Die Kuratorenfrage

Warum wird die Berlin Biennale wirklich verschoben?

KW Institute for Contemporary Art, Berlin, 2022
Foto: Silke Briel

KW Institute for Contemporary Art, Berlin, 2022

Die 13. Berlin Biennale wird um ein Jahr verschoben, die offiziellen Gründe dafür klingen fadenscheinig. War ein Skandal bei der Suche der künstlerischen Leitung ausschlaggebend?

Die Nachricht kam überraschend. Die 13. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst, eigentlich geplant für Sommer 2024, werde auf 2025 verschoben, hieß es vergangene Woche in einer Pressemitteilung der Kulturstiftung des Bundes, die die Großausstellung seit Jahren substanziell fördert. Die Gründe: "pandemiebedingte organisatorische Verzögerungen", vor allem aber die "Vermeidung eines 'Biennale-Superkunstjahres' 2024. Denn ebenfalls der Pandemie geschuldete Verschiebungen anderer internationaler Biennalen auf das Jahr 2024 lassen einen Ressourcenwettbewerb erwarten, der sich nicht zuletzt auf die Kapazitäten von Künstlerinnen und Künstlern und deren Verfügbarkeit auswirkt."

Nach der Lektüre wischte man sich kurz die Augen. Die Berlin Biennale 2020 hatte stattgefunden, trotz Pandemie. Die Berlin Biennale 2022 hatte stattgefunden, parallel zur Documenta Fifteen und zur Manifesta. Und jetzt, nachdem nun wirklich niemand mehr von Corona-Verzögerungen spricht, sollen plötzlich irgendwelche Spätfolgen die Durchführung der traditionsreichen Veranstaltung stören? Und seit wann teilen sich Berlin Biennale und Venedig-Biennale die gleichen Künstlerinnen und Künstler?

Doch möglich ist es, und vielleicht haben die Veranstalter – der Verein Kunstwerke Berlin e.V. und die Kulturstiftung des Bundes – ja auch wirklich eine weise Entscheidung getroffen. Glaubt man Insidern, hat es aber auch noch andere Probleme gegeben. Sie hatten mit einem Thema zu tun, das gerade zum Knackpunkt bei vielen dieser Großereignisse wird: der Suche nach der neuen künstlerischen Leitung.

Findungsprozess mit überraschender Wendung

Der Findungsprozess für die künstlerische Leitung der Berlin Biennale ist, wie bei allen vergleichbaren Veranstaltungen, nicht öffentlich. Wer in der Findungskommission sitzt, wird erst dann publik gemacht, wenn auch die neue künstlerische Leitung bekanntgegeben wird. Wer sich beworben hat, wer jeweils im Finale war, ist geheim, und das muss auch so sein, um die Beteiligten zu schützen – wer möchte schon gern als diejenige Person weiter durchs Leben laufen, die einen wichtigen Job nicht bekommen hat.

Im Fall der 13. Berlin Biennale aber scheint der Findungsprozess eine Wendung genommen zu haben, die symptomatisch erscheint für die aktuelle Situation des Kunstbetriebs, und die deshalb lohnt, diskutiert zu werden – zumal die Person, um die es geht, wohl erst mal für eine Karriere im Kunstbetrieb nicht mehr in Frage kommt.

Abhijan Toto aus Kalkutta, gerade mal Ende 20, hatte noch keine großen Ausstellungen kuratiert, eher Workshops hier und da gegeben und ein vom Goethe-Institut mitveranstaltetes Festival in Bangkok geleitet. Aber das Thema, das er gemeinsam mit der von ihm und Pujita Guha gegründeten Gruppe The Forest Curriculum bearbeitete, traf zielsicher den Nerv des aktuellen Kunstbetriebs: ein "plattformübergreifendes Projekt für Forschung und gemeinsames Lernen rund um die Naturkulturen der bewaldeten Gürtel in Süd- und Südostasien.“ Es ging um indigenes Wissen, Natur, "care", "Vulnerabilität".

Schwere Vorwürfe

Mit The Forest Curriculum nahm Abhijan Toto unter anderem an der von Anna Catharina Gebbers kuratierten Ausstellung "Nation, Narration, Narcosis" teil, die 2021/2022 im Hamburger Bahnhof in Berlin stattfand. Auf seinem Instagram-Account sieht man Toto begeistert in die Berliner Kunstszene eintauchen, er inszeniert sich wie ein glamouröser Kunst-Influencer. Wie gut unterrichtete Kreise nun bestätigen, waren er und The Forest Curriculum sehr ernsthaft im Gespräch für die künstlerische Leitung der 13. Berlin Biennale.

