Friedrich von Borries, Kolumnist
Soundtrack für unterwegs
Kopfhörer absetzen und einfach mal hinhören. Die Blätter im Wind, den Klang einer fremden Sprache, Gesprächsfetzen, die eigentlich nicht für einen selbst bestimmt sind.
Lektüre am Strand
Frank Trentmann "Herrschaft der Dinge. Die Geschichte des Konsums vom 15. Jahrhundert bis heute": Das Buch zeigt, dass vieles, was wir als normal empfinden, Ergebnis einer Konsumspirale der letzten 20 bis 30 Jahre ist. Der Historiker Tretmann legt so dar, dass die Alternative zu unserem Lebensstil nicht innerhalb, sondern außerhalb des bestehenden wirtschaftlichen Systems entwickelt werden muss.
Film am Abend
Netflix-Serie "Black Mirror": Ich hab’s noch nicht gesehen, aber dringend vor: die 5. Staffel, drei neue Folgen, die hoffentlich genauso hellsichtig, absurd und schockierend sind wie die bisherigen.
Elke Buhr, Chef-Redakteurin
Soundtrack für unterwegs
Billie Eilish "When We All Fall Asleep Where Do We Go?": Es geht doch nichts über seltsam fragmentierte Songs eines verspulten Teenagers an einem heißen Tag.
Lektüre am Strand
Jens Balzer "Das entfesselte Jahrzehnt: Sound und Geist der 70er": Wenn Sie schon immer mal wissen wollten, was Charles Manson mit Käpt'n Iglo und das Jahrzehnt mit den komischen Schlaghosen mit heute verbindet, lesen Sie dieses Buch!
Film am Abend
"Rolling Thunder Revue: A Bob Dylan Story by Martin Scorsese": Apropos entfesseltes Jahrzehnt: Scorsese dokumentiert in dieser Netflix-Produktion die legendäre Tour durch die amerikanische Provinz von 1975, bei der der Sänger Allen Ginsberg, Joan Baez und einen Haufen andere Hippies um sich scharte - und man versteht noch einmal besser, wo Ryan McGinley seine Freiheit-Ikonografie her hat.
Sebastian Frenzel, stellvertretender Chefredakteur
Soundtrack für unterwegs
Jamila Woods "LEGACY! LEGACY!" für den Sonnenaufgang; Tyler, the Creator "Igor" für den Sonnenuntergang.
Lektüre am Strand
Die Zeitung von gestern: Man kauft sie am Kiosk im nächstgrößeren Urlaubsort. Sie versichert, dass alles was Andreas Scheuer, AKK oder Donald Trump gestern, heute oder morgen sagen, absolut gleichbedeutend ist. Man liest sie bis zum Ende und entdeckt wie gut gemacht und interessant auch der Wirtschafts- oder Sportteil ist. Hat man sie doch mal ausgelesen, kann man sie immer noch als Sonnenhut oder Grillanzünder verwenden - versuchen Sie das mal mit Ihrem iPad!
Film am Abend
Wer im Urlaub an Netflix denkt, ist am falschen Ort. Kino? Vielleicht, wenn das Gebäude alt oder skurril ist. Dann am besten irgendeinen Klassiker gucken, den man auch auf Griechisch, Arabisch oder Portugiesisch versteht.
Soundtrack für unterwegs
Erich Wolfgang Korngold "Das Wunder der Heliane": Die Handlung ist operntypisch verquast, die spätromantische Musik macht süchtig: "Das Wunder der Heliane" des späteren Filmkomponisten Korngold, den die Nazis nach Hollywood trieben, war 2018 an der Deutschen Oper Berlin ein Publikumsrenner. Maestro Marc Albrecht und die Sänger, allen voran Sara Jakubiak als Heliane, nehmen es mit den bisherigen Einspielungen locker auf. Und dank Christoph Loys unterkühlter Regie brennt sich die Musik erst recht ein. (Neu auf Blu-Ray oder DVD)
Lektüre am Strand
Ian McEwan "Maschinen wie ich": Ein Paar kriegt einen Roboter. Adam ist hochintelligent, täuschend sexy – und hat seine Gefühle nicht immer im Griff. Hat er Gefühle? McEwans packender Dreiecksroman siedelt in einer Thatcher-Ära, die es so nicht gab: Internet, verlorener Falklandkrieg, suizidale Androiden. Nicht scannen – lesen!
Film am Abend
"Vox Lux": Warum for gods sake wurde Brady Corbets Regiedebüt "The Childhood of a Leader" in Deutschland unterschlagen? Noch eindringlicher, irrsinniger ist Corbets "Vox Lux" – mit einer umwerfenden Natalie Portman als mittelmäßige Sängerin, die als Heilsgestalt angehimmelt wird. Pop betäubt Paranoia. Amerika dreht durch. Ab 25. Juli im Kino.
