Vorschau auf die 62. Berlinale

Warte bis es dunkel ist

Sie alle müssen sich warm anziehen: Birgit Minichmayr friert am Polarkreis („Gnade“), Nina Hoss spielt die ausreisewillige DDR-Ärztin „Barbara“, Diane Kruger gibt Marie Antoinette (im Eröffnungsfilm „Les adieux à la reine“). Sind diese drei Konkurrentinnen um die Silbernen Bären deshalb gleich die Eisernen Ladys der 62. Berlinale? Oder ist es Meryl Streep, die als Maggie Thatcher („The Iron Lady“) zu sehen sein wird und einen Goldenen Ehrenbären bekommt? Auch nur halb richtig.

Denn wirklich tough war die Performance-Ikone Marina Abramovic, als sie anlässlich ihrer MoMA-Ausstellung mit ihrer Sitzperformance "The Artist is Present" 2010 eiserne Disziplin zeigte – zu erleben in Matthew Akers' Abramovic-Filmporträt in der Sektion Panorama, das kürzlich auch auf dem Sundance-Festival lief.




Am 11. Februar um 17 Uhr wird im Kino International Premiere gefeiert. Und in der Reihe Berlinale Special wird die Dokumentation „Ai Weiwei: Never Sorry“ mit Spannung erwartet. Es ist Alison Klaymans persönliches Bild des zeitgenössischen China und dessen berühmtem Künstlers und Dissidenten (Premiere im Haus der Berliner Festspiele, 12. Februar, 15 Uhr).




Es gibt viele Berlinalen, auch in diesem Jahr. Und vor der glamourösen, der cineastischen oder der kulinarischen interessiert sich Monopol brennend für die Kunst-Berlinale: Das Forum Expanded, 2006 aus der Taufe gehoben, steht ganz im Zeichen von Film-Avantgarde und Kino im Kunstkontext. 37 Werke von Künstlern, Filmemachern, Theoretikern und Musikern stehen auf dem diesjährigen Programm der Sektion.

Die Ausstellung „Kritik & Klinik“ widmet sich vor allem der Kälte der klinischen Psychiatrie, die vor allem in den 60er- und 70er-Jahren Gegenstand heftiger Kritik war. Ausgangspunkt der Schau ist Luke Fowlers Film „All Divided Selves“ über den schottischen Psychiater und Guru der Anti-Psychiatriebewegung Ronald David Laing (1927-1989). Werke von Heike Baranowsky, Anne Quirynen oder Florian Wüst untersuchen das heutige Verhältnis von mentalen Zuständen und globalen Strukturen. Experimentalfilmlegende Ken Jacobs hat mit „Seeking the Monkey King“ eine Art Horrorfilm zur aktuellen Krise gedreht, darin erzeugt Jacobs mit einer verknitterten Goldfolie psychedelische Effekte (Salon Populaire / Kunstsaele Berlin, Eröffnung am 8.2. von 18-21 Uhr).

Im Kino Arsenal, dem Stammhaus des Forum Expanded, zeigen Eve Sussman und Rufus Corporation ihr Projekt „Whiteonwhite: Algorithmicnoir“. Jeden Tag ist ein neuer Film zu sehen. Das von Überwachungskameras gesammelte Material wird jeden Tag frisch montiert.




Im Rahmen einer Filmlecture im HAU 2 am 14. Februar um 20 Uhr wird Harun Farocki mit Gianfranco Barucchello/Alberto Grifis „La Verifica Incerta“ ein zu Unrecht vergessenes Frühwerk des Found-Footage-Films vorstellen (siehe Film-Spezial im Monopol vom Februar).

Die Möglichkeiten, Kunst aus Film zu machen, sind unendlich. Allein das Angebot der Berlinale platzt aus allen Nähten. Bewältigt kein Ironman, sollte in Maßen genossen werden.

Filmfestival Berlinale, 9. bis 19.2.
In Monopol 2/2012 finden Sie ein großes Spezial zum Thema "Der Künstler und das Kino"