Wie haben Sie das gemacht, Monika Grzymala?

„Zeichnung ist von der Hand geführtes Denken“, sagt Monika Grzymala. Auf Papier fängt bei ihr alles an. Über die Jahre entwickelte sie dreidimensionale Arbeiten, sie bleibt der Linie verpflichtet sowie dem Material – webt jedoch beides in den Raum. Für ihre Gebilde benutzt die Künstlerin Klebeband, meist benötigt sie mehrere Kilometer davon. Grzymala, geboren 1970 im polnischen Zabrze, kam als Zehnjährige nach Mannheim und absolvierte schließlich eine Lehre als Restauratorin und Steinbildhauerin. Danach studierte sie bei Bogomir Ecker an der Hamburger Hochschule für bildende Künste. Heute lebt sie in Berlin und stellt auf der ganzen Welt aus, demnächst im Museum of Modern Art, für das sie eine ihrer großen Installationen entwickelt, die sie angemessen „Raumzeichnungen“ nennt.
„Wenn ich ortsspezifische Werke anfertige“, sagt Monika Grzymala, „dann sind diese häufig auf Personen und deren Situation zugeschnitten.“ Vor einiger Zeit traf sie die New Yorker Erbin und Sammlerin Dian Woodner. Die Künstlerin bekam den Auftrag, ein Wandbild für ein Apartment zu entwerfen. Erstmals setzte sie dabei von ihr selbst geschöpftes Washi-Papier ein, das traditionell in Japan hergestellt wird. Entstanden ist auch hier ein spektakuläres raumgreifendes Relief, mit dem Titel „Up There Up Here“. Wie haben Sie das gemacht, Frau Grzymala?

