Kunst und Werbung

Was macht die Kunst, Oliviero Toscani?

Moral, nein danke. Und überhaupt: Alles ist Werbung! Der Fotograf liebt klare Worte. Umstrittende Kampagnen machten den 68-Jährigen bekannt - ein Radikaler ist er geblieben

Herr Toscani, als Fotograf prägen Sie Profile wie das von Benetton, um mal das kontroverseste Projekt Ihrer Karriere herauszupicken. Kürzlich wurden Sie selbst zum Hauptdarsteller einer Fernsehdokumentation. Ist Ihnen Ihr eigenes Image ebenfalls wichtig? 
Wenn ich mich je darum gekümmert hätte, wäre mein Leben ganz anders verlaufen. Mir ist mein Image egal. Ich bin der einzige Maßstab in meinem Leben.

Was sagen Ihnen Werbestrategien wie „brand yourself“ oder „Der Mensch als Marke“?
Noch einmal: Ich unternehme nichts aus Imagegründen oder strategischen Überlegungen. Viele Leute akzeptieren mich bis heute nicht. Also hören Sie mir auf mit diesem Werbergewäsch. Ich suche mit Sicherheit keinen Konsens.

Mit einem Freund diskutierte ich vier Jahre lang über die Benetton-Kampagne: Darf Werbung sterbende Aidskranke zeigen?
Fragen Sie bitte schön nicht mich, sondern weiterhin sich selbst. Ergründen Sie Ihre Moral. Meine Motive im Kontext einer Marke wären für Ihre Debatte doch nur ein Vorwand für Sie, sich nicht mit dem Inhalt auseinandersetzen zu müssen.

Wie weit darf Werbung gehen, um ein paar Pullover zu verkaufen?
Dieser Punkt führt in die Irre. Firmen haben immer schon alles getan, um ihre Produkte loszuschlagen. Wenn George Clooney Kaffee bewirbt, verkauft er auch Moral, eine Ästhetik, ein Weltbild. Und dieser Zustand wurde längst von jedermann akzeptiert. Alles ist nun mal Werbung, wenn es um Kommunikation geht.

Eine Firma hat ein Ziel.
Das hat die Kirche auch, das hat jede Bank, und das hat jeder, der ein Urlaubsfoto knipst. Kunst erreicht dabei die höchste Ebene der Kommunikation, mit dem raffiniertesten Ausdruck. Und jede Form der Kommunikation betrifft auch Macht. Die Kirche wirbt mit Gott, Jungfräulichkeit und Auferstehung, sie hat Künstler beauftragt, ihre Kampagnen zu gestalten. Die Künstler bekamen Geld für Propaganda. Mozart hat die Macht der Könige vertont: Werbung.

Wenn Sammler heutzutage junge Künstler über Jahre unterstützen, ohne deren Arbeiten zu „zensieren“ — schaffen sie denn damit nicht einen Freiraum für Kunst?
Wo gibt es das denn, bitte? Die Künstler, die sich darauf einlassen, weil sie sonst ihre Miete nicht zahlen können, sind wahrscheinlich nicht gut. Kunst ist für Mäzene eine Verlängerung des eigenen Egos. Moderne Firmen machen das Gleiche. Werbung mit Künstlern oder Kunstwerken ist die zeitgemäße Fortsetzung der Strategie der Kirche, die mit Kunst geworben hat.

Sie ziehen also keine Trennlinie zwischen Kunst und Werbung?
Kunst ist Werbung. Umgekehrt funktioniert das freilich nicht immer.

Sind Sie ein Künstler?
Natürlich. Und ich arbeite für Werbung –  was sehr interessant ist. Wir sind konditioniert durch Systeme. Schlagen Sie eine Zeitung auf. Die linke Seite berichtet vom Töten im Gazastreifen, auf der rechten Seite sehen Sie eine Anzeige von Mercedes. Beide Seiten gehören in dieselbe Zeit, in dieselbe Gesellschaft.

Ein magersüchtiges Mädchen, von Ihnen gezeigt, verschiebt das Bild einer traurigen Realität in einen anderen Zusammenhang.
Wie kommt es, dass Sie mich darauf ansprechen? Das ist in Deutschland doch gar nicht plakatiert worden. Aber alle haben es gesehen. Ein Medienhype. Das richtige Image zur richtigen Zeit zu kreieren zählt zu den Aufgaben von Kunst.

Wie kommt es, dass Sie, ohne Fernsehen zu schauen, ohne Bücher zu lesen und ohne Musik zu hören, so genau wissen, was zeitgenössisch ist?
Ha! Das stimmt. Ich bin Kaspar Hauser. Ich brauche keine Inspiration von außen, um arbeiten zu können. Ich bleibe sauber. Man muss schließlich auch kein Junkie sein, um mit Drogenabhängigen zu arbeiten.

Ein Kaspar Hauser, der die Wirklichkeit sehr wohl wahrnimmt. Herr Toscani, Sie haben gerade das Wort „Mafia“ als geschützte Marke eintragen lassen. Warum?
Ein Zufall. Ich habe beim Aufbau des Mafiamuseums in Salemi auf Sizilien mitgewirkt und merkte bei den Recherchen, dass Mafia kein geschützter Begriff ist: Mediterranean  Association for International Affairs –  haarsträubend ist allein die Auflösung des Begriffs. Aber ich habe noch keine Ahnung, was ich damit mache.

Hatten Sie Kontakt mit der Mafia?
Aber natürlich. Das erste Mal 1969. Ich habe als junger Fotograf eine Reportage auf Sizilien gemacht, über die Beziehung zwischen der katholischen Kirche und der Mafia. Die existiert selbstverständlich. Es wurden Bilder darüber veröffentlicht, und ich habe meine ersten Morddrohungen erhalten. Ich lebe noch.

Ohne Angst?
Das bin ich diverse Male gefragt worden. Angst wovor? Dass ich irgendwann sterbe? Das hat bis jetzt noch jeder geschafft. Und keiner konnte sich aussuchen, wie.