Gastbeitrag

Wie KI den Museumsbetrieb verändern wird

Abgesehen von wenigen Leuchtturmprojekten scheinen Künstliche Intelligenz und Museen bislang kaum zueinander zu finden. Das wird sich allerdings bald ändern. Was heute noch nette Spielerei ist, wird in Zukunft Standard sein

Es ist ein guter Tag für einen Museumsbesuch, sagt das Smart-Hobby-System auf meinem Handy, das mir mit Blick auf meinen Kalender und die Wetter-App Vorschläge für meine Freizeitgestaltung macht. Also bestätige ich die Aktivität und steige in ein selbstfahrendes Auto, das mich bei meinem Lieblingsmuseum absetzt. Davor treffe ich eine Freundin, unsere Aktivitäten haben heute übereingestimmt. Hier werden wir bereits vom Begrüßungs-Bot erwartet – unsere Profile sind dem Haus bekannt. Er weist uns auf die heutigen Specials hin: eine Hologramm-Kuratorenführung oder ein immersives Treffen mit Basquiat.

Wir entscheiden uns stattdessen dazu, uns vom bereitwilligen Bot sämtliche Fragen zur Kunst beantworten zu lassen, zusätzlich gibt er uns weiterführende Zusatzinfos über unsere Smartphones. Ich wähle die Tour zum Thema Farbe, meine Begleitung die zur Provenienzforschung, jede in ihrer jeweiligen Sprache – und auf geht's. Hinterher tauschen wir uns im Museumscafé über die Kunsttouren aus. Als Andenken gönne ich mir noch den virtuellen Ausstellungskatalog, der selbstverständlich in sämtlichen Übersetzungen verfügbar ist. Wenn mir in den nächsten Tagen danach ist, schaue ich mir die Ausstellung noch mal im Metaverse an. Alles Zukunftsmusik? Eigentlich nicht. Technisch ist im Grunde fast all das schon jetzt mit Künstlicher Intelligenz (KI) möglich.

Diverse Dystopien sind über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz geschrieben worden. Zeit für einen Blick auf die Potenziale. Die National Gallery in London etwa erprobt bereits den Einsatz von Robotern bei der Besucherführung und forscht zusammen mit dem King's College intensiv an Einsatzmöglichkeiten von KI. Darunter immersive App-Anwendungen, die Kunstobjekte in die eigene Wohnung projizieren. Das Metropolitan Museum kooperiert mit dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) und hat mit Hilfe von KI inzwischen fast eine halbe Millionen Objekte ihrer Sammlung mit Bildern und Daten online ohne Copyright  für die Öffentlichkeit nutzbar gemacht. Diese können nun von jedem intuitiv durchsucht, heruntergeladen, geteilt, gemixt und für beliebige Zwecke verwendet werden.

Museen müssen ihr Selbstverständnis hinterfragen

Auch in der deutschen Museumslandschaft lassen sich immerhin eine Handvoll KI-getriebener Projekte finden: Das Ludwig Forum in Aachen erforscht beispielsweise, wie Künstliche Intelligenz die kuratorische Recherchepraxis durch die Gruppierung von digitalisierten Werken und Informationen unterstützen kann. Doch von wenigen Leuchtturmprojekten abgesehen, scheint hier die Zukunft noch weit entfernt. Das wird sich allerdings bald ändern. Im Gespräch mit Experten auf dem Gebiet wird klar: Was heute noch nette Spielerei ist, wird in Zukunft – vielleicht schon in zehn Jahren – Standard sein.

In einigen Gebieten des Alltags gehört KI schon fest dazu: Wir erwarten wie selbstverständlich, dass uns Streaminganbieter personalisierte Vorschläge machen oder Navigationssysteme die beste Route vorschlagen. "Ich gehe davon aus, dass KI in ein paar Jahren in den allermeisten Bereichen des Alltags integriert sein wird", sagt Karin Schöfegger, die als Machine-Learning-Spezialistin etwa für Google und IBM gearbeitet hat. "Die neuesten Modelle wie ChatGPT sind gerade deshalb so spannend, weil KI jetzt auch kreative Arbeitsprozesse unterstützen oder übernehmen kann", sagt sie über das textbasierte Dialogsystem, das in jüngster Zeit viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, weil es beispielsweise in der Lage ist, innerhalb von Sekunden ein neues Gedicht im Stil der Dadaisten zu erstellen. Diese Entwicklung reicht in alle Bereiche hinein, in denen Text oder Ton produziert wird, betrifft aber genauso die Bildwissenschaften.

Doch wie sieht es abseits der wenigen Innovationsprojekte bei den Kulturinstitutionen aus? Auch Ausstellungshäuser werden sich dem technischen Fortschritt nicht länger entziehen können, wenn sie zeitgemäß agieren und ihr Publikum erreichen wollen. "Die Kulturlandschaft befindet sich aktuell im Wandel, viele Institutionen müssen ihre veralteten Strukturen sowie ihr Selbstverständnis hinterfragen", sagt Henning Mohr, Leiter des Instituts für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft. "Eigentlich ein guter Zeitpunkt, um KI direkt mitzudenken. Die digitale Transformation muss auf allen Ebenen rechtzeitig gestaltet werden."

