Haus Konstruktiv

Von wegen Samba: Brasilianischer Konstruktivismus in Zürich

Eine direkte Linie, schnurgrade wie auf einem Bild geometrischer Abstraktion, verbindet die Schweizer Kunstgeschichte mit Brasiliens Concretismo und Neo-Concretismo. Max Bill, der Zürcher Konkrete, reiste Anfang der 50er-Jahre mehrmals nach Lateinamerika, hielt Vorträge und stellte in São Paulo aus. Außenstehenden erschien die interkontinentale Verwandschaft fast gespenstisch: Was hatten wohl Schweizer und brasilianische Konkrete gemeinsam, fragte etwa der französische Künstler François Morellet. Und gab sich selbst die Antwort: Ihnen waren weitgehend die Erfahrungen von neuen, technologisierten Kriegen erspart geblieben, deshalb hatten sie sich ihren Fortschrittsglauben bewahrt.
 
Das Zürcher Museum Haus Konstruktiv, das im vergangenen Jahr schon die brasilianische Bill-Ausstellung von 1951 in seinen Räumen neu aufbaute, präsentiert mit „Dimensionen konstruktivistischer Kunst in Brasilien“ zurzeit einen Überblick über die Anfänge und Highlights dieser Bewegung. Die Schau dokumentiert auch den Optimismus und diese unbedingte Progressivität jener Zeit. In den 50er-Jahre erlebte Brasilien einen Modernisierungsschub auf allen Ebenen: Lúcio Costa und Oscar Niemeyer bauten als Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins die Hauptstadt Brasília, Bossa Nova wühlte mit Dissonanzen die Musik auf, das Cinema Novo das Kino, und die Künstler in São Paulo und Rio de Janeiro malten in geometrischer Abstraktion, als wollten sie das Klischee vom wilden, impulsiven Lateinamerika ein für alle Mal unter Quadrate und rechten Winkeln begraben.
 
Die ausgestellten Arbeiten stammen aus der Sammlung Adolpho Leirner, von der in Europa bislang nur einzelne Werke zu sehen waren. Vor drei Jahren hat der Brasilianer einen Großteil seiner Kunst an das Museum of Fine Arts, Houston, verkauft, das für die Dokumentation und Pflege der Sammlung die besten Bedingungen vorweisen konnten.

Es mag für den Besucher im Haus Konstruktiv ein wenig schwierig sein, zwischen den verschiedenen Bewegungen genaue Trennlinien zu ziehen. Was genau unterscheidet Concretistas und Neo-Concretistas, wenn beide Avantgarden sich doch auf den gleichen Gewährsmann, auf Max Bill, bezogen, und wenn einzelne Künstler sogar mal hier, mal dort eingeordnet sind. Im dritten Stock des Museums stehen die Werke der verschiedenen Fraktionen ziemlich gedrängt beieinander, und in der historischen Perspektive lassen sich die Gründe für die Grabenkämpfe zwischen der Grupo Ruptura, der Grupo Frente oder den Neo-Konstruktiven nur noch vage nachvollziehen.
 
Trotz dieser Cliquenbildung wird in dieser Ausstellung doch eine große Freiheit sichtbar. Sie offenbart sich etwa in der Zwanglosigkeit, mit der die Künstler verschiedene Materialen behandeln und wie vor allem bei Hélio Oiticica Malerei und Skulptur zusammengehen. Oder wie Malerei in Grafikdesign übersetzt wird; die Schau zeigt Plakate und Buchcover von umwerfender Frische. Und vor allem auch an den unabhängigeren Maler, mit denen die Ausstellung im Erdgeschoss beginnt.
 
Der Aufbruch in die Moderne war mit einem Mal vorbei, als das Militär 1964 nach einem Putsch die Macht in Brasilien übernahm. Viele Künstler machten Schluss mit konstruktivistischer Selbstbezüglichkeit, politisierten sich und fanden in der Bevölkerung Verbündete. Es entstand die Bewegung „Tropicália“, die Musik, Kunst, Theater, Kino und Folklore bündelte und komplexe Entwürfe von der Welt schuf, die sich abhoben von den Ideologien des Regimes. In der Kunsthalle Wien sind noch bis zum 2. Mai Werke der wichtigsten Protagonisten der Zeit zu sehen. Die Schau zeigt auch, wie es mit Hélio Oiticica, Lygia Pape und Lygia Clark, den bekanntesten Künstler der Zürcher Ausstellung, weiterging.
 
 
Haus Konstruktiv Zürich, bis 21. Februar 2010. Informationen unter www.hauskonstruktiv.ch