Interview

Was macht die Kunst, Moby?

Moby, auf Ihren Fotografien sieht man Back­stage-Räume, verlassene Parkplätze und ausgestorbene Abflughallen. Was interessiert Sie nur an diesen öden Orten?
Die Leere. Viele meiner Lieblingskünstler des 20. Jahrhunderts – Edward Hopper, Giorgio de Chirico, Hiroshi Sugimoto – konnten mit wenigen Kompositionselementen eine große Leere darstellen, eine größere, als wäre da gar nichts auf dem Bild. In Stille und Leere liegt ein seltsamer Trost für mich. Bei mir ist es so: Wenn ich ein Hotelzimmer betrete, wirkt alles vertraut. Dann widerspricht das Gehirn: Das ist ein zutiefst anonymer Raum. Es sieht zwar aus wie dein Bett, deine Couch, dein Schreibtisch. Aber nichts davon gehört dir, riecht nach dir, fühlt sich nach dir an. Die dritte Reaktion ist dann bei mir: Akzeptiere die Entwurzelung, dulde, dass alles Vertraute zerstört ist – „Destroyed“ heißt mein Buch. Dann kommen die Fragen: Wer bin ich, wenn nichts um mich herum mir gehört?

Im Buch geht es um Identität und darum, wie sie durch Leere, aber auch durch Blicke konstruiert wird: Sie fotografieren Leute, die Sie fotografieren.
Ja, auch das ist so eine Frage: Wer bin ich, wenn 75 000 Leute mich anschauen? Mir gefällt auch die Vorstellung, dass jemand in 100 Jahren das Buch findet und versucht, eine Handlung aus den Bildern zusammenzusetzen. Wer ist die Person, die dokumentiert und zugleich von anderen porträtiert wird?

Sehen Sie Fotografie auch als Selbstverteidigung: Der Popstar, der permanent fotografiert wird, schießt zurück?

Aber ich mag es, fotografiert zu werden! Früher nicht so, aber irgendwann habe ich akzeptiert, dass ich ein glatzköpfiger, mittelalter Typ bin. Ich versuche nicht mehr, gut auszusehen, sondern nur ich selbst zu sein. Aber ich kenne tatsächlich Fotografen, die durchdrehen, wenn jemand ein Foto von ihnen macht.

Ihr Buch ist betitelt wie das neue Album. Sehen Sie Musik als Soundtrack zu den Bildern oder das Buch als ausführliches Booklet?
Musik und Bilder sind zeitgleich entstanden, deshalb der Titel. Ich mag das Touren nicht, also habe ich mir für meine letzte Tour vorgenommen, Musik zu schreiben und die Tour fotografisch zu dokumentieren. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ein Buch daraus entsteht. Ich fotografiere, seit ich zehn Jahre alt bin. Aber ich habe mich nie damit wohlgefühlt, jemandem meine Fotos zu zeigen. Dann haben mich befreundete Künstler ermutigt. Der Subtext des Buches ist: „Das ist, was ich sehe. Ergibt das irgendeinen Sinn für dich?“ Ich veröffentliche es, um es besser zu verstehen. Durch das Publikum bekommt man eine unschuldige Perspektive auf die eigenen Arbeiten und die Entstehungsbedingungen der einzelnen Fotografie oder auch des Musikstücks.

Sehen Sie Parallelen zwischen Fotografie und Musik?
Beide haben die Fähigkeit, einen auf einer elementaren Gefühlsebene sofort anzusprechen. Die größte Gemeinsamkeit aber ist, dass Musik und Fotografie so allgegenwärtig sind, dass wir sie für selbstverständlich halten. Auch weil jeder ein Fotograf sein kann, es ist ein sehr demokratisches Medium. Im Kunstbetrieb wird Fotografie deshalb nie mit dem gleichen Respekt wie andere, „klassischere“ Medien behandelt. Aber ich weiß nicht, welche Kunstform im 20. Jahrhundert so viele Menschen beeinflusst hat.

Sie reden gern über Kunst, nicht wahr?
Ich liebe es. Zu Musik kann ich sagen: Ist das nicht großartig? Und damit erschöpft es sich dann auch schon. Musik ist eine bemerkenswerte transzendierende Kunstform, aber wir hören sie meist aus zwei Lautsprechern, egal ob sie von George Gershwin oder den Rolling Stones kommt. Kunst hingegen nimmt Raum ganz anders in Anspruch. Ein kleines Vermeer-Bild und der riesige „Roden Crater“ von James Turrell haben kaum etwas miteinander gemein, und doch können sie im Kunstkontext diskutiert werden.

Und Sie haben nie den Wunsch gehabt, selbst professioneller Fotokünstler statt Musiker zu sein?

Wissen Sie, meine Mutter war Malerin, mein Onkel Fotograf, ein anderer Onkel Bildhauer, meine Großeltern und Urgroßeltern waren Künstler. Und sie alle waren oder sind ziemlich gut in dem, was sie machen, auch wenn sie nicht unbedingt auf dem Kunstmarkt Erfolg hatten. Und ich habe mir gesagt: Da kann ich nicht mithalten. Bei Musik hingegen hatte ich immer das Gefühl, das ist etwas, das mir gehört. Gerade bei Fotografie fand ich einschüchternd, welch handwerkliches Können das Medium damals voraussetzte. Wenn ich technisch perfekte Abzüge in einer Ausstellung gesehen habe, dann wusste ich, ich werde das nie schaffen. Erst Wolfgang Tillmans hat mir gezeigt, dass es zwar hilft, das Handwerk zu beherrschen, aber dass es auch möglich ist, ohne dieses Können ein makelloses Bild zu machen. Einige seiner mit einer Instamatic spontan geschossenen Aufnahmen besitzen mehr Kraft als der perfekteste Abzug mit den schönsten Graustufen. Das war sehr befreiend. Man darf die emotionale Kraft des eigentlichen Bildes nicht vergessen.


Am 13. Mai veröffentlicht Moby bei Damiani den Bildband „Destroyed“ und bei Little Idiot Rec./Embassy of Music/Warner das gleichnamige Album. Am 20. Mai eröffnet er eine begleitende Ausstellung in der Made Gallery, Berlin. Am 7. Juni um 0.10 Uhr strahlt der TV-Sender Arte den Film "Durch die Nacht mit Moby und Will Cotton" aus