Rundgang: Singapurs Kunstwoche

Wachstum ist nicht alles

Was unterscheidet die Art Stage Singapore von der Art Basel Hong Kong? Lorenzo Rudolf, Gründer und Direktor der Singapurer Messe, muss nicht lange überlegen: "Hongkong ist ein Ableger von Basel. Wie eine Gucci-Filiale. Wir hingegen haben von Anfang an eine Messe mit eigenständigem asiatischen Profil konzipiert. Mir war immer klar, dass es keinen Sinn macht, hier bloß eine Kopie hinzustellen." Was ehrenvoll klingt und geschickt den Umstand verdeckt, dass sich die Art Stage in Umsatz und Renommee noch in der Aufbauphase befindet.

Die Kunst und vor allem der Kunstmarkt in Asien boomen, und Singapur möchte auf den Zug aufspringen, ihn lieber noch lenken. Es spricht einiges für den Stadtstaat: die Multikulturalität; die Drehkreuzposition zwischen China, Japan, Korea, Indien, den Philippinen, Indonesien, Australien; politische Stabilität; einer der am stärksten deregulierten Handelsplätze der Welt inklusive eines Zollfreilagers. "Ein chinesischer Sammler sagte zu mir: Singapur ist der einzige Ort, wo ich Chinesisch sprechen und essen kann und gleichzeitig mein Geld sicher anlegen kann", erzählt Lorenzo. Nicht zuletzt spricht auch seine Anwesenheit für die Goldgräberstimmung: Lorenzo war bis ins Jahr 2000 Direktor der Art Basel und initiierte 2011 in Shanghai die Messe ShContemporary.

Tatsächlich versprüht die Art Stage ein anderes Flair als die Art Basel Hong Kong. 80 Prozent der rund 100 teilnehmenden Galerien stammen aus dem asiatisch-pazifischen Raum (in Hongkong sind es 50 Prozent), und auch die meisten westlichen Galerien haben Arbeiten von Künstlern aus der Region im Angebot (unrühmliche Ausnahme ist die Londoner White Cube Galerie, die nicht eben frische Ware ihrer nicht ganz so frischen Künstler feil bietet: ein "Spot Painting" und eine Fön-Skulptur aus dem Jahr 1994 von Damien Hirst, Stoffarbeiten von Tracey Emin, die Andreas-Gursky-Fotografie "Union Rave" von 1995).

Der Berliner Galerist Matthias Arndt begann vor vier Jahren damit, sich in der Region umzuschauen und Dutzende Ateliers zu besuchen. Im vergangenen Jahr eröffnete er dann eine Singapur-Dependance, jetzt scheint sich sein Engagement auszuzahlen. Mit der Messe ist Arndt äußerst zufrieden, allein durch den Verkauf einer Holzskulptur von Etang Wiharso an eine malaysische Sammlung hat er mehr als die Standgebühren von 30.000 Euro eingeholt (in Hongkong zahlt Arndt 90.000 für seine Koje). "Der größten Profit aus meiner 20-jährigen Arbeit in Berlin besteht darin, dass meine asiatischen Künstler dort sehr gerne ausstellen wollen und ich ihnen diese Chance bieten kann." Sein Geld verdient Arndt schon lange nicht mehr in Deutschland.

Die Messe wird flankiert von einer Art Week und etlichen Eröffnungen. Das National Museum zeigt eine Überblicksschau "Singapore Art 1950-1970", nächstes Jahr soll die National Art Gallery dazu kommen. Im Hafengebiet entsteht mit den Gillman Baracks ein neues Kunstviertel mit internationalen Galerien und dem neuen Center for Contemporary Art, als dessen Gründungsdirektorin die Deutsche Ute Meta Bauer engagiert wurde. Im Singapore Art Museum läuft noch bis Mitte Februar die sehenswerte vierte Singapur-Biennale - auch sie mit einem Fokus auf Künstler der Region. Der Filipino Oscar Villamiel zeigt hier eine Installation aus Puppenköpfen, die Kinder auf einer der größten Müllkippen seiner Heimat, auf der zugleich geschätzte 200.000 Menschen leben, eingesammelt haben. Stark auch die Schaumskulpturen des Indonesiers Jeremy Sharma und eine Installation von Zulkifli Yusoff, die an die traditionelle Tattookunst erinnert. Das öffentliche Museum wurde erst 1996 eröffnet und verfügt über die größte Sammlung zeitgenössischer Kunst der Region. "In Singapur ist alles auf Wachstum ausgelegt", erklärt Kuratorin Joyce Toh. "Aber der Staat hat verstanden, dass wirtschaftlicher Wachstum allein keine Gesellschaft zukunftsfähig macht."

Was der Staat noch lernen muss, ist, dass Kunst auch mit Widerstand, Tabubruch, Schmutz zu tun hat. Singapur rühmt sich, eine der reichsten, saubersten, sichersten Städte der Welt zu sein. Alles hier ist auf Ausgleich und Harmonie ausgerichtet: Das Rot in der Nationalflagge, erzählen die Einheimischen stolz, symbolisiere, dass unter den unterschiedlichen Hautfarben der Einwohner das gleiche Blut fließe. Über Religion spreche man nicht, da sich niemand beleidigt oder diskriminiert fühlen solle. Dass seit über 50 Jahren die gleiche Partei herrscht, nimmt man gerne hin, hat sie doch Ordnung und Wohlstand gebracht. Straßen und Dachterrassen säumen Bäume und Blumen, die Luft ist tropisch warm und doch frisch. Ideal fürs Feng Shui, aber reicht das auch für den Aufbau einer Kunstszene? Zumal Makellosigkeit und Kontrollgesellschaft Hand in Hand gehen: Die Presse wird zensiert und auch die Kunst.

Die Künstlerin Donna Ong, in Singapur geboren und zurzeit Stipendiatin des Künstlerhauses Bethanien in Berlin, sagt, die Freiheit ende bei bestimmten Themen. "Homosexualität oder die Todesstrafe sind Dinge, die man als Künstler nicht ansprechen sollte." In ihrer eigenen Arbeit, die sich mit der Kolonialgeschichte Indonesiens auseinandersetzt, habe sie aber noch nie Probleme gehabt. Auch Ong betont den rapiden Wandel der vergangenen zehn Jahre. "Früher war die Kunst freier und auch experimenteller, weil sie niemand beachtet hat und es keinen Markt gab. Damals gab es vor allem Performances vor kleinem Publikum; heute ist die Szene viel professioneller und vernetzter: Man reflektiert das internationale Kunstgeschehen."

Zensur hat auch Lorenzo Rudolf erlebt. Vor zwei Jahren gab es auf der Art Stage eine Nacktperformance eines indischen Künstler. Die Aufführung fand in einem geschlossenen Zelt statt, die Polizei rückte dennoch in Mannschaftsstärke an. Die Performance wurde verboten, der Messeleiter verhört, was Rudolf heute als Anekdote erzählt. "Es gibt immer wieder die Diskussion um Jugendfreiheit, und natürlich darf man das politische System nicht offen angreifen." Aber es gehe "ja auch nicht darum zu provozieren", vom Staat erfahre er im Übrigen auch viel Unterstützung. Rudolfs Ansprechpartner ist dabei nicht das Kultur-, sondern das Wirtschaftsministerium. Für einen Messe-Chef mag das funktionieren. Für die Künstler der Region, die es wirklich wissen wollen, führt der Weg aber noch immer über den Westen, über Akademien und Stipendien in New York, London, Paris oder Berlin.

Art Stage Singapur, 16.-19. Januar