschaften und Klischees“, Museum für Angewandte Kunst Köln (MAKK) Köln, bis 21. April