Silke Hohmann, Redakteurin
Soundtrack für unterwegs
Flying Lotus "Flamagra": Eine geniale nervöse Zustandsbeschreibung, aufgewühlt wie die Gegenwart und kosmisch umarmend wie die gesamte schwarze Musikgeschichte. "Flamagra" berauscht wie Sun Ra, wärmt wie John Coltrane, ist sexy wie Prince und so tief wie der Bass in einem George-Clinton-Stück, der in einem der 27 umwerfenden Songs mitwirkt.
Lektüre am Strand
Rachel Kushner "Ich bin ein Schicksal": Hinter den kurzen, trockenen, abgeklärten Beschreibungen aus einem US-Frauengefängnis liegt die literarische Power der Rachel Kushner, ihre Weisheit und menschenfreundliche Klarheit über missglückte Lebensläufe und die Rolle von Sex und Hautfarbe darin. Häftling Hall sitzt doppelt lebenslänglich, ihre grausame deutsche Mutter hatte sie Romy genannt, nach der Schauspielerin Romy Schneider, die in einer Talkshow mit einem Bankräuber flirtete.
Film am Abend
"Drei Tage in Quiberon": Der gerade mit dem Theodor-Wolff-Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnete damalige "Stern"-Journalist Michael Jürgs sucht in einer Klinik in Südfrankreich eine verzweifelte, bankrotte Romy Schneider auf, die mit einem Entzug das Vertrauen ihres Sohnes wiedererlangen will, gleichzeitig aber nicht ohne Aufmerksamkeit zurecht kommt. Er bestellt erst mal zwei Flaschen Chablis. (Im Stream verfügbar auf Amazon Prime, Maxdome, Google Play, iTunes, Sky Store, Videoload, Youtube)
Alia Lübben, Social-Media-Managerin
Soundtrack für unterwegs:
Mashrou’ Leila - Cavalry (English Version): Die libanesische Indieband mit elektronischen Einschlägen und Geigenbegleitung darf leider aufgrund ihres Aktivismus für LGBTQIA*-Rechte in einigen Ländern nicht mehr auftreten. Im Rest der Welt füllt sie dafür weiterhin die Konzerthallen. Jetzt hat die Gruppe ihren ersten Song auf Englisch veröffentlicht: Eine Coverversion ihres eigenen Stücks “Cavalry”. Und der steht der Originalversion auf Arabisch überraschenderweise in nichts nach.
Buch für den Strand:
Hanya Yanagihara: "Das Volk der Bäume": Yanagihara’s Welterfolg “A Little Life” (deutscher Titel: “Ein wenig Leben”) war eines der prägendsten und aufwühlendsten Bücher, die ich bisher gelesen habe. In ihrem ersten veröffentlichten Roman “Das Volk der Bäume”, der erst Ende letzten Jahres auf Deutsch erschienen ist, beleuchtet sie nicht die Perspektive eines Opfers von Gewalt, sondern die eines Täters. In Form von Memoiren erzählt sie die Geschichte des Arztes und Virologen Norton Perina, der durch seine Forschung auf der Insel Ivu’ivu bahnbrechende medizinische Entdeckungen macht. In den Jahren, in denen er auf der Insel forscht, nimmt er mehrere Dutzend Kinder des dort lebenden Volksstamms der Opa’ivu’ekein in seine Obhut - von denen er mehrere sexuell missbraucht. Yanagihara fragt danach, welche Taten einen Menschen gut oder schlecht machen, ohne die Hauptfigur in Schutz zu nehmen oder ihr Tun zu relativieren.
Film am Abend
Der bestklingende Film, der dort, wo man ist, im Freiluftkino läuft. Sollte es doch regnen, werde ich mir endlich den Dokumentarfilm “50 Jahre nach Stonewall” in der Arte-Mediathek ansehen, in dem auch der in Berlin lebende Musiker Sam Vance Law zu Wort kommt. Sein Album “Homotopia”, dessen Cover ein Gemälde von Norbert Bisky ziert, ist übrigens auch ein All-Time-Favorite und generell ein guter Soundtrack für den Sommer.
Anika Meier, Kolumnistin
Soundtrack für unterwegs
Mein guter Freund Ofeneck, so heißt er auf Instagram, im richtigen Leben Jochen Overbeck, Musikkritiker, hat auf Spotify eine Playlist für die warme Jahreszeit zusammengestellt: Bleib zuhause im Sommer. Ich weiß nicht, ob das eine Option ist. Die Playlist ist es jedenfalls.
