Alec Soth: Somewhere to Disappear

Von der Möglichkeit "Nein" zu sagen

Als Kind hat Alec Soth oft alleine gespielt, mit imaginären Freunden: „Früher konnte ich mir diese eigene, kreative Welt schaffen. Es war, als hätte ich in meinem Kopf gelebt“, sagt Soth nachdenklich und wirkt fast ein bisschen verärgert darüber, dass er diese Gabe über die Jahre verloren zu haben scheint. Dabei ist er Künstler, Fotograf, um genauer zu sein, und es scheint erstaunlich, dass sich jemand mit so einem Beruf so einfallslos fühlen kann.

Heute ist Soth auf der Suche nach Leuten, die noch immer in ihrer eigenen Welt leben. Für seine Fotoserie „Broken Manual“ reiste der Amerikaner vom Sommer 2008 bis Frühling 2009 durch die USA, um Menschen zu fotografieren, die ein Leben fern der Zivilisation führen; in Hütten und Steinhöhlen, Trailern und Hausbooten. Neben Soths Fotografien ist dabei auch der Film „Somewhere to Disappear“ entstanden, der nun in Berlin gezeigt wird. Die Filmemacher Laure Flammarion und Arnaud Uyttenhove begleiteten den Fotografen 30.000 Kilometer auf der Suche nach Aussteigern und ihren Verstecken.

Dabei trifft Soth auf Eremiten und Mönche, Überlebenskünstler und Flüchtlinge. Die Gründe für ihren Rückzug sind verschieden. Manche sind wütend auf die Gesellschaft, manche haben Angst vor ihr. Was Soth an ihnen fasziniert, ist ihr Sinn für Fantasie. Zurückgezogen in Höhlen und Bretterbuden zu leben, bezeichnet der Künstler als “kreativen Akt”.

In „Somewhere to Disappear“ redet Soth oft davon, selbst in einer Höhle leben zu wollen, davon, etwas zu bauen, was er wirklich will, etwas, wovon er träumt und wo er träumen kann. „Der Wunsch, sich seine eigene Welt zu schaffen, geht wohl auf Huckleberry Finn zurück“, vermutet der Künstler aus Minneapolis. „Ich weiß auch, dass das alles nur Fantasien sind, aber ich möchte mit diesen Träumen spielen können.“ Und so arbeitet er mit dem Traum des Aussteiger-Daseins, den die Leute vor seiner Kamera zu leben vermögen. Er selbst bleibt Voyeur, aber so ist das nun einmal bei Fotografen.

Was Alec Soth fotografiert, wühlt ihn auf. Mit einer Großformatkamera, unter dem silbernen Überwurf seines Einstelltuches, fängt er Begegnungen und Schicksale von Leuten ein, deren Lebensweise und -geschichte nicht mehr viel mit der Verwirklichung eines Traums zu tun haben. Da gibt es vereinsamte Nazis und Leute, die weder an politische Systeme noch an die Demokratie ihres Landes glauben, Männer, die nach der Zuwendung und Aufmerksamkeit dursten, die sie nie erfahren haben, und Familien, deren soziale Fähigkeiten durch ein Leben in Isolation so stark beeinträchtigt ist, dass Alec Soth die Begegnung mit der eines „verängstigten Kaninchens“ gleichsetzt.

Und dann gibt es da noch Figuren wie Clyde Garth Bowles, ein Mann mittleren Alters, der sich ein idyllisches Zuhause in Mitten der kalifornischen Wüste geschaffen hat, wo er sich liebevoll um Pferde, Vögel und andere Tiere kümmert . Dessen spirituelle Lebensweise und Persönlichkeit bewegt Soth zutiefst. In solchen Momenten stößt der Künstler dann an seine Grenzen: „Das war zu viel, ich konnte das nicht so schnell verarbeiten. Ich musste die Erfahrung, ihn zu treffen, erst einmal sacken lassen und dann überlegen, wie ich fotografisch damit umgehe.“

„Broken Manual“, Loock Galerie, Berlin, bis 23. Juli. Der Film „Somewhere to Disappear” wird anlässlich der Ausstellungseröffnung am 10. Juni um 17.30 Uhr im Berliner Kino Arsenal gezeigt. Im Verlag Hatje Cantz ist kürzlich eine Monografie erschienen