Vor vier Jahren stellte ich in der New Yorker Galerie Marian Goodman eine Arbeit aus schwarzem Klebeband aus. Die sah die Sammlerin Dian Woodner und beschloss, für ihr neues New Yorker Apartment ein Werk von mir anzukaufen. Bei unserer ersten Begegnung zog sie eine Zeichnung von William Turner aus ihrer Handtasche und fragte mich, was ich denke: Ist darauf ein Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang abgebildet?
Vor elf Jahren hat Dian von ihrem Vater Ian Woodner einen Teil seiner unglaublichen Sammlung von Meisterzeichnungen geerbt, die beginnt mit Leonardo da Vinci, dann geht es weiter über mittelalterliche Bibeln, Nürnberger Schule, Tiepolo, Tizian … Der jüngste Künstler im Besitz Dian Woodners war damals Picasso. Nun wollte sie gern in einem begehbaren Bild leben, Größe, Material und wie viel Platz ich beanspruchen würde, schienen ihr egal. Dian wollte ihr Leben nach außen öffnen, ich repräsentiere für sie diesen Schritt, auch als Künstlerin, weil ich mit der Zeichnung in den Raum gehe. Ich wollte für die Wohnung keine Klebebandarbeit herstellen, sondern selbst großformatiges Washi-Papier produzieren und daraus für den gesamten Salon ein dreidimensionales Werk herstellen. Ich hatte eine Sequenz aus acht Blättern entwickelt, die Linie einer Reliefzeichnung bewegt sich von einem Blatt aufs andere, was eine einzige Bewegung ergibt. Ich suchte einen Papiermacher, der mir beibringen konnte, wie man es schöpft, der mein Anliegen versteht und sich selbst hintanstellen kann als Meister dieses Handwerks. Ich fand Gangolf Ulbricht und seine Werkstatt im Berliner Künstlerhaus Bethanien. Zwei Wochen verbrachte ich bei ihm und habe mir alles erklären lassen. Papier schöpfen ist sehr komplex. Es klappte natürlich erst einmal alles nicht, meine Wasserzeichen brachen auseinander, das Material riss, übrig blieben nur noch Fetzen. Und was für eine Grammatur möchte ich haben, wie viel Pulpe muss man mit einrühren? Dann machte ich Testläufe in Dians Apartment, um das Material in dieser Umgebung zu sehen. Es war noch nichts dort, wir brauchten jede Menge Vorstellungskraft: Hier steht dieses Möbelstück, hier soll der frühe Cézanne hängen – und wenn du dich entscheidest, dass deine Arbeit den ganzen Raum einnimmt, ist vielleicht kein Platz mehr für ihn. Da darf man als junge Künstlerin, die noch im Enthusiasmus des Machens steckt, auch nicht hysterisch werden. Jetzt arbeitete ich mit Gangolf an einem Relief, das direkt aus dem Papier geschöpft wird. Selbst der Papiermeister wusste nicht, wie man so etwas bewerkstelligt. Ich versuchte, direkt mit der Pulpe im Papier zu zeichnen, also ein umgekehrtes Wasserzeichen herzustellen durch einen stärkeren Faserauftrag, der erscheint. Schließlich entschieden wir uns für das Format zwei auf drei Meter. Bei dieser Größe lässt sich von jeder Ecke aus das Zentrum des Siebs erreichen – so ziemlich das maximale Format, das ich ohne Assistenten handhaben kann. Wenn ich solche Werke herstelle, will ich keinen Gehilfen um mich haben, denn ich
weiß selber noch nicht, was bei der Installation im Raum passiert: Diesen Moment will ich mir bewahren. Ich befreite die Alabastergipswände sorgfältig vom Staub und beklebte sie mit einem nassfesten, pH-neutralen Japanseidenpapier – der perfekte Untergrund für mein Washi. Darauf brachte ich mit reinem Stärkekleister, den ich selbst herstelle, die flachen Stellen des Reliefs an der Wand an. Dann löste ich die Relieflinien mit einem Wasserstrahl, holte die Linie aus der Zweidimensionalität und kleisterte sie dann – über eine Unterkonstruktion etwa aus Luftballons – erneut. Dafür benutzte ich eine Mischung, die elastisch austrocknet, sodass die Linien, die in den Ecken weit hervorstehen, wieder zurück in die Form finden, wenn man zufällig dagegenstößt. Es sind auch riskante Momente: Ich habe alles ganz genau ausgemessen, aber wenn die Bögen ein wenig variieren, stimmt die ganze Reliefzeichnung nicht mehr. Ich arbeitete dort in diesem Elfenbeinturm, man hört die Stadt, aber New York ist ganz weit weg. Stille. Der Atem geht in den Prozess der Zeichnung ein. Die Hände sind meine liebsten Werkzeuge, damit kann ich am präzisesten vorgehen. Durch das Glattstreichen der flachen Stellen entstehen auch kleine Falten, eine gewischte Zeichnung neben der großen Bewegung der Relieflinien. Mikro und makro. Alles hat Spuren von mir. Mich interessiert ein Kunstwerk nur im Prozess der Entstehung. Sobald das Signal zu mir durchdringt, keine Linien müssen mehr hinzugefügt werden, es befindet sich in Balance, es ist in sich selbst wahr – dann kann ich die Arbeit loslassen. ‚Als ich klein war‘, sagte Dian Woodner einmal, ‚konnte es schon passieren, dass die Tomatensoße auf dem Picasso landete.‘ Ich hatte mit ihr vertraglich festgelegt, dass wir in drei bis fünf Jahren beschließen, wann wir die Raumzeichnung abbauen und das Papier verbrennen. Dann reiht es sich wieder ein in den Zyklus des Lebens. Jetzt waren allerdings schon Konservatoren vom Museum of Modern Art da, weil Dian die Arbeit so sehr liebt.

„Up There Up Here“ wird von einem Künstlerbuch begleitet, das Ende November erscheint: Texte auf Englisch und Deutsch, zwei Bände, 200 Seiten, limitierte Aufl age von 200, davon 100 Stück signiert, zu beziehen über: www.t-r-a-n-s-i-t.net. Gruppenausstellungen, an denen Monika Grzymala teilnimmt: „Washi made in Germany“, TAM, Tokio, bis 26. Dezember. „On Line: Drawing Through the Twentieth Century“, MoMA, New York, 21. November bis 7. Februar 2011