Lektüre am Strand
Ottessa Moshfegh "Mein Jahr der Ruhe und Entspannung": Der Roman der amerikanischen Schriftstellerin ist genau das, wonach er klingt. Ein Buch über ein Jahr der Ruhe und Entspannung, das aber erst einmal gar nicht so entspannend für die Protagonistin anläuft, weshalb sie sich irgendwann entscheidet, einfach nur noch schlafen zu wollen. Die namenlose Protagonistin macht im Leben, was junge Frauen heute so machen: Sie arbeitet in einer Galerie. Nur ist sie dabei sehr unzufrieden, also sucht sie sich eine Psychiaterin, die ihr willig Psychopharmaka verschreibt. Ein Medikament wirkt wahre Wunder, es knockt sie tagelang aus. Um lange schlafen zu können, sehr lange, braucht man natürlich einen Helfer. Den findet sie mit einem Künstler, der daraus selbstverständlich eine Arbeit macht. Was nach absoluter Ereignislosigkeit klingt, ist eine rasant beruhigende Geschichte, die immer wieder Haken schlägt. Ich beneide jeden, der die Lektüre dieses Buches noch vor sich hat.
Film am Abend
Lest doch lieber noch ein Buch. Man verbringt sonst ja nur wieder jeden Abend zu viel Zeit damit, den nächsten Film oder die nächste Serie auf Netflix auszuwählen. Auf Instagram wird als Lektüre gerade von so ziemlich allen die Autobiografie "Blinder Galerist" von Johann König und "GRM" von Sibylle Berg empfohlen. Wer damit also durch ist und abends ein bisschen Liebe braucht, die nicht über einen Bildschirm flackert, kann zu "Normal People" von Sally Rooney greifen. Zwei Teenager verlieben sich ineinander, beide sind ziemlich kaputt, sie mehr als er. Es ist die Geschichte einer großen Liebe, die nicht hält, weil sie zu groß ist. Spoiler: Kein Happy End, trotzdem ein wunderbares Buch.
Donna Schons, Social-Media-Managerin
Soundtrack für unterwegs
Tyler, The Creator "Igor": "Ridin' 'round town, they gon' feel this one" singt Tyler, The Creator und stellt damit direkt zu Beginn klar, dass es sich zu seinem narrativen Album über eine unerwiderte Liebe hervorragend durch die Stadt cruisen lässt. Die experimentellen, Synth-lastigen Instrumentals ballern wie die Sonne und Tyler changiert so cool zwischen dunklem, harten Rap und schrillem Pop-Gospel, dass man sich automatisch ein bisschen lässiger in den Sitz lehnt.
Lektüre am Strand
Elvia Wilk "Oval": Louis und Anja leben im Berlin der nahen Zukunft auf einem aufgeschütteten Berg in einem emissionsfreien Hightech-Haus. Das harmonische Verhältnis zwischen den beiden gerät ins Wanken, als Louis sich nach dem Tod seiner Mutter obsessiv der Entwicklung eines Empathie fördernden Medikaments verschreibt, mit dem er die wachsende ökonomische Ungleichheit in seiner Heimatstadt bekämpfen will. In ihrem literarischen Debüt liefert Elvia Wilk scharfsinnige Beobachtungen zeitgenössischer Beziehungsgeflechte und behandelt mit Klimawandel und Mietenkrise die heißesten Themen des Berliner Sommers.
Film am Abend
Ulrich Seidl "Paradies: Liebe": Schonungslos und stellenweise schwer erträglich ist Ulrich Seidls Film über die Österreicherin Maria, die als Sex-Touristin nach Kenia reist. Bildgewaltig inszeniert der Regisseur die selbstbetrügerischen Balzrituale am weißen Sandstrand und sorgt mit seiner Reflexion über die postkolonialen Ausbeutungs- und Machtdynamiken des Tourismus für Unbehagen im Urlaub. (Im Stream verfügbar auf Netflix, Amazon, iTunes, Maxdome)
Saskia Trebing, Online-Redakteurin
Soundtrack für unterwegs
Thom Yorke "Anima": Mit 14 auf Festival aus Versehen Radiohead gehört und furchtbar wimmerig gefunden. Mit 18 existenziell ins Wimmerige verknallt und mit 32 ohne Rücksicht auf Haltung dem neuen Thom-Yorke-Album verfallen. Auf dem Weg dorthin, wo es hitzig flirrt und herzenswarm wird.