Bis Mitte Februar auf dem Instagram-Kanal des ebenfalls aus Indien stammenden queeren Kollektivs Party Office, bekannt auch von der Documenta Fifteen, ein "öffentliches Statement zu einer Vergewaltigung, begangen von Abhijan Toto" veröffentlicht wurde. Party Office weisen dort auf einen Fall aus dem Jahr 2017 hin. Toto, damals Anfang 20, hatte am Rande einer Konferenz an einer Universität in Mumbai – es ging um Ästhetik und Deleuze – einen Studenten, mit dem er sich über eine Social-Media-Plattform verabredet hatte, auf der Terrasse des Universitätsgebäudes vergewaltigt und ihm verschiedene Verletzungen zugefügt.

Eine Gerichtsverhandlung hatte es nicht gegeben, aber ein universitätsinternes Verfahren, in dem Toto schuldig gesprochen wurde und ein lebenslanges Verbot bekam, den Campus zu betreten. Dokumentiert ist der Fall unter dem Namen Abhijan Gupta – Toto ist der Name, zu dem Gupta danach wechselte und unter dem er seine Karriere in der Kunstwelt aufbaute.

Ein vielschichtiger Fall

Party Office wiesen bei ihrem Post außerdem auf die gesellschaftliche Machtkonstellation hin, in der der Fall stattfand, das indische Kastensystem. Toto/Gupta gehöre einer hohen Kaste mit großem kulturellen Einfluss an und habe so den Vorfall unter den Tisch kehren und weiterhin in privilegierten Zusammenhängen arbeiten können. Die Gruppe The Forest Curriculum sei außerdem mehrfach von Kollektiven aus Indiens Nordosten dafür kritisiert worden, dass sie, selbst von privilegiertem Hintergrund, von der Arbeit von Indigenen profitiere.

Abhijan Toto reagierte mit einem langen Post auf seinem Instagram-Account, in dem er sich dafür entschuldigt, dass er Menschen enttäuscht habe und seine Entschuldigung an den Vergewaltigten wiederholt. Dort betont er, er habe diesen Vorfall immer wieder auch öffentlich diskutiert und ihn in Arbeits- und privaten Beziehungen transparent gemacht. Vidisha-Fadescha von Party Office sagte allerdings gegenüber Monopol, die Information sei ein Schock für sie gewesen. Und auch in Berliner Kunstkreisen waren viele enttäuscht. Pujita Guha, Mitbegründerin von The Forest Curriculum, und Rosalia Engchuan, ebenfalls Mitglied des Kollektivs, wollten auf Anfrage die Vorfälle nicht kommentieren, ließen aber wissen, dass sie sich aus der Gruppe zurückgezogen haben und alle damit verbundenen Aktivitäten gestoppt sind.

Der Fall ist vielschichtig. Natürlich muss es auch möglich sein, nach einer Verfehlung wie dieser mit Anfang 20, nach der ein Mensch Einsicht zeigt, ein neues Leben anzufangen. Dass The Party Office den Skandal genau in dem Moment lostreten, in dem für Abhijan Toto eventuell ein weiterer Karriereschritt hätte anstehen können, ist vielleicht auch Teil eines Konkurrenzkampfes, der auch in Kreisen tobt, die gern Vokabel wie "care" und Solidarität in ihre Projektbeschreibungen aufnehmen. Sicher ist, dass das Kollektiv The Forest Curriculum erst einmal Geschichte ist, und zunächst wohl auch die Karriere von Abhijan Toto im westlichen Kunstbetrieb.

Berlin Biennale kündigt unterdessen eine Lösung an

Dieser Kunstbetrieb aber sollte wohl dringend darüber reflektieren, was er eigentlich sucht. Das Bedürfnis, diverser und globaler zu werden und neue, andere Stimmen zuzulassen, ist absolut ehrenhaft. Aber wann reagiert man auf Buzzwords, wann läuft man hinter einer Chimäre her, welchen Projektionen erliegt man vielleicht gerade? Welche Kontexte übersieht man, welches Wissen fehlt einem, bei aller Euphorie über globalen Austausch? Gerät die Balance zwischen Professionalität und Erfahrung und, man muss es wohl so nennen, Identitätspolitik ins Rutschen?

Vor genau diesen Fragen dürfte zurzeit auch die Findungskommission für die Documenta 16 stehen, die man um ihre Aufgabe nicht beneidet. Die Berlin Biennale hat unterdessen eine Lösung angekündigt. Direktorin Gabriele Horn bekräftigte auf Nachfrage, dass die Verschiebung der Biennale allein die Gründe habe, die in der Pressemitteilung der Kulturstiftung des Bundes genannt worden waren. Und Anfang kommender Woche werde die neue künstlerische Leitung bekannt gegeben. Wir sind gespannt.