Was braucht es für ein von KI getriebenes Museum?

Aber was braucht es für ein von KI getriebenes Museum? Zum einen sicherlich Offenheit und Mut: Ein Paradigmenwechsel steht an, wenn Künstliche Intelligenz in kreative und wissenschaftliche Arbeit eingreift und damit in Kernkompetenzen von Museumsmachern. Zum anderen bedarf es einer veränderten Kulturpolitik sowie eines technischen und inhaltlichen Transfers. Museumsmacher haben hier gemeinsam mit KI-Experten die Chance mitzugestalten: Auch Datensätze und Modelle wollen kuratiert werden, denn eine KI ist immer nur so gut wie das, was wir hineingeben.

Außerdem muss sie ethisch hinterfragt werden. Modelle können an Bedürfnisse angepasst und entsprechend trainiert werden. Gut möglich, dass jedes Museum in Zukunft dafür einen eigenen Data Scientist braucht. Am Ende wären die daraus entstehenden KI-Programme dann für alle Mitarbeiter einfach anwendbar. Es ist also absehbar, dass der Einsatz von beispielsweise KI-basierter Bilderkennungssoftware oder Produkte wie ChatGPT zukünftig genauso Alltag im Kulturbetrieb wird wie heute der Umgang mit Tabellen- und Textverarbeitungsprogrammen.

Im Museum der Zukunft könnten unterschiedlichste Abteilungen von der KI profitieren: Für die Provenienzforschung wird es eine enorme Erleichterung, wenn mit Hilfe von Bilderkennung digital nach Signaturen, Aufklebern oder Stempeln recherchiert werden kann. Die oft langwierige Suche nach Informationen zum Verbleib mutmaßlicher Raubkunst könnte entscheidend beschleunigt werden. Ebenso ließen sich Fälschungen leichter überführen.

Eine Wissenstiefe wie von promovierten Experten

Eine Technologie wie ChatGPT könnte zu interaktiven Audioguides weiterentwickelt werden. Gut trainiert, wären diese in der Lage, Fragen mit einer Wissenstiefe zu beantworten, die sonst nur promovierte Experten haben – und das in so gut wie jeder Sprache. Damit können ganz neue Besucherschichten angesprochen werden. Auch die kuratorische Praxis wird sich verändern: Schon bald werden wir uns Algorithmen gegenüber sehen, die in der Lage sind, selbstständig Ausstellungen zu kuratieren.

Was die Frage aufwirft, ob dann nicht die KI die neue Starkuratorin im Haus ist oder ob sie ein sehr effizientes Arbeitswerkzeug für Ausstellungsmacher sein kann? Müssen Kuratoren demnach zukünftig ihre Rollen neu definieren? Und sich vielmehr als Supervisoren begreifen? Hochspezialisierte Experten wird es in jedem Fall brauchen, die die richtigen Fragen an die KI richten, die Fakten überprüfen und für Qualitätssicherung sorgen.

Wenn dieses Szenario in naher Zukunft Realität wird, werden Kulturinstitutionen ihre Glaubenssätze von Authentizität, Kreativität und Genius hinterfragen müssen. Inhalte werden KI-gestützt generiert und vermittelt werden. Die Welt wird hybrid: Der digitale Raum und digitale Anwendungen werden mit den realen Räumen Beziehungen eingehen und nebeneinander eine gleichberechtigte Rolle spielen.

Diskussionen über Deutungshoheit, Datenschutz und Urheberrecht

Keine leichte Aussicht für eine Branche, die vom Kult um die Aura des Originals und dessen Urheber geprägt ist. "Eigentlich gehören die Daten von öffentlichen Sammlungen ohnehin allen – personenbezogene Daten natürlich ausgenommen", so Tobias Hochscherf, Vizepräsident der Fachhochschule Kiel und Professor für audiovisuelle Medien. Museale Inhalte werden digital und mithilfe von KI nicht mehr hauptsächlich im wissenschaftlichen Kontext stattfinden, sondern weltweit erreichbar und für jeden konsumierbar sein. "Wir leben in einer 'Remix-Culture', und sind es gewohnt, kreativ mit digitalen Bildern wie Memes umzugehen.

Diese Entwicklung wird noch ganz neue Diskussionen in den Bereichen Deutungshoheit, Datenschutz und Urheberrecht aufwerfen." Als geschützte Umgebung mit öffentlichem Auftrag ohne große kommerzielle Interessen eigne sich der Kulturbereich dennoch  ganz besonders, um einen guten und ethischen Umgang mit KI zu erproben. Ein erster Anfang ist gemacht. Wir dürfen auf jeden Fall gespannt sein, wie uns das Museum der Zukunft ermöglicht, Kunst und Kultur in einer nie dagewesenen Art zu erleben.