Lektüre am Strand
Matthias Faldbakken "The Hills": Während einem selbst schon der Bikini zu viel Klamotte ist, wird im neuesten Roman des norwegischen Künstlers das weiße Hemd gestärkt. Die Geschichte wird mit unwiderstehlicher Lust am Absurden vom Kellner eines Nobelrestaurants erzählt, dem die strengen Rituale im Lokal der einzige Halt im Leben sind. Dann fliegt alles wunderbar auseinander. Am besten lesen, wenn man vor einem bröckelnden Strandimbiss mit dem Hintern am Plastikstuhl festklebt.
Film(e) am Abend
Den Kurzfilm zu Thom Yorkes "Anima" von Paul Thomas Anderson (Netflix). Oder, wenn das zu kurz für einen langen Abend ist: "De l'art et du cochon", blöd übersetzt zu "Augenschmaus": Guilty pleasure für Kunsthistoriker. Sterneköche (und *innen!!) kochen Menüs inspiriert von ikonischen Kunstwerken und werden dabei von Experten aller Art unterstützt. Wie würde Velazquez schmecken? Wie Niki de Saint Phalle? Und dann die Lieblingsfiguren: der gemütliche Ernährungshistoriker, der Antiken-besessene Bäckermeister und die stramm stehenden Assistenten mit albernen Mützen in den Sterneküchen (Arte Mediathek, Youtube).
Daniel Völzke, Leitung Online
Soundtrack für unterwegs
Hörbuch: Marcel Proust "Auf des Suche nach der verlorenen Zeit": Irgendwann im Leben sollte man sich wirklich die "Recherche" vornehmen, warum nicht diesen Sommer und warum nicht als Audio Book? Wobei Sie dieses Projekt noch bis in den Winter tragen wird: Das 2010 im Hörverlag erschienenen Hörbuch hat eine Länge von 156 Stunden, also sechseinhalb Tage am Stück. Der Mitte Juni verstorbene Schauspieler Peter Matic hat den Roman in sieben Jahren für den RBB eingelesen, und er trägt die berühmten Proustschen Bandwurmsätze in einer Melodie, einem Rhythmus und einem nasalen Ton vor, die genauso wunderbar zur Neurasthenie der Herzöge, Prinzessinnen und Kurtisanen der Pariser Salons passen wie zur magischen Innerlichkeit des Ich-Erzählers.
Lektüre am Strand
Bernd-Jürgen Fischer "Handbuch zu Marcel Prousts 'Auf der Suche nach der verlorenen Zeit'": Wenn man sich irgendwann in der labyrinthischen Erzählweise Prousts verloren hat, greift man zu diesem Reiseführer des deutschen Übersetzers. Mit Karten, Stammbäumen, der Rezeptionsgeschichte und Anekdoten.
Film am Abend
Monty Python’s Flying Circus, Staffel 3, Folge 5 "The All-England Summarize Proust Competition": Ein Sketch über einen Proust-Wettbewerb: Wer in 30 Sekunden am weitesten mit seiner Zusammenfassung der der Handlung der "Recherche" kommt, der gewinnt! (auf Dailymotion)
Anne Waak, Kolumnistin
Soundtrack für unterwegs
Jai Paul "Leak 04-13 (Bait Ones)": Das seit sechs Jahren erwartete Album des Londoner Produzenten-Enigmas Jai Paul. Der singt im Falsett mit princehafter Funkyness, in die sich indische Hektik mischt. Typisch englisch, funktionieren die äußerst fragilen Songs auf dem Dancefloor, im Piratensender und beim Frühstückstee im Bett.
Lektüre am Strand
Brigitte Reimann "Hunger auf Leben": Die DDR-Schriftstellerin war eine Kerze, die an zwei Enden brannte. Nie wird das deutlicher als bei der Lektüre ihrer Tagebücher zwischen 1955 und 1970. Reimann oszillierte ihr ganzes kurzes Leben lang zwischen Höhenflug und Zusammenbruch, Schriftsteller-Kongress und Gaskombinat, zwischen der Treue zu ihren vier Ehemännern und Strohfeuer-Flirts mit ungezählten Kollegen. Ein Buch über Exzess, das ganz ohne das Berghain auskommt.
Film am Abend
Yorgos Lanthimos "The Lobster". Falls der Urlaub droht, zu romantisch zu werden: Der vierte Langfilm des Regie-Wunders über das eigenartige Paarungsverhalten des Menschen ist immer noch sein bester und so voll mit klugem Irrwitz, dass man ihn getrost auch ein drittes und viertes Mal sehen kann. Seine Hauptdarsteller Rachel Weisz und Colin Farrell sind ohnehin eine Freude. (Netflix)